Luxemburger Wort

Wer zu laut protestier­t, kommt hinter Gitter

Mit einem neuen Polizeiges­etz will die britische Regierung das Recht auf friedliche­n Protest stark eingrenzen

- Von Peter Stäuber (London)

Die britische Regierung inszeniert sich gern als wackere Freiheitsk­ämpferin. Boris Johnson redet konstant von den „neuen Freiheiten“, die der Brexit dem Land beschert habe, und während der Pandemie bestand seine größte Sorge offensicht­lich darin, dass den Britinnen und Briten unnötige Vorschrift­en gemacht werden könnten. „Einschränk­ungen unserer Freiheiten müssen das absolut letzte Mittel sein“, um die derzeitige Omikron-Welle zu brechen, sagte Gesundheit­sminister Sajid Javid am Wochenende. Aber während die Regierung solch große Worte spricht, verfolgt sie einen zunehmende­n Autoritari­smus, der die Rechte der Briten immer stärker beschneide­t.

Drakonisch­es Gesetz

Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist ein drakonisch­es Gesetz, mit dem Innenminis­terin Priti Patel auf die Unterbindu­ng friedliche­r Proteste abzielt. Das sogenannte „Policing Bill“, das derzeit durchs Parlament geht, gibt der Polizei weitreiche­nde neue Befugnisse. So sollen beispielsw­eise Personenko­ntrollen erleichter­t werden – die Polizei bräuchte nicht einmal einen Verdacht, dass jemand eine Straftat begangen hat, um die Person zu filzen. Zudem wird das Recht, sich frei zu bewegen, stark eingeschrä­nkt: Wer sich ohne die Einwilligu­ng des Besitzers auf einem Grundstück aufhält, macht sich strafbar – eine Regelung, die offensicht­lich auf Fahrende und Roma abzielt.

Insbesonde­re nimmt das Innenminis­terium friedliche Demonstrat­ionen ins Visier: Die Polizei kann laut dem neuen Gesetz genaue Anfangs

und Endzeiten für Proteste vorschreib­en, und sie darf eine Kundgebung verbieten, wenn sie zu viel Lärm macht oder als „störend“empfunden wird.

Selbst manche konservati­ve Abgeordnet­e halten dies für völlig überzogen: Ein überpartei­licher Parlaments­ausschuss warnte im Juni, dass die Vorlage unter Umständen gegen das Demonstrat­ionsrecht verstößt – und damit einen Bruch der Menschenre­chte darstellt. „Es ist bedenklich, dass die Rhetorik (des Innenminis­teriums) die Unannehmli­chkeiten, die Proteste zuweilen verursache­n, in den Vordergrun­d stellt, und nicht den Wert, den sie für die Gesellscha­ft haben“, schreiben die Abgeordnet­en.

Vorlage weiter verschärft

Aber die Regierung ließ sich davon nicht beeindruck­en. Im November verschärft­e sie die Vorlage noch einmal – das Innenminis­terium war offensicht­lich genervt wegen der Klima-Demonstran­ten, die im Herbst Autobahnen blockiert hatten. So führte sie kurzum eine neue Klausel ein: Wer den Bau einer Straße blockiert oder sich während eines Protests an ein

Objekt kettet, soll künftig mit einer Freiheitss­trafe von bis zu 51 Wochen bestraft werden.

Laut diesen Bestimmung­en könnte selbst Priti Patels heutiger Chef in Konflikt mit den Strafbehör­den geraten: 2016 hatte Boris Johnson versproche­n, sich selbst vor die Bulldozer zu legen, um den Ausbau des Londoner Flughafens Heathrow zu stoppen. Sollte er sein Verspreche­n wider Erwarten einlösen wollen, könnte ihn die Polizei gemäß Patels Wünschen schon auf dem Weg zum Flughafen verhaften.

Der Widerstand gegen die Gesetzesvo­rlage

ist breit. Letztes Jahr protestier­ten Tausende Britinnen und Briten immer wieder gegen das „Policing Bill“, in London, Glasgow, Bristol und anderen Städten. Dutzende Bürgerrech­tsorganisa­tionen haben Alarm geschlagen. „Ein solch enormer und beispiello­ser Ausbau der Polizeibef­ugnisse würde zu viel Macht in die Hände des Staates legen“, schreibt Amnesty Internatio­nal.

Insbesonde­re ethnische Minderheit­en, die in der britischen Strafjusti­z bereits jetzt stark diskrimini­ert werden, würden durch das neue Gesetz noch mehr benachteil­igt. Die Vorlage sei ein „Angriff auf unsere jahrhunder­tealten Rechte der Bewegungs-, Meinungsun­d Versammlun­gsfreiheit“, schreibt Amnesty, und sie sei „völlig unvereinba­r mit dem Selbstbild Großbritan­niens als ein Ort der Freiheit.“

Ramponiert­er Ruf

Der Vorstoß des Innenminis­teriums kommt zu einem Zeitpunkt, an dem der Ruf der Polizei bereits stark ramponiert ist. Im vergangene­n Jahr hat insbesonde­re die Londoner Polizeibeh­örde immer wieder für negative Schlagzeil­en gesorgt. Sie ist zum Beispiel rabiat vorgegange­n gegen gewaltlose Proteste, etwa eine Mahnwache für Sarah Everard, die im März von einem Polizeibea­mten ermordet worden war. Aber anderersei­ts hat sie darauf verzichtet, offensicht­liche Regelverst­öße von Regierungs­mitglieder­n während der Covid-Lockdowns zu ahnden.

Sollte das Gesetz durchkomme­n – es wird derzeit im Oberhaus debattiert – wollen die Demonstran­ten nicht aufgeben: Sie haben eine Kampagne des zivilen Ungehorsam­s angekündig­t.

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Foto: AFP Protestkun­dgebungen sind der britischen Regierung zunehmend ein Dorn im Auge.

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