Der Alleinunterhalter wird zum Teamplayer
Frankreichs Präsident Macron übernimmt inmitten der heißen Phase der Wahlkampagne die EU-Ratspräsidentschaft
Zwei Stunden hat die Pressekonferenz Anfang Dezember gedauert, bei der Emmanuel Macron feierlich die Hauptanliegen der französischen EU-Ratspräsidentschaft vorgestellt hat, die von Januar bis Ende Juni andauert. In diesen zwei Stunden versprach Macron unter anderem „ein neues Wachstumsmodell für Europa“, Gipfeltreffen, um die Beziehungen der Union mit dem afrikanischen Kontinent und dem Westbalkan neu zu definieren, Einigungen zu heiklen Themen wie der Richtlinie zum EUMindestlohn oder der Regelung der Internetriesen – die Pressekonferenz war ein einziges Feuerwerk von Ideen, Visionen und Pathos. Macron, wie er leibt und lebt.
Mahnende Worte
Die übermütige Vorstellung sorgte natürlich für Polemik in Frankreich. Sowohl Opposition als auch Experten werfen Macron dabei vor, maßlos zu übertreiben. Die EU-Ratspräsidentschaft, bei der ein anderes Land alle sechs Monate die Leitung des Tagesgeschäfts auf EU-Ebene übernimmt, sei eine recht technische und formelle Angelegenheit, so die Kritik, bei der große politische Visionen fehl am Platz seien – vielmehr gehe es darum, durch viel diplomatisches und inhaltliches Geschick in
Brüssel Kompromisse zwischen den EU-Staaten und dem Europaparlament über hochgradig komplexe Themen zu schmieden. Zu viel Show und Politik drohe dabei, das Ganze zu überladen und die fragile Brüsseler Dealmacherei zum Scheitern zu verurteilen.
Macron sollte „etwas weniger einen auf Victor Hugo machen und etwas mehr auf Robert Schuman“, schreibt etwa eine Expertengruppe rund um den Politologen Thierry Chopin in einem Bericht, den die französische Regierung selbst in Auftrag gegeben hat. Macrons proaktive Rolle und die sehr markierte französische Positionierung bei einigen Themen werden womöglich den einen oder anderen EU-Partner unnötig brüskieren, so der mahnende Bericht. Obendrein schwingt auch der Vorwurf mit, Emmanuel Macron würde die EURatspräsidentschaft für Wahlkampfzwecke missbrauchen. Die pompöse Agenda und die vielen internationalen Treffen in ganz Frankreich dienten hauptsächlich dazu, den Über-Europäer Macron in Szene zu setzen, hört man etwa beim rechtskonservativen EU-Abgeordneten François-Xavier Bellamy.
Wahlkampf-Spielzeug?
Dass Emmanuel Macron tatsächlich Themen der Wahlkampagne auch in seine EU-Präsidentschaft einfließen lässt, zeigt auch der Slogan der EU für die nächsten sechs Monaten: „Relance, puissance, appartenance“, lautet das Motto der Franzosen. Mit „appartenance“wird demnach das Thema der kulturellen Angehörigkeit, das im ziemlich rechts angesiedelten Wahlkampf in Frankreich eine große Rolle spielt, nach Brüssel importiert. Macrons Vorstoß, den Gebrauch der französischen Sprache auf EU-Ebene in den nächsten sechs Monaten zu stärken, geht in eine ähnliche Richtung.
Die ganze Kritik sei etwas übertrieben, meint dagegen Eric Maurice, der Leiter der Fondation Robert Schuman in Brüssel. „Natürlich ist die Tatsache, dass es mitten in dieser Ratspräsidentschaft eine Präsidentschaftswahl geben wird, eigenartig“, sagt der EU-Experte, „doch sehr viel Einfluss wird die Kampagne letztendlich nicht auf die Ratspräsidentschaft haben.“
„Macron wird sicherlich gerne zeigen wollen, dass er in der EU einflussreich ist und dass einige innenpolitische Sorgen der Franzosen nur auf EU-Ebene gelöst werden können“, sagt Maurice. Das wird besonders beim geplanten EU-Gipfel im März in Paris der Fall sein, der auch mit dem Startschuss der Wahlkampagne zusammenfällt.
Wenig Einfluss
Doch nüchtern betrachtet wird sich die Einmischung der französischen Wahlkampagne auf das Brüsseler Geschehen in Grenzen halten – die Stimme des französischen Präsidenten wird nicht viel anders sein als sonst, meint Maurice dazu: „Macron hat sich seit dem Beginn seines Mandats für Europa interessiert. Man kann ihm kaum den Vorwurf machen, erst jetzt EU-Themen aufzugreifen, um sich innenpolitisch zu profilieren.“Und obendrein sei es auch nicht klar, ob EU-Themen in der doch recht EU-kritischen französischen Öffentlichkeit für die Wahlkampagne so nützlich sein werden, so der Experte weiter.
Die erste richtige Kontroverse der französischen Ratspräsidentschaft bestätigt diese Analyse auch: Zum Jahres- und Präsidentschaftsauftakt wehte am Pariser Triumphbogen eine Europaflagge, was Hysterie bei rechten Politikern und Medien auslöste. „Die französische Flagge durch die europäische zu ersetzen, ist ein Attentat auf die Identität unseres Vaterlandes“, kommentierte etwa die extrem rechte Präsidentschaftskandidatin des Rassemblement National (RN), Marine Le Pen. Der andere rechtsextreme Kandidat
Eric Zemmour und die konservative Kandidatin Valérie Pécresse drückten sich ähnlich aus. Schon am 2. Januar wurde die Flagge abgehängt. Laut einem Sprecher des Élyséepalastes war dieser Zeitplan allerdings ohnehin vorgesehen. Doch wie dem auch sei: Die aufgeladene Stimmung zeigt, wie Kampagne und Präsidentschaft in den kommenden Wochen interagieren könnten.
Kontroversen hin oder her
Innenpolitisch mag es demnach Kontroversen geben, doch in Brüssel bleibt die Rolle des Staatsoberhauptes oder Regierungschefs eines Landes während der EU-Ratspräsidentschaft recht begrenzt, erklärt Eric Maurice. Der Großteil der Arbeit wird von den Experten und Diplomaten in Brüssel erledigt, die die Anliegen der 27 anderen EU-Staaten auch genau kennen. „Macron wird die Ratspräsidentschaft höchstens nutzen, um einige langfristige Ideen auf den Tisch zu legen – ansonsten wird er viel im Hintergrund sein.“
„Die politische Rolle einer Regierung wird bei den EU-Ratspräsidentschaften oft überschätzt“, fügt Eric Maurice hinzu. „Die Ratspräsidentschaften Rumäniens 2019 oder Sloweniens 2021 sorgten auch Anfangs für Unmut, weil die populistischen Regierungen dieser Länder wenig Vertrauen erweckten – doch schnell nahmen die Diplomaten dieser Staaten das Steuer in die Hand und die Ratspräsidentschaften verliefen sehr effizient und geschmeidig“.
„Die Ratspräsidentschaft ist eine sehr formelle und eingerahmte Angelegenheit, bei der es eigentlich nur sehr wenig Raum für Improvisation gibt“, ergänzt Maurice. „Ich glaube nicht, dass die französische Regierung diesen Rahmen sprengen wird und das Risiko eingeht, Verhandlungen zum Scheitern zu bringen.“Für Maurice steht demnach fest: „Es wird wohl 'en même temps' etwas Victor Hugo geben und etwas Robert Schuman“.
Emmanuel Macron wird sicherlich gerne zeigen wollen, dass er in der EU einflussreich ist. EU-Experte Eric Maurice