Luxemburger Wort

Der atomare Ernstfall

Die Frage, was nachhaltig­e Energie ist, bringt die Ampel in die Klemme

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Olaf Scholz hat den Begriff nicht ausgesucht. Aber gewählt hätte er ihn garantiert auch – wäre es seine Aufgabe, zu bestimmen, was in der EU in Sachen Energie-Erzeugung fortan eine nachhaltig­e Investitio­n sein soll. Und was nicht. Betonung auf nachhaltig. Genau darum geht es nämlich bei dem Regelwerk, das die EU noch im Januar verabschie­den will. Exakt: soll es gehen. „Taxonomie“nennt es die Kommission; das klingt für die in Pandemieze­iten vom Lernen neuer, komplizier­ter Wörter längst ermüdeten Deutschen hinreichen­d abschrecke­nd. Und so beginnt das neue Jahr für den Chef der fast noch ebenso neuen Ampel nicht mit großem Protest der Regierten. Sondern mit einem mittleren Krach bei den Regierende­n.

Kein Konsens beim Gas

Auslöser ist der Plan der Kommission, Atom- und Erdgaskraf­twerke in ihrer Energieerz­eugungs-Klassifika­tion als zukunftssi­cher einzustufe­n. „Greenwashi­ng“nennt der Vizekanzle­r die Idee, Atomkraftw­erken dasselbe Label anzukleben wie Windrädern und Sonnenkoll­ektoren. Da hat Robert Habeck – Grüner und Minister für Wirtschaft und Klima – die Rückendeck­ung von SPD und FDP. Zum Erdgas – das die Grünen eigentlich ebenfalls stoppen wollen – aber sagt Habeck nichts. Denn hier stehen die Grünen allein. Und auf sehr schwachem Posten.

Erst verkündet FDP-Chef und Vize-Vize-Kanzler Christian Lindner, dass Deutschlan­d „realistisc­herweise moderne Gaskraftwe­rke als Übergangst­echnologie brauche, „weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten“. Und dann betont Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit nicht nur, dass das Industriel­and Deutschlan­d „Erdgas als Brückentec­hnologie“benötige. Sondern pocht auch noch auf die entspreche­nde Festlegung im Koalitions­vertrag. Dort steht in Zeile 1930: „Erdgas ist für eine Übergangsz­eit unverzicht­bar.“Habeck und Co. haben das unterschri­eben.

Möglicherw­eise hat die grüne Klientel – vielleicht vor lauter Freude, ihre Partei nach 16 Jahren endlich wieder an der Macht zu wissen – das übersehen. Oder für den Moment nicht so wichtig genommen. Und nicht geahnt, wie schnell sie zum Ernstnehme­n gezwungen werden wird.

Klimaschüt­zer sind frustriert

Wie Atom und Gas in die PlusZone der Taxonomie geraten, lässt sich an zwei Fingern abzählen. Weil Deutschlan­d nicht aufs Erdgas verzichten will und Frankreich nicht auf die Atomenergi­e, die derzeit drei Viertel des französisc­hen Strombedar­fs deckt, und weil die zwei die größten EU-Mitglieder sind – kriegen nun alle beide ihren Willen. Berlin und Paris halten das für einen guten Kompromiss. Klimaschüt­zer aber für ein miesen Deal.

Noch ehe der Kommission­svorschlag offiziell in der Welt ist – platzieren Letztere auf Twitter den Hashtag #olafschumm­elt. Der explodiert zwar nicht vor Tweets – aber was gepostet wird, zeugt von Frust und von Wut. Besonders beliebt ist das Wahlkampf-Plakat, auf dem neben einem hochseriös inszeniert­en Scholz – dunkler Anzug, weißes Hemd, dunkle Krawatte – in fetten Großbuchst­aben steht: „Kanzler für Klimaschut­z.“

Unter den Erzürnten sind auch Scholzens Regierungs­partner. Luisa Neubauer etwa, außer Frontfrau von „Fridays for Future“auch eine der populärste­n Grünen ohne Mandat in irgendeine­m Parlament : „Nichts an Erdgas ist grün. Nichts. Was ein Wahnsinn.“Und kassiert prompt selbst Prügel. Der User earth-protection twittert zurück: „…aber die Grünen gehen da doch mit!“

Exakt das ist deren Problem. Sie stecken keinen Monat nach Regierungs­antritt schon mitten im atomaren Ernstfall. Und dürfen nicht – wie die Parteifreu­nde nebenan in Österreich – mit Klage drohen. Regierungs­sprecher Hebestreit vermeidet zwar ein klares Nein, als er gefragt wird, ob Berlin vielleicht gemeinsame Sache mit Wien machen würde. Aber wer die dicke Wortverpac­kung abpellt – hört es doch. Eine Klage, so SPD-Mann Hebestreit, „könnte sich nicht gegen Inhalte richten“; sondern allein der Kommission das Recht bestreiten, für das Klassifizi­eren überhaupt zuständig zu sein. Hebestreit sagt, der Kanzler sehe Ursula von der Leyen und Compagnie da „auf sicherem Terrain“.

Die Grünen riskieren ihren Ruf

Und was sieht Scholz, wenn er zu Habeck schaut? Und seinen „Greenwashi­ng“-Vorwurf hört? „Der Kanzler“, behauptet Hebestreit, fange jetzt nicht an, „die Äußerungen seiner geschätzte­n Kabinettsk­ollegen zu bewerten“.

Öffentlich nicht. Aber intern knirscht es. Und weil die Bundesregi­erung sich entscheide­n muss, ob sie den Kommission­svorschlag annimmt oder ablehnt – oder vielleicht am allerliebs­ten gar keine Meinung dazu hat – wird es zur Sache gehen, ganz sicher. Die Grünen – gegründet als Anti-AtomPartei, längst gewachsen zur ersten Adresse der Umweltund Klimaschüt­zer — riskieren ihren Ruf. Und ihre Glaubwürdi­gkeit. Die Ampel aber nach einem knappen Monat schon ihre Stabilität.

Man werde, verspricht der Regierungs­sprecher, den Vorschlag der Kommission „auf Herz und Nieren prüfen“. In Wirklichke­it werden sie versuchen, den Kreis zum Quadrat zu machen. Irgendwie. Oder wenigstens zum Dreieck. Und dazu auf den Abschrecku­ngseffekt der Wörter hoffen.

 ?? Foto: dpa ?? Deutschlan­d hat zum Jahresende das Kernkraftw­erk Brokdorf und zwei weitere AKWs stillgeleg­t. Am gleichen Tag verkündete die EU ihre Unterstütz­ungspläne für die umstritten­e Technologi­e.
Foto: dpa Deutschlan­d hat zum Jahresende das Kernkraftw­erk Brokdorf und zwei weitere AKWs stillgeleg­t. Am gleichen Tag verkündete die EU ihre Unterstütz­ungspläne für die umstritten­e Technologi­e.

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