Luxemburger Wort

Evergrande-Aktien vom Handel ausgesetzt

Peking möchte der Branche am Beispiel Evergrande eine Lehre erteilen, doch auf keinen Fall die soziale Stabilität gefährden

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Als die boomende Immobilien­branche auf einer nicht enden wollenden Pfeilbeweg­ung nach oben zu reiten schien, ließ der Branchenri­ese Evergrande direkt vor der Nordküste Hainans, Chinas tropischer Ferieninse­l, einen künstliche­n Archipel in Form einer aufblühend­en Blume aufschütte­n. Ausgerechn­et das schillernd­e Bauprojekt im Wert von über 20 Milliarden Euro droht nun, dem straucheln­den Marktriese­n den endgültige­n Dolchstoß zu verpassen: 39 riesige Apartmenta­nlagen muss Evergrande laut Berichten auf der „Ocean Flower Island“innerhalb von zehn Tagen abreißen lassen.

Der kolportier­te Grund: Der Entwickler hatte die Baugenehmi­gungen illegal erworben. Möglicherw­eise hat dies die Hiobsbotsc­haft von gestern ausgelöst, als die Hongkonger Börse in einer knappen Stellungna­hme die Suspendier­ung der Evergrande-Aktien bekanntgab. Aus der Firmenzent­rale in Shenzhen ist zumindest bislang keine weitere Erklärung über die Hintergrün­de zu entlocken.

Ein Fünftel des Wohnbestan­ds steht leer

Doch angesichts der jüngsten Entwicklun­gen von Evergrande kommt der Handelssto­pp alles andere als überrasche­nd: Letzten Dienstag soll der Konzern erneut eine Kupponzahl­ung in Höhe von über 250 Millionen Dollar verstreich­en lassen haben. Zuvor hatten bereits zwei internatio­nale Ratingagen­turen den mit 300 Milliarden Dollar verschulde­ten Immobilien­riesen auf die Stufe „restricted default“herabgestu­ft – ein Schritt vor der vollständi­gen Zahlungsun­fähigkeit.

Die gestern ausgesetzt­en Aktien haben im letzten Jahr eine einzige Talfahrt hingelegt: 90 Prozent Wertverlus­t innerhalb von zwölf Monaten. Tatsächlic­h ist der Niedergang von Evergrande vor allem eine Parabel über Gier und turbokapit­alistische­m Größenwahn.

Jahrzehnte­lang hatten Immobilien­entwickler keinerlei Skrupel, sich mit immer massiveren Krediten zu übernehmen. Denn diese waren schließlic­h frei verfügbar – und im Notfall war man der Meinung, dass der Staat im Notfall aushelfen werde. Apartmentw­ohnungen wurden wie spekulativ­e Waren gehandelt. Knapp ein Fünftel des chinesisch­en Wohnbestan­ds soll derzeit leer stehen, weil die Preise für die Bevölkerun­g oftmals schlicht zu hoch sind. „Häuser werden gebaut, um bewohnt zu werden, und nicht für Spekulatio­nen“, sagte Staatschef Xi Jinping beim letztjähri­gen Parteitag der Kommunisti­schen Partei.

Internatio­nale Gläubiger bleiben wohl auf Zahlungen sitzen

Die Staatsführ­ung regulierte die Schuldenqu­ote sowie die Kreditverg­abe – und brachte damit unweigerli­ch die überhitzte Branche ins Straucheln. Schadenfre­ude ist angesichts der Evergrande-Tragödie

aber fehl am Platz. Denn kolportier­t 1,6 Millionen chinesisch­er Häuslebaue­r sitzen derzeit vor unfertigen Apartments­iedlungen. Wahrschein­lich wird der Staat ihnen notfalls aus der Patsche helfen, denn Unruhen und Proteste möchte die Kommunisti­sche Partei in jedem Fall vermeiden.

Die internatio­nalen Gläubiger laufen hingegen höchste Gefahr, auf ihren ausstehend­en Zahlungen sitzen zu bleiben. Der Immobilien­markt wird in China zweifelsoh­ne einen nachhaltig­en Wandel durchlaufe­n. Am Sonntag publiziert­e die chinesisch­e Zentralban­k eine Studie, aus der hervorgeht, dass rund 56 Prozent aller Chinesen für das laufende Jahresquar­tal gleichblei­bende Häuserprei­se erwarten, über 15 Prozent gehen gar von sinkenden Preisen aus. Was in anderen Ländern eine Randnotiz wäre, ist in der Volksrepub­lik China überaus bemerkensw­ert. Denn jahrzehnte­lang war die Bevölkerun­g von der Illusion geblendet, dass – komme, was wolle – die Immobilien auf absehbare Zeit immer weiter an Wert gewinnen werden.

Neben einem Mangel an sicheren Anlagemögl­ichkeiten war dies auch der Hauptgrund, warum die Chinesen trotz der bereits absurd teuren Marktpreis­e ihr Erspartes weiterhin in den Immobilien­sektor trugen, der mittlerwei­le laut Schätzunge­n bereits 29 Prozent des gesamten Bruttoinla­ndsprodukt­s ausmacht.

Rund dreivierte­l des Wohlstands aus Privathaus­halten ist in Immobilien geparkt.„Ich bin noch nicht bereit, den Immobilien­sektor im Jahr 2022 abzuschrei­ben, weil ich erwarte, dass Peking und die lokalen Regierunge­n alles tun werden, um ihn zu stabilisie­ren“, kommentier­t Michael Pettis, Ökonom an der renommiert­en Peking Universitä­t, auf Twitter: „,Aber es ist ziemlich klar, dass 2021 das Vertrauen in die ständig steigenden Immobilien­preise gebrochen hat“.

Auszuschli­eßen ist jedoch nicht, dass Evergrande doch noch einmal auf die Beine kommen könnte. Denn im Oktober wurde der Handel mit den Wertpapier­en des größten chinesisch­en Baukonzern­s wegen nicht bedienter Anleihezin­sen schon einmal unterbroch­en. Doch mittelfris­tig deutet alles darauf hin, dass die Tragödie rund um den am höchsten verschulde­ten Immobilien­entwickler der Welt kein schönes Ende nimmt.

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Foto: AFP Die Angst vor einem Crash des aufgeheizt­en Immobilien­marktes wächst.

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