Luxemburger Wort

Seit 1 000 Tagen im Hochsicher­heitsknast

Mörder, Vergewalti­ger und Terroriste­n sitzen im Londoner Gefängnis Belmarsh für Schwerverb­recher – warum sitzt Julian Assange dort?

- Archivfoto: dpa

London. Als Stanley Kubrick einen Drehort für seinen Film „Clockwork Orange“über die Gewaltorgi­en einer Gruppe junger Männer suchte, wählte er den Londoner Vorort Thamesmead. Die Trostlosig­keit der Architektu­r des Brutalismu­s mit riesigen Wohnsilos aus nacktem Beton wird dort nur noch übertroffe­n von den haushohen Mauern des Hochsicher­heitsgefän­gnisses Belmarsh. Hier sitzen die gefährlich­sten Verbrecher des Vereinigte­n Königreich­s: Mörder, Vergewalti­ger und Terroriste­n. Und hier wird Wikileaks-Gründer Julian Assange festgehalt­en. An diesem Mittwoch sind es 1 000 Tage seit seiner Festnahme im April 2019.

Der 50 Jahre alte Australier war zunächst zu knapp einem Jahr Haft wegen Verstoßes gegen seine Kautionsau­flagen verurteilt worden. Er hatte sich zuvor jahrelang in der ecuadorian­ischen Botschaft dem Zugriff der Behörden entzogen, die ihn wegen Vergewalti­gungsvorwü­rfen in Schweden suchten. Die Vorwürfe wurden später jedoch aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. Seit fast zwei Jahren wird er nun ohne Verurteilu­ng festgehalt­en, denn die USA fordern seine Auslieferu­ng.

Schwerer juristisch­er Rückschlag Im juristisch­en Tauziehen mit Washington musste Assange erst vor kurzem einen heftigen Rückschlag hinnehmen. Der Londoner High Court gab dem Berufungsa­ntrag der USA statt und hob das von einem anderen Gericht verhängte Auslieferu­ngsverbot wieder auf. Nun warten die Anwälte Assanges darauf, die Erlaubnis für eine erneute Berufung vor dem obersten britischen Gericht, dem Supreme Court, zu erhalten. Für Assange geht die Ungewisshe­it also weiter.

Die US-Justiz wirft ihm vor, gemeinsam mit der Whistleblo­werin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militärein­sätzen im Irak und in Afghanista­n sowie eine riesige Zahl diplomatis­cher Depeschen gestohlen und auf der Internetpl­attform Wikileaks veröffentl­icht zu haben. Damit sei das Leben

amerikanis­cher Informante­n in vielen Ländern in Gefahr gebracht worden. Für die US-Ermittler ist Assange ein Spion. Ihm droht ein Strafmaß von bis zu 175 Jahren.

Doch seine Unterstütz­er argumentie­ren, die Veröffentl­ichungen hätten Kriegsverb­rechen aufgedeckt.

Der Gründer von WikiLeaks, Julian Assange. Beispielsw­eise zeigte ein Video die Tötung von Zivilisten durch die Besatzung eines USHubschra­ubers im Irak. Anders als Assange musste sich von den beteiligte­n Soldaten bislang kein einziger vor Gericht verantwort­en.

Assanges Angehörige, vor allem seine Verlobte Stella Moris, machen sich Sorgen um seine Gesundheit. Und während bislang sein psychische­s Wohlergehe­n im Vordergrun­d stand, scheint ihm seine Situation auch immer stärker körperlich zuzusetzen. Kurz nach dem jüngsten Urteil teilte Moris mit, Assange habe einen kleinen Schlaganfa­ll erlitten, aus Stress über das Gezerre vor Gericht. „Julian quält sich und ich fürchte, dieser Mini-Schlaganfa­ll könnte der Vorläufer für einen größeren Anfall sein“, sagte sie.

Es geht um ein Exempel

Ein Mann, der sich seit Jahren unbeirrt für die Freilassun­g Assanges einsetzt, ist der UN-Sonderberi­chterstatt­er über Folter, Nils Melzer. Der Schweizer Rechtsprof­essor

spricht inzwischen von einer Täuschung, der sich Behörden in dem Fall bedienten. „Wenn Sie denken, dass Assange ein Verräter, ein Vergewalti­ger und ein Hacker ist, verurteilt­e ich Sie dafür nicht. Sie sind getäuscht worden“, sagte Melzer der US-Youtuberin Katie Halper Ende des vergangene­n Jahres. Er fügte hinzu: „Ich konnte nicht fassen, wie viel Korruption mir in diesem Fall begegnet ist“.

Für Melzer ist die Lage klar: An Assange soll ein Exempel statuiert werden. „Die Absicht dieser Strafverfo­lgung ist nicht, Assange für ein echtes Verbrechen zu bestrafen, das er begangen hat“, sagte Melzer. Alles, was ihm vorgeworfe­n werden könne, sei die Veröffentl­ichung von Material, das ihm zugespielt worden sei und dessen Inhalt von öffentlich­em Interesse sei.

Es gehe daher in Wirklichke­it darum, andere Journalist­en einzuschüc­htern, die ähnlich brisantes Material in die Hände bekämen, so der UN-Experte. dpa

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg