Im Schatten der Reds
Liverpools Lokalrivale FC Everton kann seit Jahren die eigenen hohen Erwartungen nicht erfüllen
Ambitioniert, aber weitgehend erfolglos. Mit wenigen Worten lässt sich der Arbeitsnachweis des ruhmreichen FC Everton in der jüngeren Vergangenheit zusammenfassen. Im vergangenen Jahrzehnt scheute man beim neunmaligen englischen Meister weder Mühen noch Kosten, um zumindest im Rennen um die Europapokalstartplätze konkurrenzfähig zu bleiben. Während die Toffees ihren wesentlich erfolgreicheren Lokalrivalen FC Liverpool immer weiter davonziehen lassen mussten, kam man selbst kaum über gehobenes Mittelmaß hinaus.
Als 2013 die elf Jahre währende und durchaus bemerkenswerte Ära unter Trainer David Moyes zu Ende ging, fühlten sich die Verantwortlichen im Goodison Park dazu verpflichtet, eine Menge Geld in die Hand zu nehmen, um letztendlich sportlich auf der Stelle zu treten. Unter Moyes hatte Everton die Saison immerhin neun Mal in der oberen Tabellenhälfte abgeschlossen und 2005 sogar die Qualifikationsspiele für die Champions League erreicht. Nachdem der schottische Erfolgscoach bei Manchester United die Nachfolge von seinem Landsmann Alex Ferguson angetreten hatte, versuchten sich fortan in Everton gleich mehrere namhafte Trainer.
Viele Trainer, wenig Erfolg
Unter Roberto Martinez wurde 2014 zum bislang letzten Mal die Qualifikation für die Europa League geschafft. Auf den aktuellen Nationalcoach Belgiens folgten der Niederländer Ronald Koeman, Trainer-Urgestein Sam Allardyce, Marco Silva sowie Carlo Ancelotti – allesamt konnten jedoch die hohen Erwartungen nicht erfüllen. In den vergangenen neun Jahren investierte die Chefetage um den britisch-iranischen Investor Farhad Moshiri mehr als 700 Millionen Euro in überwiegend durchschnittliche Neuzugänge. Gleichzeitig nahm Everton nur 390 Millionen Euro durch Spielerverkäufe ein. Das ohnehin beträchtliche Transferminus wäre indes noch höher ausgefallen, hätte der Verkauf von Torjäger Romelu Lukaku zu Manchester United 2018 den Toffees keine 85 Millionen Euro eingebracht. Als echte Verstärkungen erwiesen sich bislang nur die beiden englischen Nationalspieler Jordan Pickford und Dominic Calvert-Lewin sowie der Brasilianer Richarlison.
Viel hatte man sich auch vom kolumbianischen Mittelfeldakteur James Rodriguez, der ablösefrei von Real Madrid gekommen war, versprochen. Nachdem dieser jedoch unter dem aktuellen Coach Rafael Benitez keine Rolle mehr spielte, zog es den 30-Jährigen weiter nach Katar. „Er hat sich im Training nie bemüht, aber immer Ansprüche auf einen Startelfplatz gestellt. Das war unfair gegenüber allen anderen Spielern, die im Training ihr Maximum gaben, dann aber dennoch auf der Bank saßen“, lässt Benitez im Nachhinein kein gutes Haar am vermeintlichen Hoffnungsträger. Immerhin brachte der Transfer Everton acht Millionen Euro ein. Nur ein Viertel davon wurde in Stürmer Demarai Gray investiert, so dass die Toffees im vergangenen Sommer erstmals seit acht Jahren wieder einen Transferüberschuss verzeichnen konnten.
Absturz in der Tabelle
Die laufende Saison begann eigentlich recht vielversprechend. Nach vier Spieltagen hatte Everton zehn Zähler auf dem Konto und grüßte in der Tabelle – punktgleich mit Liverpool, Chelsea und Manchester
United – von ganz oben. Zwei Runden später belegte man immerhin noch den fünften Platz, gewann anschließend jedoch nur noch eines von elf Ligaspielen. Inzwischen ist Everton auf Rang 15 abgerutscht. Von akuter Abstiegsgefahr kann noch keine Rede sein, da die Tabelle nach mehreren coronabedingten Spielabsagen nicht genügend Aussagekraft hat. Nichtsdestotrotz sollte die schwächelnde Offensivabteilung schnellstmöglich zu alter Stärke zurückfinden. In der vergangenen Saison war auf das Sturmduo Calvert-Lewin (16 Tore)
sowie Richarlison (7) verlass. In der Hinrunde trafen beide jeweils nur drei Mal ins Schwarze, Calvert-Lewin benötigte dazu gar zwei Elfmeter. Aber: Der 24-Jährige hat auch nur vier Spiele bestritten. Seit August fehlte er wegen einer Oberschenkelverletzung. Nun ist er wieder fit. Nicht nur Benitez wird das freuen. Mit fünf Toren ist Neuzugang Gray bislang erfolgreichster Schütze.
Doch auch in der Defensive liegt so manches im Argen. In der ersten Saisonhälfte mussten nur fünf Teams mehr Gegentore als die Toffees (29) hinnehmen. Unterdessen erwies sich Nationalkeeper Pickford oftmals als großer Rückhalt und rettete Everton den einen oder anderen Punkt. Der vergleichsweise einfachste Weg in den Europacup führt über den Gewinn des englischen Ligapokals. Dort hingegen scheiterte Everton in der dritten Runde nach Elfmeterschießen am Zweitligisten Queens Park Rangers.
Den größten Triumph in seiner 144-jährigen Vereinsgeschichte feierte der FC Everton 1985 mit dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger. Sofern kein sportliches Wunder geschieht, werden die Toffees Erfolge wie die beiden letzten Meistertitel 1985 und 1987 sowie den jüngsten Triumph im FA-Cup 1995 schwerlich wiederholen können. Zumindest mittelfristig wird man sich rund um den Goodison Park damit abfinden müssen, nicht so schnell aus dem Schatten des großen Nachbarn FC Liverpool herauszukommen.