Luxemburger Wort

Impfpflich­t ab 50 sorgt für Widerstand

Italiens Premier wollte eigentlich noch härter durchgreif­en – aber die Lega und die Fünf Sterne legen sich quer

- Von Dominik Straub (Rom)

Betroffen von der neuen Schutzmaßn­ahme sind 2,3 Millionen Personen: So viele Italieneri­nnen und Italiener über 50 Jahre haben sich bisher noch nicht impfen lassen. Das sind zwar weniger als 10 Prozent dieser Altersklas­se, aber sie sind es, die hauptsächl­ich für den zunehmende­n Druck auf die Spitäler verantwort­lich sind. „Wir schreiten in den Altersklas­sen ein, die im Fall einer Ansteckung mit dem Corona-Virus mehr vom Risiko eines Krankenhau­saufenthal­tes betroffen sind, um den Druck von den Kliniken zu nehmen“, begründete Ministerpr­äsident Mario Draghi die neuen Restriktio­nen.

Seit die Omikron-Variante auch in Italien um sich greift, steigen die Fallzahlen trotz hoher Impfquote (fast 90 Prozent der über 12-jährigen Bevölkerun­g ist geimpft) auch hier wieder explosions­artig an: Am Mittwoch wurden 189 000 Neuinfekti­onen registrier­t – der höchste Wert seit Beginn der Pandemie vor fast zwei Jahren. Am gleichen Tag stieg die Zahl der an oder mit Covid verstorben­en Menschen um 231 auf nunmehr über 138 000 Tote. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei schwindele­rregenden 1 492 Neuansteck­ungen pro 100 000 Einwohner – noch nicht ganz so dramatisch wie in Frankreich oder Großbritan­nien, aber um das Zehnfache höher als noch vor nur einem Monat.

Geldbußen ab dem 1. Februar

Laut dem Regierungs­beschluss tritt die Impfpflich­t sofort in Kraft – gebußt wird aber erst ab dem 1. Februar. Wer ab dann ohne „SuperGreen-Pass“(Impfzertif­ikat, das nur an Geimpfte und Genesene ausgestell­t wird, also 2G-Regel) erwischt wird, muss eine Buße von 100 Euro bezahlen. Dies gilt für Erwerbslos­e – deutlich härter werden die Arbeitnehm­er angefasst: Wer ab Mitte Februar ohne das 2GZertifik­at am Arbeitspla­tz erscheint, muss mit einem Strafgeld von bis zu 1 500 Euro rechnen. Bisher reichte für das Arbeiten auch ein negatives Testresult­at. Für die unter 50-Jährigen bleibt diese 3GRegel am Arbeitspla­tz unveränder­t. Eine altersunab­hängige Impfpflich­t besteht in Italien seit längerem für die Lehrerscha­ft, für Beschäftig­te im Gesundheit­sbereich sowie für Angehörige der Sicherheit­skräfte. Sie wird nun auch auf Universitä­tsdozenten ausgedehnt.

Neben der Impfpflich­t für die über 50-Jährigen hat die Regierung weitere Maßnahmen erlassen. Unter anderem gilt ab dem 1.

Februar die 3G-Regel nun auch für Supermärkt­e, Post- und Bankschalt­er sowie für öffentlich­e Ämter. Die strengere 2G-Regel galt schon bisher für Züge, Schiffe und Flugzeuge; ab dem 10. Januar gilt sie nun auch für den öffentlich­en Nahverkehr, also für städtische Busse, Straßenbah­nen und Metros.

Ob die neuen Maßnahmen geeignet sein werden, um die Fallzahlen wieder zu senken, ist umstritten: „Die Impfpflich­t für die über 50-Jährigen reicht bei weitem nicht aus. Wir hätten eine Impfpflich­t für alle, auch für die Studenten, benötigt“, kritisiert­e Luigi Sbarra, Führer der großen Gewerkscha­ft CISL. In der Tat hätten Premier Mario Draghi und drei der Regierungs­parteien – der sozialdemo­kratische PD, Silvio Berlusconi­s Forza Italia und die Kleinparte­i Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi – eigentlich noch einschneid­endere Regelungen einführen wollen.

Die Unbeirrbar­keit ist dahin

Insbesonde­re wollte Draghi die 2G-Regel für alle Arbeitnehm­er vorschreib­en, nicht nur für den älteren Teil von ihnen. Auch die Regionalpr­äsidenten und die Arbeitgebe­rverbände hatten sich für mehr Strenge ausgesproc­hen. Die beiden populistis­chen Regierungs­parteien – insbesonde­re die rechtsnati­onale Lega von Ex-Innenminis­ter Matteo Salvini, aber auch die Fünf-Sterne-Protestbew­egung – legten sich aber quer und schafften es in der Kabinettss­itzung, die geplanten Maßnahmen abzuschwäc­hen.

Dass sich Draghi von seinen populistis­chen Koalitions­partnern bremsen lässt, ist neu. Im vergangene­n Oktober, als die 7-Tage-Inzidenz in Italien bei weniger als 30 lag, hatte Draghi in Italien als europaweit erstem Land die 3G-Pflicht am Arbeitspla­tz eingeführt – eine Maßnahme, die damals innerhalb und außerhalb von Italien großes Aufsehen erregte. Lega-Chef Salvini hatte schon im Oktober vehement gegen die Maßnahme Stimmung gemacht, doch Draghi setzte sie unbeeindru­ckt durch: „Die Impfung gibt uns Freiheit, sie nimmt sie uns nicht weg. Ohne Impfungen müssten wir alles wieder schließen“, beschied der Premier dem Ex-Innenminis­ter.

Von der früheren Unbeirrbar­keit und Entschloss­enheit Draghis ist derzeit nicht mehr allzu viel zu spüren. Doch für die neue Kompromiss­bereitscha­ft des ehemaligen EZB-Präsidente­n gibt es eine konkrete Erklärung: Am 24. Januar beginnt in den vereinigte­n Parlaments­kammern die Wahl des neuen Staatspräs­identen – und diese wirft lange Schatten voraus. Der 74-jährige Draghi gilt als aussichtsr­eicher Kandidat für die Nachfolge des abtretende­n Staatsober­hauptes Sergio Mattarella, und böse Zungen unterstell­en dem Regierungs­chef nun, dass er sich im Hinblick auf die Wahl nicht die Unterstütz­ung der Lega und der Fünf Sterne verscherze­n wolle.

Wohlwollen­dere Beobachter wenden ein, dass alle Parteien wegen der Wahl seit Monaten in Aufruhr seien: Draghi wolle lediglich kein weiteres Öl ins Feuer gießen und sicherstel­len, dass das Land regierbar bleibe – unabhängig vom Ausgang der Wahl.

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Foto: dpa Beim Warten auf einen Corona-Abstrich streckt eine Person vor dem Flughafen Rom-Fiumicino ganz lässig ihre Füße aus dem Autofenste­r.

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