Wer zu laut protestiert, kommt hinter Gitter
Mit einem neuen Polizeigesetz will die britische Regierung das Recht auf friedlichen Protest stark eingrenzen
Die britische Regierung inszeniert sich gern als wackere Freiheitskämpferin. Boris Johnson redet konstant von den „neuen Freiheiten“, die der Brexit dem Land beschert habe, und während der Pandemie bestand seine größte Sorge offensichtlich darin, dass den Britinnen und Briten unnötige Vorschriften gemacht werden könnten. „Einschränkungen unserer Freiheiten müssen das absolut letzte Mittel sein“, um die derzeitige Omikron-Welle zu brechen, sagte Gesundheitsminister Sajid Javid am Wochenende. Aber während die Regierung solch große Worte spricht, verfolgt sie einen zunehmenden Autoritarismus, der die Rechte der Briten immer stärker beschneidet.
Drakonisches Gesetz
Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist ein drakonisches Gesetz, mit dem Innenministerin Priti Patel auf die Unterbindung friedlicher Proteste abzielt. Das sogenannte „Policing Bill“, das derzeit durchs Parlament geht, gibt der Polizei weitreichende neue Befugnisse. So sollen beispielsweise Personenkontrollen erleichtert werden – die Polizei bräuchte nicht einmal einen Verdacht, dass jemand eine Straftat begangen hat, um die Person zu filzen. Zudem wird das Recht, sich frei zu bewegen, stark eingeschränkt: Wer sich ohne die Einwilligung des Besitzers auf einem Grundstück aufhält, macht sich strafbar – eine Regelung, die offensichtlich auf Fahrende und Roma abzielt.
Insbesondere nimmt das Innenministerium friedliche Demonstrationen ins Visier: Die Polizei kann laut dem neuen Gesetz genaue Anfangs
und Endzeiten für Proteste vorschreiben, und sie darf eine Kundgebung verbieten, wenn sie zu viel Lärm macht oder als „störend“empfunden wird.
Selbst manche konservative Abgeordnete halten dies für völlig überzogen: Ein überparteilicher Parlamentsausschuss warnte im Juni, dass die Vorlage unter Umständen gegen das Demonstrationsrecht verstößt – und damit einen Bruch der Menschenrechte darstellt. „Es ist bedenklich, dass die Rhetorik (des Innenministeriums) die Unannehmlichkeiten, die Proteste zuweilen verursachen, in den Vordergrund stellt, und nicht den Wert, den sie für die Gesellschaft haben“, schreiben die Abgeordneten.
Vorlage weiter verschärft
Aber die Regierung ließ sich davon nicht beeindrucken. Im November verschärfte sie die Vorlage noch einmal – das Innenministerium war offensichtlich genervt wegen der Klima-Demonstranten, die im Herbst Autobahnen blockiert hatten. So führte sie kurzum eine neue Klausel ein: Wer den Bau einer Straße blockiert oder sich während eines Protests an ein
Objekt kettet, soll künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 51 Wochen bestraft werden.
Laut diesen Bestimmungen könnte selbst Priti Patels heutiger Chef in Konflikt mit den Strafbehörden geraten: 2016 hatte Boris Johnson versprochen, sich selbst vor die Bulldozer zu legen, um den Ausbau des Londoner Flughafens Heathrow zu stoppen. Sollte er sein Versprechen wider Erwarten einlösen wollen, könnte ihn die Polizei gemäß Patels Wünschen schon auf dem Weg zum Flughafen verhaften.
Der Widerstand gegen die Gesetzesvorlage
ist breit. Letztes Jahr protestierten Tausende Britinnen und Briten immer wieder gegen das „Policing Bill“, in London, Glasgow, Bristol und anderen Städten. Dutzende Bürgerrechtsorganisationen haben Alarm geschlagen. „Ein solch enormer und beispielloser Ausbau der Polizeibefugnisse würde zu viel Macht in die Hände des Staates legen“, schreibt Amnesty International.
Insbesondere ethnische Minderheiten, die in der britischen Strafjustiz bereits jetzt stark diskriminiert werden, würden durch das neue Gesetz noch mehr benachteiligt. Die Vorlage sei ein „Angriff auf unsere jahrhundertealten Rechte der Bewegungs-, Meinungsund Versammlungsfreiheit“, schreibt Amnesty, und sie sei „völlig unvereinbar mit dem Selbstbild Großbritanniens als ein Ort der Freiheit.“
Ramponierter Ruf
Der Vorstoß des Innenministeriums kommt zu einem Zeitpunkt, an dem der Ruf der Polizei bereits stark ramponiert ist. Im vergangenen Jahr hat insbesondere die Londoner Polizeibehörde immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt. Sie ist zum Beispiel rabiat vorgegangen gegen gewaltlose Proteste, etwa eine Mahnwache für Sarah Everard, die im März von einem Polizeibeamten ermordet worden war. Aber andererseits hat sie darauf verzichtet, offensichtliche Regelverstöße von Regierungsmitgliedern während der Covid-Lockdowns zu ahnden.
Sollte das Gesetz durchkommen – es wird derzeit im Oberhaus debattiert – wollen die Demonstranten nicht aufgeben: Sie haben eine Kampagne des zivilen Ungehorsams angekündigt.