Die Fronten bleiben verhärtet
Ein Krisengespräch folgt auf das nächste, um die Ukraine-Krise zu entschärfen – bisher ohne Erfolg
Gestern begannen in Genf die amerikanisch-russischen Gespräche über die militärische Lage in Osteuropa. Die US-Delegation wurde von der stellvertretenden Außenministerin Wendy Sherman angeführt, die russische von ihrem Kollegen Sergej Rjabkow und Vizeverteidigungsminister Alexander Fomin. Sherman und Rjabkow gelten als erfahrene Berufsdiplomaten. Aber Beobachtern in Russland wie im Westen sind sich einig, dass es selten eine US-russische Verhandlungsrunde mit minimaleren Erfolgsaussichten gegeben hat.
Die russische Seite sprühte am Morgen vor Kompromisslosigkeit. „Wir kommen nicht mit ausgestreckter Hand hierher“, erklärte Rjabkow. „Wir kommen mit einer klar formulierten Aufgabe, die unausweichlich zu den Bedingungen erfüllt werden muss, die wir bestimmt haben.“In der Mittagspause bekräftigte der Russe: „Unsere Ansätze sind so klar formuliert, dass es davon einfach keine Abweichungen geben kann.“
Moskau hatte Mitte Dezember zwei Vertragsentwürfe veröffentlicht, die von den USA und der NATO verlangen, keine ehemaligen Sowjetrepubliken mehr in den Nordatlantikpakt aufzunehmen und außerdem jede militärische Zusammenarbeit mit postsowjetischen Nicht-NATO-Staaten einzustellen. Zudem soll das Bündnis sämtliche Streitkräfte aus dem Teil Osteuropas entfernen, wo bis 1997 keine NATO-Truppen standen. Die USA will man gar verpflichten, alle Atomwaffen aus Europa abziehen. Washington und Brüssel erklärten Moskaus zentrale Forderungen postwendend für nicht akzeptabel. Auch russische Politologen sprachen von einem Ultimatum mit unannehmbaren Forderungen. Delegationschef Rjabow sagte gestern selbst, er hege eher negative Prognosen, vor allem, was die Nichtaufnahme der Ukraine und anderer Länder durch die NATO angehe.
Die USA hatten vor Genf Kompromisse in Aussicht gestellt. So sprach Außenminister Antony Blinken von einer möglichen Neuauflage des INF-Vertrages über das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen, den Donald Trump 2019 aufgekündigt hatte, weil die russische Seite ihn nicht einhalte. Moskau seinerseits wirft den USA bis heute vor, die Raketenabwehrsysteme, die sie in Rumänien und Polen aufbauten, eigneten sich auch als Startrampen für amerikanische Marschflugkörper.
Verhandelbar sind laut Blinken auch die Beschränkung und Kontrolle von Großmanövern beider Seiten in Grenznähe. Er und andere westliche Politiker fordern von Russland aber zuerst die Rücknahme
von etwa 100 000 russischen Soldaten, die nach Meldungen amerikanischer Medien seit November in der Nähe der ukrainischen Grenze konzentriert sind – für einen möglichen Großangriff in der zweiten Januarhälfte. Etwa 10 000 Soldaten hat das russische Verteidigungsministerium nach eigenen Angaben über Weihnachten in die Kasernen zurückgeschickt.
Moskau macht Druck
Aber die Lage hat sich danach nicht entspannt. Russische Diplomaten argwöhnen, der Westen versuche Moskau in langwierige Detailverhandlungen zu verwickeln, um seine roten Linien aufzuweichen. „Russland kann sich nirgendwohin mehr zurückziehen“, kommentierte Wladimir Putin die Lage vor Weihnachten. Wenn die westlichen Kollegen ihre offensichtlich aggressive Linie fortsetzten, werde man entsprechende kriegstechnische Gegenmaßnahmen ergreifen. Blinken konterte, im Falle einer neuen Aggression Russlands gegen die Ukraine werde es nur gerecht sein, dass die NATO ihre Positionen in Russlands Nachbarstaaten verstärke. Außerdem droht der Westen mit neuen Sanktionen. „Den politischen Bluff, mit dem Russland pokert, kann man nicht ernsthaft verhandeln“, sagte der liberale Politologe Andrej Kolesnikow dem Kanal TV Doschd. Alles hänge davon ab, ob sich ein wirklicher Verhandlungsprozess mit Kompromissen beider Seiten entwickle oder ob Russland sein militärisches Drohszenario gegenüber der Ukraine realisiere.
Nach dem rund achtstündigen Treffen sagte Rjabkow gestern Abend: „Das Gespräch war schwierig, aber sehr professionell, tiefgründig und konkret“. Der US-Seite sei versichert worden, dass Russland keinen Überfall auf die Ukraine plane. Moskau habe aber auch klar gemacht, dass in Bezug auf wesentliche Forderungen Fortschritte erzielt werden müssten. Dazu zählten ein Ende der NATOAusdehnung nach Osten und ein Verzicht des westlichen Militärbündnisses auf die Stationierung von Angriffswaffen nahe der russischen Grenzen. Von diesen Forderungen werde Russland nicht abrücken. Doch gerade mit Blick auf ein Ende der NATO-Osterweiterung sei man in Genf nicht weitergekommen.
USA fordern Deeskalation
US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman rief Russland erneut zur Deeskalation in der Ukraine-Krise auf. „In dieser Woche wird Russland eine einheitliche Botschaft von den Vereinigten Staaten und unseren Verbündeten und Partnern hören, nämlich dass es an Russland liegt, die Spannungen zu deeskalieren, damit wir eine echte Chance haben, diplomatische Lösungen zu finden“, so Sherman gestern Abend. Die USA verlangten weiterhin den Abzug der russischen Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine. Das sei die Voraussetzung für diplomatische Fortschritte. Sherman drohte Russland im Fall einer militärischen Eskalation erneut mit massiven Konsequenzen. Diese zielten unter anderem auf finanzielle Institutionen, Exportkontrollen, eine größere NATO-Präsenz in europäischen Ländern und mehr Hilfe für die Ukraine.
Für morgen ist in Brüssel eine Sitzung des NATO-Russland-Rates geplant, am nächsten Tag will man im Rahmen der OSZE weiterverhandeln. mit dpa
Wer die Olympischen Winterspiele innerhalb Chinas verfolgt, der meint manchmal, einem perfekt funktionierenden Schweizer Uhrwerk zuzuschauen: Alles läuft auf Spur, nichts kann die Pläne der Organisatoren durcheinanderbringen. Und nun hat auch Chinas mächtiger Staatschef Xi Jinping dem Olympischen Großereignis seinen Segen gegeben: „Wir werden keine Mühen scheuen, der Welt großartige Spiele zu präsentieren. Die Welt richtet ihre Augen auf China, und China ist bereit“, sagte Xi bei seiner Neujahrsansprache im holzvertäfelten Arbeitszimmer.
Dabei wird wohl kaum ein anderes Sportereignis aus der jüngeren Geschichte kontroverser debattiert als die Olympischen Winterspiele in Peking. Während sie innerhalb der eigenen Landesgrenzen längst als endgültige Krönung einer aufstrebenden Weltmacht zelebriert werden, geht es im internationalen Diskurs vor allem um Chinas Menschenrechtsverbrechen und einen möglichen Boykott. Egal wie man es dreht und wendet: Peking 2022 legt schonungslos die auseinanderklaffenden Gräben zwischen China und dem Westen offen.
Keine zwei Stunden braucht es, um vom Pekinger Stadtzentrum ins umherliegende Gebirge zu gelangen. Die Fahrt nach Yanqing, eine der Austragungsstätten, führt zunächst vorbei an Apartmentsiedlungen, die allmählich kargen Feldern und schließlich schroffen Bergen weichen. Die Landschaft ist atemberaubend schön, die Temperaturen sibirisch kalt und der Himmel blau wie aus einem Malkasten.
Und dennoch mag sich klassische Wintersport-Stimmung nicht so recht einstellen: Denn auch wenn Yanqing in den Fernsehberichten des Staatsfernsehens als weißes Winterwunderland porträtiert wird, ist in der Realität weit und breit kein Naturschnee zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die Berghänge sind derart karg und trocken, dass man bei der ariden Landschaft das Gefühl hat, durch einen bräunlichen Retro-Filter zu blicken.
Die „grünsten Spiele“
Für Abhilfe sorgen die etlichen Schneekanonen, die bereits seit November auf Hochtouren laufen. Zehn Liter pro Sekunde sprühen sie in die Luft, das Wasser wird von umliegenden Stauseen Hunderte Meter in die Berge hochgeleitet. Allein für die alpine Skipiste werden wohl umgerechnet eine Million
Kubikmeter benötigt. Dass die Organisatoren dennoch von den „grünsten Spielen“in der Olympischen Geschichte sprechen, hat vor allem mit der Energiegewinnung zu tun: Der Strom soll ausschließlich aus nachhaltigen Quellen stammen. Dass die alpinen Skipisten jedoch inmitten eines Umweltschutzgebiets platziert wurden, passt da kaum ins Bild.
Doch angesichts der Infrastruktur lässt sich nur staunen, in welch kurzer Zeit die Chinesen ganze Autobahnstrecken und Hochgeschwindigkeitszüge in die Landschaft gesetzt haben. Die Skipisten wirken, als wären sie mit Sprengstoff und Betonguss aus den Berghängen geschlagen worden. Das örtliche Olympische Dorf wurde vollständig mit einer Fußbodenheizung ausgestattet, so dass die Athleten auch beim Gang zwischen Fitnessstudio und Zimmer ihre Jacke Zuhause lassen können. Die Anlagen wirken hochmodern, geradezu monumental, jedoch unter dem Nachhaltigkeitsgedanken geradezu absurd.
Das absolute Superlativ stellt der „fliegende Schneedrache“dar: Chinas erste – und mit einer Strecke von 1,6 Kilometern weltweit längste – Bobbahn der Welt. Sie ist vollständig überdacht und beherbergt Sitzplätze für 2 000 Zuschauer, denen die Sportler quasi vor der Nase vorbeirasen. „An sich hatten wir volle Ränge geplant, aber jetzt wird unser Konzept noch ausgearbeitet“, sagt Yang Jinkai, zuständig für den Betrieb und die Infrastruktur.
Strenge Corona-Regeln
Spätestens mit dem jüngsten Omikron-Ausbruch in Tianjin, nur wenige Autostunden von Peking entfernt, werden sämtliche Pläne wohl ad acta gelegt. Ohnehin ist das Corona-Sicherheitskonzept auch im Vergleich zu Tokio deutlich strenger: Busse bringen die Athleten von ihren Hotels zu den Sportstätten; farblich markierte Zäune stellen sicher, dass die Olympia-Teilnehmer keinen Kontakt mit dem Rest der Bevölkerung aufnehmen. Zudem muss ausnahmslos jeder von ihnen täglich einen PCR-Test machen. Und 1,50 Meter große, silbergraue Dienstleistungs-Roboter helfen dabei, den menschlichen Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren.
Doch die Corona-Bestimmungen sind nur eine von mehreren
Herausforderungen für die Spiele. Auch die politische Debatte hängt wie ein drohendes Damoklesschwert über der Veranstaltung. Aufgrund der Gräuel gegen die Uiguren in Xinjiang, den Repressionen in Hongkong und der immer aggressiveren Rhetorik gegenüber Taiwan haben bereits etliche Staaten entschieden, dass sie China auf der Olympischen Bühne nicht politisch aufwerten wollen. Litauen hatte Anfang Dezember als erstes Land einen diplomatischen Boykott angekündigt, es folgten die USA, Großbritannien, Australien und Kanada. Auch Japan wird laut eigener Aussage keine hochrangigen politischen Vertreter nach Peking entsenden. Die Europäische Union ringt noch nach einer gemeinsamen Linie.
Enttäuschte Hoffnungen
Im Botschaftsviertel im Pekinger Chaoyang-Bezirk lässt sich jedoch hinter vorgehaltener Hand immer offener die steigende Frustration heraushören. „Die Sommerspiele 2008 waren rückblickend ein Höhepunkt für China, auch weil sie mit vielen Hoffnungen verbunden waren. Die Winterspiele hingegen werden ein absoluter Tiefpunkt sein“, sagt ein hochrangiger Diplomat. Es habe sich die endgültige Gewissheit durchgesetzt, dass China unter Xi Jinping seinen nationalistischen Kurs weiter fortsetzen wird.
Umso naiver wirken die einstigen Aussagen von IOC-Chef Thomas Bach von vor 20 Jahren: Damals kommentierte der deutsche Sportfunktionär die Wahl Pekings als Gastgeber für Olympia 2008. „Zumindest ist eins erreicht: Dass sich der Blick der Weltöffentlichkeit noch strikter auf China richtet, als das ohnehin schon der Fall ist. Und diese strenge Beobachtung kann natürlich wieder auch zum Wandel beitragen“. Tatsächlich hat sich China gewandelt – allerdings anders, als es sich der Westen damals vorgestellt hatte.
Die politische Debatte hängt wie ein drohendes Damoklesschwert über der Veranstaltung.