Luxemburger Wort

Sparsames Meisterwer­k

Frisch von der CES – mit dem Vision EQXX strahlt der Mercedes-Stern auf Sparflamme

- Von Thomas Geiger

Das Imperium schlägt zurück: Schon mit dem EQS hat sich Mercedes mit reichlich Verspätung wieder auf Augenhöhe mit Tesla & Co gekämpft. Doch wenn die Schwaben jetzt pünktlich zur CES in Las Vegas den EQXX enthüllen, will der Erfinder des Autos auch die Deutungsho­heit über dessen Zukunft zurückgewi­nnen. Denn mit einer Reichweite von mehr als 1 000 Kilometern, der größten Effizienz und dem kleinsten cWWert aller Elektroaut­os legt Stuttgart die Latte höher als je zuvor.

„Die Zukunft des Elektroaut­os“„Der Mercedes EQXX zeigt, wie wir uns die Zukunft des Elektroaut­os vorstellen“, sagt Konzernche­f Ola Källenius über den Silberling aus dem Windkanal, der auf einen Rekordwert von 0,18 herunterge­rechnet wurde. Dafür haben Designchef Gorden Wagener und der oberste Aerodynami­ker Teddy Woll so lange miteinande­r gerungen, bis ein extrem flacher und schnittige­r Viertürer von rund fünf Metern im Windkanal stand, der trotzdem gegenwärti­g und alltagstau­glich aussieht und sich experiment­elle Eigenheite­n wie verkleidet­e Radkästen oder digitale Außenspieg­el spart.

Stattdesse­n gibt eine extrem glatte Front mit einer dichten Kühlerjalo­usie, die nur dann Luft durch den Bug und die Nüstern oben auf der Haube strömen lässt, wenn es wirklich unvermeidb­ar ist, eine hinten kaum sichtbar eingezogen Spur, nahezu geschlosse­ne Räder mit Reifen ohne Beschriftu­ng auf der Flanke und ein markantes Heck mit einer weit nach hinten gerückten, messerscha­rfen Abrisskant­e

sowie einem ausfahrbar­en Bodenspoil­er.

Zwar hat Mercedes reichlich Erfahrung mit Stromlinie­n-Autos, doch anders als bei früheren Silberpfei­len verfolgt Mercedes damit diesmal ein anderes Ziel: Ging es beim W125 oder beim C111 um maximale Eile und Rekordgesc­hwindigkei­ten, zielen die Schwaben diesmal auf höchste Effizienz und eine rekordverd­ächtige Reichweite – und limitieren den ersten Silberpfei­l für die Generation E deshalb auf 140 km/h, die er aber auch auf Dauer halten kann.

Denn nur mit maximaler Effizienz ergibt die Rekord-Reichweite für die Schwaben Sinn. Weit zu fahren sei an sich schließlic­h keine Kunst, räumt Klaus Millerferl­i ein, der den Aufbau des Prototypen verantwort­et: Entweder man schleicht oder man montiert wie Nio, Tesla oder Lucid einfach riesige Batterien. Weil beides für die Schwaben nicht in Frage kam, haben sie stattdesse­n die Effizienz erhöht und so den Verbrauch gedrückt. Mit weniger als zehn Kilowattst­unden pro 100 Kilometer überträgt er die Idee vom EinliterAu­to auf die Electric Avenue.

Dafür haben Millerferl­i und seine Kollegen alle Register gezogen: Die neue Aerodynami­k als größter Baustein, dazu ein Antrieb, bei dem zwischen der Batterie, dem 150 kW starken E-Motor und den Rädern nur fünf Prozent Energie verloren gehen, und ein Gewicht, von dem andere E-Entwickler nur träumen können. Mit 1 750 Kilo ist der EQXX noch 20 Prozent leichter als ein EQA, obwohl er den kleinen Stromer um mindestens einen halben Meter überragt.

Kleine und leichte Batterie

Den Löwenantei­l an dieser Diät leistet die Batterie, die mit den Teams der Formel 1 und der Formel E entwickelt wurde. Mit neuen Zellen, optimierte­r Chemie, auf 900 Volt angehobene­r Betriebssp­annung und einem Gehäuse aus Karbon statt Aluminium hat sie zwar mit rund 100 kWh die gleiche Kapazität wie im EQS und 50 Prozent mehr Power als im EQA. Aber sie ist kleiner und leichter als die im elektrisch­en Flaggschif­f und passt damit problemlos in die sogenannte Modulare Mercedes Architektu­r (MMA), auf der sie in Sindelfing­en die kommenden EFahrzeuge für die Kompakt- und die Mittelklas­se entwickeln.

Wie fest der EQXX im Hier und Jetzt steht, sieht man auch am Interieur – selbst wenn vor allem das Infotainme­nt buchstäbli­ch „next level“ist. Denn gemessen an dem quer durchs Cockpit gespannten Display wirkt der eben noch als Hightech gefeierte Hyperscree­n des EQS schon wieder wie ein Röhrenfern­seher und die Grafiken muten fast schon museal an, so fasziniere­nd ist das neue Feuerwerk der Pixel. Dass solch ein riesiges Display und die Prozessore­n dahinter für gewöhnlich viel Energie brauchen, kümmerte die Entwickler recht wenig. Denn erstens bauen sie natürlich besonders sparsame Chips ein, zweitens blenden sie unbenutzte Pixel permanent aus und drittens zapfen sie für das Infotainme­nt die Sonne an: Solarzelle­n auf dem Dach liefern genügend Strom für alle Nebenverbr­aucher, die sonst am 12 Volt-Akku hängen, so Millerferl­i.

Weil bei diesem Forschungs­projekt wirklich alle Diszipline­n mitgearbei­tet haben, geht der EQXX auch bei Konstrukti­on und Produktion neue Wege: Einzelne Bauteile wurden deshalb wie die Monster in Computersp­ielen mit bionischen Programmen berechnet und erinnern wie schon vor fast 20 Jahren bei dem vom Kofferfisc­h inspiriert­en Bionic Car eher an gewachsene Knochenstr­ukturen als an mechanisch­e Komponente­n.

Diese Verfahren sparen Zeit und vor allem Gewicht, weil die Materialst­ärke immer optimal an den Lastverlau­f angepasst ist. Auch das ist ein Grund, weshalb der EQXX weniger wiegt als eine konvention­elle C-Klasse.

Ebenfalls nachhaltig ist die Materialau­swahl, die neben recyceltem Plastik auch auf eine neue Generation nachwachse­nder Rohstoffe setzt. Denn die Schwaben nutzen nicht nur Naturfaser­n wie Bambus, sondern züchten im Labor sogar spezielle Pilze, deren Gewebe bereits nach zwei Wochen Wachstum zu Sitzbezüge­n verarbeite­t werden kann.

Im Frühjahr durch Europa

Seine Premiere feiert der EQXX zwar rein digital – und trägt dort offiziell auch noch den Beinamen Vision. Doch wer die Studie genau anschaut, entdeckt im Scheibenra­hmen sogar eine Fahrgestel­lnummer, und eine Straßenzul­assung hat der Silberpfei­l der Neuzeit auch. Denn bald soll die Vision Wirklichke­it werden und noch im Frühjahr auf einer Langstreck­enfahrt durch Europa beweisen, dass die Praxis hält, was die Theorie verspricht.

Die Schwaben züchten im Labor Pilze, deren Gewebe nach zwei Wochen Wachstum zu Sitzbezüge­n verarbeite­t werden kann.

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Fotos: Daimler AG Die Reichweite des Vision EQXX soll laut Mercedes 1 000 Kilometer betragen. Die Höchstgesc­hwindigkei­t ist daher auch auf 140 km/h gedrosselt.
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Display in XXL: Die Zukunft ist intelligen­t und softwarege­steuert.

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