Zurück in die Vergangenheit
Nach dem Rücktritt des Reformers Abdullah Hamdok hängt die zivile Zukunft Sudans in der Schwebe
Für Kenner des Landes war es keine Überraschung, als Premierminister Abdullah Hamdok am späten Sonntagabend in Sudans Hauptstadt Khartum vor die Fernsehkameras trat und seinen Rücktritt bekannt gab – sie hatten mit diesem Schritt sogar schon früher gerechnet. „Ich habe alles in meiner Hand Liegende getan, um unser Land vor dem Sturz in ein Desaster zu bewahren“, sagte der 66-jährige Regierungschef. „Aber nun ist unsere Nation einer Krise ausgesetzt, die ihre Existenz bedroht.“Dunklere Worte hätte der einst für die Vereinten Nationen tätige Ökonom kaum finden können.
„Eine regelrechte Militärdiktatur“Sein Scheitern habe sich bereits bei seiner zweiten Bestallung zum Regierungschef vor sechs Wochen abgezeichnet, heißt es heute in Khartum: Als Hamdok dem Drängen der Militärs nachgab, sich erneut als Premierminister zur Verfügung zu stellen – obwohl ihn die Generäle einen Monat zuvor mit einem Militärputsch aus dem Amt gefegt hatten. Vier Wochen lang saß der wohlwollende Ökonom trotzig im Hausarrest, bevor ihn der starke Mann des Landes, General Abdel Fattah al-Burhan, schließlich weichgekocht hatte. Um einen gefährlichen Stillstand und weiteres Blutvergießen zu vermeiden, sei er bereit, sein Amt wieder aufzunehmen und eine neue Regierung zu bilden, gab Hamdok bekannt.
Schon damals war allerdings klar, dass die neue Übergangsregierung ganz anders als die vorige sein müsste: Die Militärs hatten mit ihrem Putsch neue Fakten geschaffen und Hamdok weitere Bandagen
angelegt. Sein Kabinett sollte aus „Technokraten“bestehen, Repräsentanten der demokratischen Opposition waren davon ausgeschlossen. Die Reaktion der oppositionellen „Kräfte für Freiheit und Wandel“war deshalb abzusehen. Ihre Führer zogen die Unterstützung für Hamdok zurück – die Demonstrationen auf den Straßen vor allem Khartums gingen unvermindert weiter. Der Premierminister steckte in der Klemme: zerrieben zwischen der Absicht der Generäle, ihn als Strohmann zu missbrauchen. Und den Forderungen der Mehrheit des
Volkes, das Militär nun endgültig von den Schaltstellen der Macht zu vertreiben.
Hamdoks Abtritt hat nun zumindest wieder klare Verhältnisse geschaffen. „Das letzte Feigenblatt des Militärregimes ist beseitigt“, meint der sudanesische Anwalt Ahmed El Gaili gegenüber dem TV-Sender Al Dschasira. „Zurück bleibt eine regelrechte Militärdiktatur.“Cameron Hudson von der US-amerikanischen Denkfabrik Atlantic Council bestätigt: „Was wir heute sehen, ist eine Wiederherstellung des Regimes von Omar al-Baschir – nur ohne Baschir“.
Noch steht nicht fest, wie die Generäle auf Hamdoks Rücktritt reagieren werden. Sicher scheint nur, dass ihre Antwort noch martialischer als in den vergangenen Wochen ausfallen wird. Jedem der mindestens wöchentlich stattfindenden Straßenproteste begegneten die Sicherheitskräfte außer mit Tränengaswolken und Schlagstockhieben auch mit scharfer Munition.
Seit dem Putsch Ende Oktober verloren laut dem Zentralkomitee der Sudanesischen Ärzte (CCSD) mindestens 57 Demonstranten ihr Leben, Hunderte wurden verletzt,
Tausende sollen hinter Gittern gelandet sein.
Auslöser für Hamdoks Rücktritt war eine weitere Massendemonstration am Sonntag, die mindestens drei Menschen das Leben kostete. Einem jungen Mann schossen Soldaten in die Brust, einen anderen töteten Polizisten mit Schlagstockhieben auf den Kopf. Für heute sind weitere Proteste angesagt: Jeder rechnet damit, dass die Reaktion der Sicherheitskräfte jetzt noch brutaler ausfallen wird.
Nach UN-Angaben gehen Soldaten und Polizisten inzwischen auch dazu über, Demonstrantinnen zu vergewaltigen: Allein bei einer Kundgebung am 19. Dezember sollen mindestens 13 Frauen und Mädchen von einzelnen oder ganzen Gruppen an Uniformierten missbraucht worden sein. Regelmäßig wird an Protesttagen auch das Telefonnetz und die Verbindungen zum Internet unterbrochen. Außerdem wurden ausländische Kamerateams verprügelt und ihre Ausrüstung beschlagnahmt.
Die Forderung westlicher Staaten, Gewalt gegen Frauen als „Waffe gegen ihre Meinungsäußerung“einzustellen, fiel bei der Militärregierung bislang auf taube Ohren. Bei einer Neujahrsansprache forderte US-Außenminister Antony Blinken außerdem die „sofortige Einstellung tödlicher Gewalt beim Einsatz gegen Demonstranten“. Und nach dem Rücktritt Hamdoks verlangte das US-Außenministerium über Twitter: „Sudans neuer Regierungschef und sein Kabinett sollten in Übereinstimmung mit der Verfassungsrechtlichen Erklärung (aus dem Jahr 2019, Anm.d.Red.) erfolgen, um dem Wunsch des sudanesischen Volkes nach Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit zu entsprechen“.