Europas neues Steuerparadies
Griechenland will Rentner, Freiberufler und Auswanderer zu einem Umzug ans Mittelmeer bewegen
Die Braut strahlt über das ganze Gesicht, der Bräutigam auch. Die Kirche im 150-Seelendorf Sfelinos, Altersdurchschnitt der Bewohner: über 70, im agrarisch geprägten Nordosten Griechenlands gelegen, ist proppenvoll. Die feierliche Zeremonie beginnt, nach knapp einer Stunde sind Prokopis Kalogiannis, 35, groß, schlank, sportlich, verschmitztes Clooney-Lächeln, und seine bildhübsche Frau Vaja, 27, ein Ehepaar. Prokopis Kalogiannis lebt schon längst nicht mehr in Sfelinos, seine Jugendliebe Vaja auch nicht mehr im Nachbardorf. Seit drei Jahren arbeiten sie in der deutschsprachigen Schweiz, sie wohnen in Lenzburg im Kanton Aargau.
Prokopis ist Bauarbeiter, Vaja Ärztin. Beide verdienen gut. Im Herbst 2018, als Vaja ihr Medizinstudium an der Universität Thessaloniki abschloss, trafen sie die Entscheidung, Griechenland den Rücken zu kehren. Ihr Ziel: die Schweiz. Nach Griechenland kommen sie nur noch, um Urlaub zu machen – oder eben das Ja-Wort zu geben. Dann geht es wieder in die Schweiz. Bereut haben sie den Schritt, in Hellas alle Zelte abzubrechen, jedenfalls nicht. „Wir wollen eine Familie gründen. In Griechenland geht das nur schwer“, erklärt Prokopis Kalogiannis.
Das frischgebackene Ehepaar ist kein Einzelfall. 530 000 meist junge, gut ausgebildete Griechen und Griechinnen verließen nach dem faktischen Staatsbankrott Griechenlands im Frühjahr 2010 ihre Heimat, um fernab von Hellas auf einen grünen Zweig zu kommen, wie eine im März 2020 präsentierte Studie der Forschungsgruppe „Greek Diaspora Project“an der Universität Oxford ergab. Alleine 160 000 Hellenen wanderten seither nach Deutschland aus, weitere 65 000 gingen nach Großbritannien, rund 12 000 zog es in die Schweiz. Fast die Hälfte der Auswanderer schließt eine baldige Rückkehr aus. Die Gründe dafür: In Griechenland erwarte sie ein schlechtes Gehalt, widrige Arbeitsbedingungen, keine Perspektive. So bleiben die Krisenauswanderer aus Hellas lieber dort, wo sie gerade sind: in ihrer Wahlheimat.
Steuernachlass für Heimkehrer
Das soll sich ändern. Die seit dem 8. Juli 2019 im Amt befindliche Regierung in Athen unter dem konservativen Premier Kyriakos Mitsotakis lockt im Ausland befindliche Arbeitnehmer, Selbstständige und Freiberufler damit, ihren Steuerwohnsitz nach Griechenland zu verlegen. Wer dies tut, bekommt einen Nachlass von 50 Prozent auf die Einkommensteuer. In Griechenland werden Löhne und Gehälter sowie Einkünfte aus einer selbstständigen oder freiberuflichen Tätigkeit mit neun Prozent für die ersten 10 000 Euro besteuert. Es folgen drei Steuerstufen mit einem Steuersatz von 22, 28 und 36 Prozent für die jeweils nächsten 10 000 Euro. Folglich hat der Steuerpflichtige 9 500 Euro für ein Einkommen bis 40 000 Euro an den hellenischen Fiskus abzuführen. Per gewährten Nachlass reduziert sich die Einkommensteuer auf 4 750 Euro. Der Spitzensteuersatz von 44 Prozent greift ab einem Einkommen von 40 000 Euro.
Auch hier gilt der Nachlass von 50 Prozent, nur 22 Prozent sind fällig. Die Vergünstigung gilt für sieben Jahre. Dabei hat die Regierung Mitsotakis vor allem Selbstständige der IT-Branche und Finanzbranche im Auge, die zu NeoGriechen in Sachen Steuerwohnsitz werden sollen. Der Gedanke dabei: Für diese „digitalen Migranten“spielt es keine Rolle, wo sie auf dem Globus arbeiten.
Seit dem Jahr 2021 gilt in Griechenland das Steuersparmodell. Das bisherige Ergebnis: Etwa 1 000 Anträge auf die Verlegung des Steuerwohnsitzes nach Griechenland seien gestellt worden, gab das Athener Finanzministerium bekannt. Wie viel der chronisch klamme Fiskus in Hellas neu eintreiben wird, wird man erst im laufenden Kalenderjahr 2022 wissen, wenn die Einkünfte der neuen Steuerpflichtigen in Griechenland erstmals deklariert werden. Doch Griechenland, Europas neues Steuerparadies, lockt zwei weitere Gruppen damit, fortan seine Steuern am Peloponnes zu entrichten: Reiche und wohlhabende Renter. Wer mindestens eine halbe Million Euro in Griechenland investiert, beispielsweise eine Immobilie kauft, zahlt unabhängig von der Einkommenshöhe eine Steuerpauschale von 100 000 Euro per annum. Dies sieht ein bereits im Dezember 2019 verabschiedetes Gesetz vor.
Im Jahr 2020 entschieden sich 20 Ultrareiche dazu, einen betreffenden Antrag bei den griechischen Steuerbehörden zu stellen. 18 Anträge von Privatinvestoren wurden genehmigt. Der griechische Fiskus trieb so 1,9 Millionen Euro ein. Im Jahr 2021 hat sich die Zahl der betuchten Investoren, die künftig in Griechenland steuerpflichtig sind, auf 57 erhöht. Die bislang insgesamt 75 Investoren in diesem Steuersparmodell stammen aus 21 Ländern.
Blieben noch die Rentner aus dem Ausland, die künftig 300 Sonnentage im Jahr inklusive großzügiger Steuervorteile in Griechenland genießen wollen. Wie das Athener Parlament im Juli 2020 beschloss, haben sie für ihre Ruhegelder eine Flatrate von lediglich sieben Prozent zu entrichten. Das Sahnehäubchen dabei ist, dass die RentnerFlatrate auch für Nebeneinkünfte wie Kapitalerträge und Mieteinnahmen gilt. Dafür muss man sich aber mehr
Die Bilanz in Europas neuem Steuerparadies fällt eher durchwachsen aus.
als 183 Tage im Jahr in Griechenland aufhalten. Die Steuervorteile gelten zudem nur für diejenigen, die in den letzten acht Jahren mindestens sieben Jahre lang nicht zu Füßen der Akropolis steuerpflichtig waren. Bis dato nahmen 157 Rentner aus 21 Ländern, davon aus 13 EU-Ländern, darunter 15 aus Deutschland, 16 aus der Schweiz und zwei aus Österreich, das griechische Steuer-Angebot an.
Im Jahr 2020 zahlten die ersten sieben Rentner, die hierzulande ihre Zelte aufschlugen, insgesamt 19 000 Euro an das griechische Finanzamt. Wieviel sie für das Jahr 2021 zu zahlen haben, steht ebenfalls noch aus.
Unattraktive Spitzengehälter
Unterm Strich fällt die Bilanz in Europas neuem Steuerparadies somit eher durchwachsen aus. Die Coronapandemie habe mehr Interessenten abgehalten, so die Lesart der Regierung. Das hehre Ziel: dem „Brain Drain“soll nun ein „Brain Gain“folgen, eine Situation, in der Hellas Migranten aus anderen Ländern anzieht, weil sie hier besser arbeiten und höhere Einkommen erzielen können.
Genau dies sei aber der springende Punkt, monieren Kritiker in Athen. Zwar habe sich die offizielle Arbeitslosigkeit von 28 Prozent im Juli 2013 derweil halbiert. Nun würden aber in Hellas mehrheitlich Teilzeitjobs ergattert oder prekäre Arbeitsstellen besetzt, mit miserablen Gehältern, wie sie betonen. Fest steht: Das griechische Durchschnittsgehalt betrug im Dezember 2019 genau 1.195,11 Euro brutto pro Monat, für einen Vollzeitjob wohlgemerkt. Ein Teilzeitjob brachte im Schnitt 417,67 Euro im Monat. Im Jahr 2020 fielen die hiesigen Gehälter um weitere 2,5 Prozent, in der EU betrug der Rückgang nur 0,6 Prozent. Für Topjobs in griechischen Großunternehmen werden Spitzengehälter von knapp 4.300 Euro pro Monat bezahlt. Das verdient man in der Schweiz im Supermarkt. Steuerparadies hin, tolles Wetter her.