Von wegen alte Klassiker
Frank Hoffmann und sein Team zeigen, wie aktuell die Stoffe von Sophokles sein können
„Sophokles’ Dichtung ist Krimi, Familiendrama und berückendes Sprachkunstwerk zugleich“– das stellt das Team um die Neuproduktion „Ödipus & Antigone“unter der Leitung von Frank Hoffmann heraus. Aus den drei Werken „König Ödipus“, „Ödipus auf Kolonos“und „Antigone“wird ein neuer Bogen gespannt und in einen Theaterabend komprimiert. Kann das für ein heutiges Publikum sogar besonders reizvoll sein? Premiere ist am 13. Januar im Grand Théâtre.
Frank Hoffmann, was machen denn Sie und Ihr Dramaturg Florian Hirsch besser als Sophokles?
(Lacht) Also besser als Sophokles? Ich kenne keinen Autor, der das besser macht. Aber Florian Hirsch und ich haben eine Fassung von diesen drei Stücken erstellt, in der wir sehr respektvoll mit den Originalen umgehen.
Was lässt man denn dann weg?
Genau das ist die Kunst. Wir konzentrieren uns auf die wesentlichen Aspekte von Ödipus und Antigone. Und ich glaube kaum, dass dem Zuschauer bei unserem Fokus nachher etwas fehlt. Schwieriger war der Umgang mit „Ödipus auf Kolonos“– und da war es schon anspruchsvoller, was wir aus dem eher unbekannteren, aber längsten der drei Werke in diese neue Form bringen, die sich unterscheidet.
Wie stark greifen Sie in die klassische Sprache ein?
Wir haben sehr viele Übersetzungen durchgesehen. Florian Hirsch hat mir die deutsche Fassung des im Saarland geborenen Übersetzers Simon Werle empfohlen. Die ist sehr direkt und häufig so, dass sie die Poesie des Originals nicht verrät. Diese literarische Sprache klingt auch schlicht so wie Musik und ist dennoch aktuell. Es käme Hybris gleich, das grundsätzlich zu ändern.
Da schwingt einerseits diese Ehrfurcht vor den Klassikern mit – und andererseits wurden Generationen von Schülerinnen und Schüler quasi dazu geprügelt, sich mit dem antiken Drama auseinanderzusetzen; was sicher nicht den besten Eindruck hinterlassen hat. Wie macht man diesen Stoff attraktiv entgegen einer gefühlten Müdigkeit?
Also die Gefahr der Müdigkeit kommt bei uns sicher nicht auf. Das liegt an der Übersetzung. Ich vergesse sogar bei den Proben, dass ich einen „alten“Text inszeniere. Beim genauen Hinsehen merkt man: Das ist so menschlich; „allzu menschlich“wie man sagt.
Vor einem Freund muss man keine Ehrfurcht haben; man muss Respekt vor ihm haben, aber nicht niederknien. Wir bücken uns nicht vor diesem Text. Vielmehr versuche ich, darauf theatralisch zu antworten und verständlich zu machen. Da geht es um Liebe und Tod, Macht und Sex, um Mutter, Sohn und Vater, Glauben und noch viel mehr – und das viel pragmatischer und weniger theoretisierend als in den Dramen der deutschen, französischen oder englischen Theaterwelt viel neuerer Zeit. Nach weit über einhundert eigenen Inszenierungen ist es meine erste Beschäftigung als Regisseur mit dem Stoff. Und ich frage mich angesichts der Erfahrungen jetzt, warum ich nicht schon längst Sophokles für mich entdeckt habe.
Kann dann sogar die jetzige Fassung das richtige Stück zur richtigen Zeit sein?
Also bei König Ödipus wütet zu Beginn die Pest. Es herrscht Krise, in der Ödipus zum Herrscher wird. Und bei Antigone wird zum Beispiel das Thema der Gesetze und deren Überschreitung in den Fokus gerückt. Diese Aushandlungen und Verhaltensweisen haben ungemein aktuelle Parallelen zu heute.
Wie reagiert denn dann Ihr Bühnenbildner Ben Willikens auf so viel Inhalt und textliche Dichte voller Emotionen und Szenarien?
Es ist ein übergroßer Raum, manchmal wirken die Menschen darin verloren und andererseits fast schon brutal sichtbar. Willikens ist mit seiner Art der Bühne weltbekannt geworden. Der Mensch findet sich in einem Universum wieder, das weit größer ist als er selbst. Und das ist auch absichtlich eine Metapher auf unser Leben. Es ist eine Herausforderung, Spannungen und Bezüge aufzubauen. Die Körper im Raum erzählen ja auch etwas – ihre Nähe oder Entfernung zueinander, ihre Entspannung und Anspannung im Raum. Als Schauspielregisseur ist das sicher auch noch einmal etwas anders als zu Beispiel in der Opernregie. Hier ist die Bühne schon auch an den griechischen Bühnen orientiert.
Diese Aushandlungen und Verhaltensweisen haben ungemein aktuelle Parallelen zu heute.
Brechen Sie auch diesen klassischen Raum mit Frontalwahrnehmung bewusst?
Durchaus, zum Beispiel, in dem der „Chor“aus dem Zuschauerraum agiert und damit pars pro toto wird ...
... der Chor, der im antiken Drama die Handlung einordnet oder kommentiert ...
Genau. Es ist faszinierend, welche Haltung Sophokles diesem Chor gibt. Er nimmt nicht eine bestimmte gesellschaftliche oder auch politische Position ein, sondern ist sehr wankelmütig – mal demütig, mal unterdrückt, mal aufrührerisch und fordernd. Und auch da lassen sich wieder viele Parallelen auf gesellschaftliche Verhaltensmuster von gestern bis heute ziehen; und ist Anlass darüber nachzudenken.