Luxemburger Wort

Von wegen alte Klassiker

Frank Hoffmann und sein Team zeigen, wie aktuell die Stoffe von Sophokles sein können

- Interview: Daniel Conrad

„Sophokles’ Dichtung ist Krimi, Familiendr­ama und berückende­s Sprachkuns­twerk zugleich“– das stellt das Team um die Neuprodukt­ion „Ödipus & Antigone“unter der Leitung von Frank Hoffmann heraus. Aus den drei Werken „König Ödipus“, „Ödipus auf Kolonos“und „Antigone“wird ein neuer Bogen gespannt und in einen Theaterabe­nd komprimier­t. Kann das für ein heutiges Publikum sogar besonders reizvoll sein? Premiere ist am 13. Januar im Grand Théâtre.

Frank Hoffmann, was machen denn Sie und Ihr Dramaturg Florian Hirsch besser als Sophokles?

(Lacht) Also besser als Sophokles? Ich kenne keinen Autor, der das besser macht. Aber Florian Hirsch und ich haben eine Fassung von diesen drei Stücken erstellt, in der wir sehr respektvol­l mit den Originalen umgehen.

Was lässt man denn dann weg?

Genau das ist die Kunst. Wir konzentrie­ren uns auf die wesentlich­en Aspekte von Ödipus und Antigone. Und ich glaube kaum, dass dem Zuschauer bei unserem Fokus nachher etwas fehlt. Schwierige­r war der Umgang mit „Ödipus auf Kolonos“– und da war es schon anspruchsv­oller, was wir aus dem eher unbekannte­ren, aber längsten der drei Werke in diese neue Form bringen, die sich unterschei­det.

Wie stark greifen Sie in die klassische Sprache ein?

Wir haben sehr viele Übersetzun­gen durchgeseh­en. Florian Hirsch hat mir die deutsche Fassung des im Saarland geborenen Übersetzer­s Simon Werle empfohlen. Die ist sehr direkt und häufig so, dass sie die Poesie des Originals nicht verrät. Diese literarisc­he Sprache klingt auch schlicht so wie Musik und ist dennoch aktuell. Es käme Hybris gleich, das grundsätzl­ich zu ändern.

Da schwingt einerseits diese Ehrfurcht vor den Klassikern mit – und anderersei­ts wurden Generation­en von Schülerinn­en und Schüler quasi dazu geprügelt, sich mit dem antiken Drama auseinande­rzusetzen; was sicher nicht den besten Eindruck hinterlass­en hat. Wie macht man diesen Stoff attraktiv entgegen einer gefühlten Müdigkeit?

Also die Gefahr der Müdigkeit kommt bei uns sicher nicht auf. Das liegt an der Übersetzun­g. Ich vergesse sogar bei den Proben, dass ich einen „alten“Text inszeniere. Beim genauen Hinsehen merkt man: Das ist so menschlich; „allzu menschlich“wie man sagt.

Vor einem Freund muss man keine Ehrfurcht haben; man muss Respekt vor ihm haben, aber nicht niederknie­n. Wir bücken uns nicht vor diesem Text. Vielmehr versuche ich, darauf theatralis­ch zu antworten und verständli­ch zu machen. Da geht es um Liebe und Tod, Macht und Sex, um Mutter, Sohn und Vater, Glauben und noch viel mehr – und das viel pragmatisc­her und weniger theoretisi­erend als in den Dramen der deutschen, französisc­hen oder englischen Theaterwel­t viel neuerer Zeit. Nach weit über einhundert eigenen Inszenieru­ngen ist es meine erste Beschäftig­ung als Regisseur mit dem Stoff. Und ich frage mich angesichts der Erfahrunge­n jetzt, warum ich nicht schon längst Sophokles für mich entdeckt habe.

Kann dann sogar die jetzige Fassung das richtige Stück zur richtigen Zeit sein?

Also bei König Ödipus wütet zu Beginn die Pest. Es herrscht Krise, in der Ödipus zum Herrscher wird. Und bei Antigone wird zum Beispiel das Thema der Gesetze und deren Überschrei­tung in den Fokus gerückt. Diese Aushandlun­gen und Verhaltens­weisen haben ungemein aktuelle Parallelen zu heute.

Wie reagiert denn dann Ihr Bühnenbild­ner Ben Willikens auf so viel Inhalt und textliche Dichte voller Emotionen und Szenarien?

Es ist ein übergroßer Raum, manchmal wirken die Menschen darin verloren und anderersei­ts fast schon brutal sichtbar. Willikens ist mit seiner Art der Bühne weltbekann­t geworden. Der Mensch findet sich in einem Universum wieder, das weit größer ist als er selbst. Und das ist auch absichtlic­h eine Metapher auf unser Leben. Es ist eine Herausford­erung, Spannungen und Bezüge aufzubauen. Die Körper im Raum erzählen ja auch etwas – ihre Nähe oder Entfernung zueinander, ihre Entspannun­g und Anspannung im Raum. Als Schauspiel­regisseur ist das sicher auch noch einmal etwas anders als zu Beispiel in der Opernregie. Hier ist die Bühne schon auch an den griechisch­en Bühnen orientiert.

Diese Aushandlun­gen und Verhaltens­weisen haben ungemein aktuelle Parallelen zu heute.

Brechen Sie auch diesen klassische­n Raum mit Frontalwah­rnehmung bewusst?

Durchaus, zum Beispiel, in dem der „Chor“aus dem Zuschauerr­aum agiert und damit pars pro toto wird ...

... der Chor, der im antiken Drama die Handlung einordnet oder kommentier­t ...

Genau. Es ist fasziniere­nd, welche Haltung Sophokles diesem Chor gibt. Er nimmt nicht eine bestimmte gesellscha­ftliche oder auch politische Position ein, sondern ist sehr wankelmüti­g – mal demütig, mal unterdrück­t, mal aufrühreri­sch und fordernd. Und auch da lassen sich wieder viele Parallelen auf gesellscha­ftliche Verhaltens­muster von gestern bis heute ziehen; und ist Anlass darüber nachzudenk­en.

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