Impfpflicht ab 50 sorgt für Widerstand
Italiens Premier wollte eigentlich noch härter durchgreifen – aber die Lega und die Fünf Sterne legen sich quer
Betroffen von der neuen Schutzmaßnahme sind 2,3 Millionen Personen: So viele Italienerinnen und Italiener über 50 Jahre haben sich bisher noch nicht impfen lassen. Das sind zwar weniger als 10 Prozent dieser Altersklasse, aber sie sind es, die hauptsächlich für den zunehmenden Druck auf die Spitäler verantwortlich sind. „Wir schreiten in den Altersklassen ein, die im Fall einer Ansteckung mit dem Corona-Virus mehr vom Risiko eines Krankenhausaufenthaltes betroffen sind, um den Druck von den Kliniken zu nehmen“, begründete Ministerpräsident Mario Draghi die neuen Restriktionen.
Seit die Omikron-Variante auch in Italien um sich greift, steigen die Fallzahlen trotz hoher Impfquote (fast 90 Prozent der über 12-jährigen Bevölkerung ist geimpft) auch hier wieder explosionsartig an: Am Mittwoch wurden 189 000 Neuinfektionen registriert – der höchste Wert seit Beginn der Pandemie vor fast zwei Jahren. Am gleichen Tag stieg die Zahl der an oder mit Covid verstorbenen Menschen um 231 auf nunmehr über 138 000 Tote. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei schwindelerregenden 1 492 Neuansteckungen pro 100 000 Einwohner – noch nicht ganz so dramatisch wie in Frankreich oder Großbritannien, aber um das Zehnfache höher als noch vor nur einem Monat.
Geldbußen ab dem 1. Februar
Laut dem Regierungsbeschluss tritt die Impfpflicht sofort in Kraft – gebußt wird aber erst ab dem 1. Februar. Wer ab dann ohne „SuperGreen-Pass“(Impfzertifikat, das nur an Geimpfte und Genesene ausgestellt wird, also 2G-Regel) erwischt wird, muss eine Buße von 100 Euro bezahlen. Dies gilt für Erwerbslose – deutlich härter werden die Arbeitnehmer angefasst: Wer ab Mitte Februar ohne das 2GZertifikat am Arbeitsplatz erscheint, muss mit einem Strafgeld von bis zu 1 500 Euro rechnen. Bisher reichte für das Arbeiten auch ein negatives Testresultat. Für die unter 50-Jährigen bleibt diese 3GRegel am Arbeitsplatz unverändert. Eine altersunabhängige Impfpflicht besteht in Italien seit längerem für die Lehrerschaft, für Beschäftigte im Gesundheitsbereich sowie für Angehörige der Sicherheitskräfte. Sie wird nun auch auf Universitätsdozenten ausgedehnt.
Neben der Impfpflicht für die über 50-Jährigen hat die Regierung weitere Maßnahmen erlassen. Unter anderem gilt ab dem 1.
Februar die 3G-Regel nun auch für Supermärkte, Post- und Bankschalter sowie für öffentliche Ämter. Die strengere 2G-Regel galt schon bisher für Züge, Schiffe und Flugzeuge; ab dem 10. Januar gilt sie nun auch für den öffentlichen Nahverkehr, also für städtische Busse, Straßenbahnen und Metros.
Ob die neuen Maßnahmen geeignet sein werden, um die Fallzahlen wieder zu senken, ist umstritten: „Die Impfpflicht für die über 50-Jährigen reicht bei weitem nicht aus. Wir hätten eine Impfpflicht für alle, auch für die Studenten, benötigt“, kritisierte Luigi Sbarra, Führer der großen Gewerkschaft CISL. In der Tat hätten Premier Mario Draghi und drei der Regierungsparteien – der sozialdemokratische PD, Silvio Berlusconis Forza Italia und die Kleinpartei Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi – eigentlich noch einschneidendere Regelungen einführen wollen.
Die Unbeirrbarkeit ist dahin
Insbesondere wollte Draghi die 2G-Regel für alle Arbeitnehmer vorschreiben, nicht nur für den älteren Teil von ihnen. Auch die Regionalpräsidenten und die Arbeitgeberverbände hatten sich für mehr Strenge ausgesprochen. Die beiden populistischen Regierungsparteien – insbesondere die rechtsnationale Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini, aber auch die Fünf-Sterne-Protestbewegung – legten sich aber quer und schafften es in der Kabinettssitzung, die geplanten Maßnahmen abzuschwächen.
Dass sich Draghi von seinen populistischen Koalitionspartnern bremsen lässt, ist neu. Im vergangenen Oktober, als die 7-Tage-Inzidenz in Italien bei weniger als 30 lag, hatte Draghi in Italien als europaweit erstem Land die 3G-Pflicht am Arbeitsplatz eingeführt – eine Maßnahme, die damals innerhalb und außerhalb von Italien großes Aufsehen erregte. Lega-Chef Salvini hatte schon im Oktober vehement gegen die Maßnahme Stimmung gemacht, doch Draghi setzte sie unbeeindruckt durch: „Die Impfung gibt uns Freiheit, sie nimmt sie uns nicht weg. Ohne Impfungen müssten wir alles wieder schließen“, beschied der Premier dem Ex-Innenminister.
Von der früheren Unbeirrbarkeit und Entschlossenheit Draghis ist derzeit nicht mehr allzu viel zu spüren. Doch für die neue Kompromissbereitschaft des ehemaligen EZB-Präsidenten gibt es eine konkrete Erklärung: Am 24. Januar beginnt in den vereinigten Parlamentskammern die Wahl des neuen Staatspräsidenten – und diese wirft lange Schatten voraus. Der 74-jährige Draghi gilt als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge des abtretenden Staatsoberhauptes Sergio Mattarella, und böse Zungen unterstellen dem Regierungschef nun, dass er sich im Hinblick auf die Wahl nicht die Unterstützung der Lega und der Fünf Sterne verscherzen wolle.
Wohlwollendere Beobachter wenden ein, dass alle Parteien wegen der Wahl seit Monaten in Aufruhr seien: Draghi wolle lediglich kein weiteres Öl ins Feuer gießen und sicherstellen, dass das Land regierbar bleibe – unabhängig vom Ausgang der Wahl.