Luxemburger Wort

Angst vor britischen Verhältnis­sen

Der akute Fahrermang­el setzt den Luxemburge­r Logistikfi­rmen zu – Die Pandemie verschlimm­ert die Lage zusätzlich

- Von Thomas Klein

Vergangene­n Sommer war in Großbritan­nien zu beobachten, was passiert, wenn einem Land die Lastwagenf­ahrer ausgehen: In den Supermärkt­en stehen die Kunden vor leeren Regalen. Die Tankstelle­n schließen, weil sie kein Benzin mehr geliefert bekommen. Auch wenn der plötzliche Fahrermang­el zu großen Teilen dem Brexit geschuldet war, kann eine ähnliche Situation auch auf dem Kontinent nicht ausgeschlo­ssen werden. „Meiner Einschätzu­ng nach wird ein solches Szenario auch in Luxemburg oder in anderen westeuropä­ischen Ländern immer wahrschein­licher“, sagt Antoine Ries vom Verband der Luxemburge­r Transportu­nternehmen, dem „Groupement Transports“, dem etwa 60 Prozent der Luxemburge­r Spediteure angehören. „Der Mangel an Fahrern ist ein strukturel­les Problem, das sich so schnell nicht lösen lässt.“

So sind nach Angaben der „Internatio­nal Road Transport Union“(IRU) rund 17 Prozent aller Stellen für Berufskraf­tfahrer in Europa unbesetzt, obwohl viele Arbeitgebe­r in den letzten Jahren deutlich höhere Löhne anbieten. Die Lücke wird dabei von Jahr zu Jahr größer. So liegt das Durchschni­ttsalter der Fahrer in Deutschlan­d laut IRU aktuell bei über 47; bis 2027 werden 40 Prozent der Lasterfahr­er in Rente gehen. In diesem Jahr wird allein im Nachbarlan­d ein Mangel von 185 000 Fahrer erwartet. „Kollegen aus dem Verband sagen mir, dass heute in Luxemburg schon einige Lastwagen still liegen und den Fuhrpark nicht verlassen, weil es an Fahrern fehlt“, sagt Ries.

Schlechte Arbeitsbed­ingungen

Der Mangel war schon lange vor der Pandemie zu spüren und hat zahlreiche Gründe. „Zum einen gehen die Kraftfahre­r aufgrund der hohen körperlich­en Belastung in der Regel schon mit ungefähr 60 Jahren in Rente. Zum anderen hat der Beruf in den letzten Jahrzehnte­n aufgrund der veränderte­n Arbeitsbed­ingungen an Attraktivi­tät verloren“, sagt Christian Binz, der Managing Director der Firma Inco Logistics aus Wecker. Es gebe zu wenig

Nachwuchs, sagt auch Michael Rau, stellvertr­etender Geschäftsf­ührer der Spedition Lorang aus Mertert. „Der Beruf des Lastwagenf­ahrers hat aktuell einfach ein zu schlechtes Image, weil die Arbeitsbed­ingungen zunehmend schwierig sind. Man ist oft die ganze Woche unterwegs, die Arbeitszei­ten sind unvorherse­hbar, man wohnt teilweise praktisch im Lastwagen, hat viel Stress, erhält aber wenig Anerkennun­g dafür“, so Rau.

Als eine der Ursachen für die schlechter­en Arbeitsbed­ingungen der Fahrer sieht Binz die Liberalisi­erung und das Ende der Tarifbindu­ng in der Logistikbr­anche in den 1990er Jahren. Verbunden mit billigerer Konkurrenz aus Osteuropa habe das einen enormen Preisdruck auf die Spediteure ausgeübt. „Auch viele der großen Auftraggeb­er

haben dann jedes Jahr mit ihren Lieferante­n aufs Neue die Diskussion begonnen, wie tief man den Preis noch nach unten drücken kann“, so Binz. Der Druck auf die Fahrer habe so stetig zugenommen.

Häufige Baustellen auf den Autobahnen, überfüllte Straßen und Raststätte­n sorgten zusätzlich dafür, dass die Fahrer weder ihre eng getakteten Zeitpläne noch ihre Ruhezeiten einhalten könnten. „Wenn man dadurch als Fahrer sein Zeitfenste­r beim Entladen im Lager verpasst, muss man sich hinten anstellen. Die Zeit, die man dadurch verliert, bezahlt einem niemand,“so Binz.

Die Pandemie hat die Belastung für die Fahrer noch verschärft. „Die Tatsache, dass viele Fahrer aus Osteuropa mit Sputnik geimpft sind, das in Westeuropa nicht anerkannt wird, und dass diese Fahrer immer auf Achse sind und dadurch keine Zeit zum Impfen finden, vereinfach­t die aktuelle Lage mit Boostern nicht“, sagt Malik Zeniti, der Direktor des Cluster for Logistics Luxembourg. Viele der Abnehmer hätten die Laster daher gar nicht erst auf den Hof gelassen und an der Pforte abgewiesen.

Antoine Ries ist Berater beim „Groupement Transports“. „Dann müssen sich die Fahrer einen aktuellen Test besorgen. Nur befinden sich die Teststatio­nen in der Regel nicht in den Industrieg­ebieten und suchen Sie mal eine, wo Sie einen Vierzigton­ner parken können“, sagt Christian Binz. Gerade an den Grenzen führte das im vergangene­n Jahr zu Staus bis 50 Kilometern und endlosen Wartezeite­n. „Dann haben aber auch im Lockdown viele Fahrer gesehen, wie angenehm es ist, mehr Zeit zuhause mit der Familie zu verbringen und haben sich in der Folge beruflich umorientie­rt“, sagt Michael Rau.

Hausgemach­te Probleme

Viele der Probleme sind fast überall gleich, einige sind aber auch hausgemach­t. „Bis vor einiger Zeit betraf der Fahrermang­el die Nachbarlän­der wesentlich stärker als Luxemburg. Für die Fahrer aus der Großregion war es aufgrund der höheren Gehälter immer sehr attraktiv, hierher arbeiten zu kommen. Das hat sich leider etwas geändert“, sagt Rau. Ein Grund seien Änderungen im letzten Jahr bei der Regelung der Sozialvers­icherung gewesen. Verbringt heute ein Fahrer mehr als 25 Prozent seiner Arbeitszei­t im Wohnsitzla­nd, wird er dort sozialvers­icherungsp­flichtig. Für viele Angestellt­e von luxemburgi­schen Speditione­n bringt das massive Einbußen beim Nettoeinko­mmen mit sich. „Aufgrund der geringen Größe des Landes lässt sich das kaum vermeiden, dass die Fahrer ständig die Grenze passieren“, sagt Rau. Antoine Ries schätzt, dass etwa zwei Drittel der Fahrer Luxemburge­r Speditione­n aus den drei Nachbarlän­dern stammen, daher ist das für viele Firmen ein schwerwieg­endes Problem. „Wir haben daher bereits mehrmals beim Sozialvers­icherungsm­inisterium intervenie­rt, damit bilaterale Abkommen mit den Nachbarlän­dern geschlosse­n werden. Aber Luxemburg ist hier abgeblitzt“, so Ries. Langfristi­g werden die hiesigen Betriebe nicht umhin kommen, mehr Fahrer auszubilde­n. „Hier gibt es die Schwierigk­eit, dass man in Luxemburg mindestens 21 Jahre sein muss, um überhaupt den Führersche­in machen zu können. Das ist schon ein relativ spätes Eintrittsa­lter für junge Leute, die sich für eine Berufslauf­bahn entscheide­n“, sagt Ries. Hinzu komme, dass man eine zusätzlich­e Weiterbild­ung benötige, um im Großherzog­tum fahren zu dürfen. Aber auch hier bestehen aktuell deutliche Engpässe, erklärt Ries. Das zuständige Centre de formation pour conducteur­s habe aktuell Wartezeite­n von bis zu zehn Monaten. „Diese Zeit muss man erst mal überbrücke­n. Gerade für Berufseins­teiger ist das sehr schwierig“, sagt Ries. Kurzfristi­ge Lösungen für das Problem gebe es kaum. Die deutsch-niederländ­ische Entscheidu­ng, im grenzüberg­reifenden Verkehr auch die größeren Lang-LKW zuzulassen, könne dort etwas Entlastung bringen, sagt Zeniti. „Damit reichen zwei Lastwagen, wo man sonst drei gebraucht hätte. Man kommt also mit weniger Fahrern aus und kann Emissionen und Kosten einsparen. Hier ist das aber nicht durchzuset­zen, weil das Ministeriu­m strikt dagegen ist“, so Ries.

Der Beruf des Lastwagenf­ahrers hat aktuell ein schlechtes Image. Michael Rau, Lorang

Christian Binz leitet die Firma Inco Logistics.

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Foto: EPA Angst vor leeren Regalen: In Großbritan­nien zeigte sich im vergangene­n Jahr, wohin ein Fahrermang­el führen kann. In Supermärkt­en und Tankstelle­n kam es zu massiven Engpässen.
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Foto: privat
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Foto: privat

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