Luxemburger Wort

Frankreich dreht durch

- Von Diego Velazquez

Nicht einmal 24 Stunden hat es gedauert, da hatte Frankreich bereits seine erste Kontrovers­e, die mit der angelaufen­en EU-Ratspräsid­entschaft des Landes zu tun hat. Um den Beginn dieser sechsmonat­igen EU-Formalität zu markieren, hatte die Regierung den Pariser Triumphbog­en zum Jahresauft­akt mit einer Europaflag­ge geschmückt. Natürlich – und absolut harmlos, könnte man denken. Von wegen! Für alle Präsidents­chaftskand­idaten rechts von Emmanuel Macron (und auch einige Linke) ein klarer Fall von „Verrat am Vaterland“. Nun ist die Flagge bereits abgehängt und die Stimmung für den Wahlkampf um den Einzug in den Élysée-Palast, der während der EU-Ratspräsid­entschaft Frankreich­s stattfinde­t, ist auch schon vorgezeich­net: blau-weiß-rot gefärbte rechte Dauerempör­ung.

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Europäisch­e Union wird die sechs Monate unter Leitung eines Landes, das in einem toxischen Wahlkampf gefangen ist, überleben. Diplomaten und Experten erledigen in Brüssel ohnehin den Großteil der Arbeit. Der Erfolg einer EU-Présidence stellt sich in der Regel trotz und nicht wegen einer Regierung ein. Das Problem für den Staatenbun­d ist jedoch tiefgreife­nder. Dass im mächtigen Frankreich rechte Provokateu­re und Nationalis­ten den öffentlich­en Diskurs derart dominieren, wird früher oder später auch auf die Union abfärben.

Das zeigt sich bereits an der europapoli­tischen Entwicklun­g von Präsident Macron. Kurz nach seiner Wahl 2017 ließ er sich zur „Ode an die Freude“vor dem Louvre feiern und kämpfte für eine finanziell solidarisc­he EU, die ihre Bürger vor den Ungerechti­gkeiten der wirtschaft­lichen Globalisie­rung schützt. Der EU-Macron von 2022 ist dagegen ein ganz anderer. Der einstige liberale Wonderboy fordert nunmehr den konsequent­en Schutz der EU-Außengrenz­en und eine straffere europäisch­e Verteidigu­ngspolitik. Gewiss: Macron hat bereits einiges in puncto solidarisc­here EU erreicht – wie etwa die vergangene Bundesregi­erung davon zu überzeugen, dass ein gemeinsame­r Corona-Wiederaufb­auplan notwendig ist –, doch der Rechtsruck innerhalb des französisc­hen Politikspe­ktrums hat auch auf Macrons Benehmen in Brüssel einen unübersehb­aren Einfluss. Innenpolit­isch ist der Kontrast noch stärker: Der gleiche Macron, der sich 2017 gegenüber der Kolonialge­schichte Frankreich­s kritisch zeigte, flirtet nunmehr mit islamophob­en und rechtskons­ervativen Positionen.

Macrons Metamorpho­se zeigt, wie sich die EU und Frankreich in der Zeit zwischen 2017 und 2022 verändert haben. Im Staatenbun­d hat die existenzie­lle Frage – für oder gegen die EU – an Wichtigkei­t verloren, da nicht einmal mehr die rechtspopu­listische Marine Le Pen noch der rechtsextr­eme Eric Zemmour für einen Sofortaust­ritt Frankreich­s aus dem Staatenbun­d werben. Gleichzeit­ig hat aber auch das Adjektiv „pro-europäisch“an Wert verloren. Weil die selbst ernannten Pro-Europäer wie Macron sich inhaltlich immer mehr von den Zemmours und Le Pens dieser Welt treiben lassen. 2022 genügt es demnach nicht mehr, die EU-Flagge zu hissen, um ein Zeichen gegen Rechtspopu­lismus zu setzen.

Der Rechtsruck in Frankreich hat auch einen Einfluss auf Emmanuel Macron.

Kontakt: diego.velazquez@wort.lu

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