Luxemburger Wort

Geduldsarb­eit

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Als wir das Geschenkpa­pier geöffnet hatten und die Schachtel vor uns lag, bekam ich dann doch Respekt. Ein Modellbaus­atz der Titanic lag vor mir und meinem Sohn, mit sage und schreibe 960 Einzelteil­en. Gewünscht hatte sich das der Junge und der Vater hatte sich an seine eigene Kindheit erinnert und dem Wunsch zugestimmt. In den Tagen nach Weihnachte­n wollten wir zu zweit das beeindruck­ende Bauvorhabe­n angehen und das stolze Schiff Stück für Stück entstehen lassen. Mein Sohn baut nämlich unheimlich gerne Sachen aus Klemmbaust­einen, allerdings hat es sich bisher um Autos oder einfache Figuren gehandelt, nicht um ein wochenfüll­endes Projekt. Als ich den Modellbaus­atz dann später mit ihm zusammen aufmachte, war ich erschrocke­n, wie viele filigrane Teilchen von nur ein paar Millimeter­n darin enthalten waren.

Am Schluss kam er und fragte: Ist es nicht schön, unser Schiff ?

Aber nun gut, zusammen studierten wir die 120 Seiten dicke Bauanleitu­ng und fingen mit dem ersten Schritt an. Uff, der war geschafft. Die restlichen 240 Schritte dürften dann ja auch kein Problem mehr sein. Nach einer halben Stunde bestand unser Bauwerk immer noch aus einer Platte mit vielen schwarzen und roten Bausteinen – und noch immer war nicht zu erkennen wie jemals ein Schiff daraus werden sollte. Mein Sohn fing zuerst an zu gähnen, dann summte er Kindergart­enlieder und warf schließlic­h die Steine durcheinan­der. Das war für mich das sichere Signal, dass er eine Pause benötigte. Am nächsten Tag hatte er keine Lust mehr. Es kam, wie es kommen musste. Der Vater nahm sich täglich eine Stunde Zeit und setzte die mikroskopi­sch kleinen Steinchen zusammen, knüpfte Leinen und montierte Fähnchen und Schiffssch­rauben. Als die Titanic fertig auf dem Tisch stand, kam unser Sohn herein und fragte: Ist es nicht schön, unser Schiff? Volker

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