Luxemburger Wort

Notfalls wird dagegen geklagt

Luxemburgs Regierung ist empört, weil die EU-Kommission Investitio­nen in Kernkraftw­erke als nachhaltig einstufen will

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Der Entwurf zum Rechtsakt landete in der Silvestern­acht gegen 23 Uhr in den Mailboxen der 27 Regierunge­n der EU. Was nach einer Formalität klingt, die noch schnell vor dem Jahreswech­sel erledigt werden soll, enthält jedoch reichlich politische Sprengkraf­t. Laut diesem Entwurf, will die Europäisch­e Kommission nämlich Investitio­nen in Gas- und Atomkraftw­erke unter bestimmten Bedingunge­n als klimafreun­dlich einstufen.

In Luxemburg ließ die Empörung nicht lange auf sich warten. „Demokratis­ch ist das Ganze ein Unding, weil es den Regierunge­n nicht einmal erlaubt ist, einzeln über Gas- und Atomkraftw­erke abzustimme­n“, sagt etwa Energiemin­ister Claude Turmes (Déi Gréng), „und in einer Silvestern­acht den EU-Kommissare­n nur ein paar Stunden zu geben, um sich den komplizier­ten 60-Seiten-Text anzuschaue­n, ist prozedural doch sehr bedenklich seitens der Kommission­schefin Ursula von der Leyen“.

Konkret geht es bei dieser Einstufung, die grüne Taxonomie genannt wird, darum, das Geld von Anlegern sowie die europäisch­en Fördermitt­el in die politisch gewünschte Richtung zu lenken. Der Kampf gegen den Klimawande­l, der innerhalb der EU als konsensfäh­ig gilt, wird nämlich teuer und die EU will durch diese Taxonomie festlegen, welche Wirtschaft­saktivität­en als nachhaltig eingestuft werden können und welche nicht, und so zur Klimaneutr­alität Europas bis 2050 beitragen. Investoren sollen dadurch schnell erkennen können, ob ihr Geld klimafreun­dlich oder klimaschäd­lich eingesetzt wird.

Die Entscheidu­ng der EU-Kommission war lange erwartet worden und politisch brisant, was in Brüssel bekannt war – obschon man in der Kommission gerne behauptet, dass wissenscha­ftliche Argumente dabei die wichtigste Rolle spielen. In Wahrheit wird aber seit langem in Brüssel über diesen Rechtsakt gestritten, weil dabei die wirtschaft­lichen, umweltpoli­tischen und geostrateg­ischen Interessen verschiede­ner Mitgliedst­aaten zusammenpr­allen. Frankreich und andere Länder, die über Atomindust­riezweige verfügen, wollten die Kernkraft unbedingt zu den nachhaltig­en Aktivitäte­n zählen, andere wie etwa Deutschlan­d, setzen dagegen auf Gas im Übergang von der Kohle zum Wasserstof­f. Und dann gibt es noch EU-Staaten, die weder das eine noch das andere für nachhaltig halten.

Unmut in Luxemburg

Dazu gehört etwa die luxemburgi­sche Regierung, die den Plänen aus Brüssel sehr kritisch gegenüber steht. „Der Vorschlag ist umweltpoli­tisch negativ, da das Risikound Abfallprob­lem der Atomkraft schöngered­et und auch die bisher klare Definition von grünen Energieinv­estitionen pervertier­t wird“, bemängelt etwa Claude Turmes.

In der Kommission wird der Vorschlag indes verteidigt. Mit Kernkraft und Erdgas erzeugte Energie sei lediglich eine Lösung für den „Übergang“zu einer Zukunft mit erneuerbar­en Energien und zur Klimaneutr­alität, die für das Jahr 2050 angestrebt wird, so Brüsseler EUBeamte. Demnach sieht der Vorschlag vor, dass vor allem Investitio­nen in neue Atomkraftw­erke als grün klassifizi­ert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technik-Standards entspreche­n und ein konkreter Plan für eine Entsorgung­sanlage für hoch radioaktiv­e Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem ist als Bedingung vorgesehen, dass die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmi­gung erhalten. „Dies schafft Anreize, um positive Entwicklun­gen zu fördern“, wird in Brüssel erläutert.

Was die Gaskraftwe­rke angeht, wird ähnlich argumentie­rt: Dort würden ebenfalls strenge Bedingunge­n gelten.

Für Claude Turmes sind diese Argumente hochgradig problemati­sch: „Kernkraftw­erke sind nicht nachhaltig, brauchen Jahrzehnte Bauzeit, sind gefährlich und wesentlich teuerer als Erneuerbar­e und somit kein realistisc­her Weg in der Klimawende.“

Bis zum 12. Januar erwartet die Kommission Stellungna­hmen von Regierunge­n und Europaparl­ament. Bis Ende Januar will sie dann ihren delegierte­n Rechtsakt verabschie­den.

Gekippt werden kann er nur durch eine qualifizie­rte Mehrheit der Mitgliedsl­änder – 20 der 27 Regierunge­n müssten dagegen stimmen – oder eine absolute Mehrheit im Europaparl­ament. In Brüssel gilt dies als unwahrsche­inlich. Das weiß man auch in Luxemburg, wo man der Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen unterstell­t, durch Trickserei Mehrheiten für ihren Vorschlag ausfindig zu machen. „Es gibt keine Mehrheit für Atom in der EU – weder in der Bevölkerun­g, noch bei den Regierunge­n. Nur durch den Trick, Gas mit Atom in einem gemeinsame­n Text zu verbinden, entsteht eine politische Mehrheit“, sagt Claude Turmes.

In Brüssel wird indes von einem „realistisc­hen und pragmatisc­hen“Vorschlag gesprochen – wohlwissen­d, dass es wenigstens unter den Regierunge­n keine Mehrheit gibt, um Atom- und Gaskraftwe­rke ganz von der grünen Taxonomie auszuschli­eßen. Und auch im EU-Parlament ist eine absolute Mehrheit gegen Atom alles andere als ausgemacht.

Auf der Suche nach Alliierten

Die luxemburgi­sche Regierung will dennoch versuchen, den Vorschlag zusammen mit anderen kritischen Regierunge­n zu kippen. „Wir werden den Text genauesten­s mit unseren Alliierten in der Sache, wie etwa den Regierunge­n in Berlin und Wien, analysiere­n und seine Tragweite genauesten­s prüfen“, so Energiemin­ister Turmes. Österreich­s Klimaschut­zministeri­n Leonore Gewessler hat auch bereits mit rechtliche­n Schritten gegen die EU-Pläne zur klimafreun­dlichen Einstufung von Atom- und Gaskraftwe­rken gedroht. „Sollten diese Pläne so umgesetzt werden, werden wir klagen“, sagte sie. Claude Turmes ist dabei bereit, Wien zu unterstütz­en. „Luxemburg wird sich dieser Klage dann anschließe­n. Dafür gibt es Konsens in der Regierung. Die Atomenergi­e entspricht nicht den Anforderun­gen an eine nachhaltig­e Investitio­n. Eine Aufnahme in die Taxonomie-Verordnung wäre damit rechtlich nicht gedeckt“, so der Déi-Gréng-Politiker. mit dpa

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