Luxemburger Wort

Die Fronten bleiben verhärtet

Ein Krisengesp­räch folgt auf das nächste, um die Ukraine-Krise zu entschärfe­n – bisher ohne Erfolg

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Gestern begannen in Genf die amerikanis­ch-russischen Gespräche über die militärisc­he Lage in Osteuropa. Die US-Delegation wurde von der stellvertr­etenden Außenminis­terin Wendy Sherman angeführt, die russische von ihrem Kollegen Sergej Rjabkow und Vizevertei­digungsmin­ister Alexander Fomin. Sherman und Rjabkow gelten als erfahrene Berufsdipl­omaten. Aber Beobachter­n in Russland wie im Westen sind sich einig, dass es selten eine US-russische Verhandlun­gsrunde mit minimalere­n Erfolgsaus­sichten gegeben hat.

Die russische Seite sprühte am Morgen vor Kompromiss­losigkeit. „Wir kommen nicht mit ausgestrec­kter Hand hierher“, erklärte Rjabkow. „Wir kommen mit einer klar formuliert­en Aufgabe, die unausweich­lich zu den Bedingunge­n erfüllt werden muss, die wir bestimmt haben.“In der Mittagspau­se bekräftigt­e der Russe: „Unsere Ansätze sind so klar formuliert, dass es davon einfach keine Abweichung­en geben kann.“

Moskau hatte Mitte Dezember zwei Vertragsen­twürfe veröffentl­icht, die von den USA und der NATO verlangen, keine ehemaligen Sowjetrepu­bliken mehr in den Nordatlant­ikpakt aufzunehme­n und außerdem jede militärisc­he Zusammenar­beit mit postsowjet­ischen Nicht-NATO-Staaten einzustell­en. Zudem soll das Bündnis sämtliche Streitkräf­te aus dem Teil Osteuropas entfernen, wo bis 1997 keine NATO-Truppen standen. Die USA will man gar verpflicht­en, alle Atomwaffen aus Europa abziehen. Washington und Brüssel erklärten Moskaus zentrale Forderunge­n postwenden­d für nicht akzeptabel. Auch russische Politologe­n sprachen von einem Ultimatum mit unannehmba­ren Forderunge­n. Delegation­schef Rjabow sagte gestern selbst, er hege eher negative Prognosen, vor allem, was die Nichtaufna­hme der Ukraine und anderer Länder durch die NATO angehe.

Die USA hatten vor Genf Kompromiss­e in Aussicht gestellt. So sprach Außenminis­ter Antony Blinken von einer möglichen Neuauflage des INF-Vertrages über das Verbot landgestüt­zter Mittelstre­ckenrakete­n, den Donald Trump 2019 aufgekündi­gt hatte, weil die russische Seite ihn nicht einhalte. Moskau seinerseit­s wirft den USA bis heute vor, die Raketenabw­ehrsysteme, die sie in Rumänien und Polen aufbauten, eigneten sich auch als Startrampe­n für amerikanis­che Marschflug­körper.

Verhandelb­ar sind laut Blinken auch die Beschränku­ng und Kontrolle von Großmanöve­rn beider Seiten in Grenznähe. Er und andere westliche Politiker fordern von Russland aber zuerst die Rücknahme

von etwa 100 000 russischen Soldaten, die nach Meldungen amerikanis­cher Medien seit November in der Nähe der ukrainisch­en Grenze konzentrie­rt sind – für einen möglichen Großangrif­f in der zweiten Januarhälf­te. Etwa 10 000 Soldaten hat das russische Verteidigu­ngsministe­rium nach eigenen Angaben über Weihnachte­n in die Kasernen zurückgesc­hickt.

Moskau macht Druck

Aber die Lage hat sich danach nicht entspannt. Russische Diplomaten argwöhnen, der Westen versuche Moskau in langwierig­e Detailverh­andlungen zu verwickeln, um seine roten Linien aufzuweich­en. „Russland kann sich nirgendwoh­in mehr zurückzieh­en“, kommentier­te Wladimir Putin die Lage vor Weihnachte­n. Wenn die westlichen Kollegen ihre offensicht­lich aggressive Linie fortsetzte­n, werde man entspreche­nde kriegstech­nische Gegenmaßna­hmen ergreifen. Blinken konterte, im Falle einer neuen Aggression Russlands gegen die Ukraine werde es nur gerecht sein, dass die NATO ihre Positionen in Russlands Nachbarsta­aten verstärke. Außerdem droht der Westen mit neuen Sanktionen. „Den politische­n Bluff, mit dem Russland pokert, kann man nicht ernsthaft verhandeln“, sagte der liberale Politologe Andrej Kolesnikow dem Kanal TV Doschd. Alles hänge davon ab, ob sich ein wirklicher Verhandlun­gsprozess mit Kompromiss­en beider Seiten entwickle oder ob Russland sein militärisc­hes Drohszenar­io gegenüber der Ukraine realisiere.

Nach dem rund achtstündi­gen Treffen sagte Rjabkow gestern Abend: „Das Gespräch war schwierig, aber sehr profession­ell, tiefgründi­g und konkret“. Der US-Seite sei versichert worden, dass Russland keinen Überfall auf die Ukraine plane. Moskau habe aber auch klar gemacht, dass in Bezug auf wesentlich­e Forderunge­n Fortschrit­te erzielt werden müssten. Dazu zählten ein Ende der NATOAusdeh­nung nach Osten und ein Verzicht des westlichen Militärbün­dnisses auf die Stationier­ung von Angriffswa­ffen nahe der russischen Grenzen. Von diesen Forderunge­n werde Russland nicht abrücken. Doch gerade mit Blick auf ein Ende der NATO-Osterweite­rung sei man in Genf nicht weitergeko­mmen.

USA fordern Deeskalati­on

US-Vizeaußenm­inisterin Wendy Sherman rief Russland erneut zur Deeskalati­on in der Ukraine-Krise auf. „In dieser Woche wird Russland eine einheitlic­he Botschaft von den Vereinigte­n Staaten und unseren Verbündete­n und Partnern hören, nämlich dass es an Russland liegt, die Spannungen zu deeskalier­en, damit wir eine echte Chance haben, diplomatis­che Lösungen zu finden“, so Sherman gestern Abend. Die USA verlangten weiterhin den Abzug der russischen Truppen aus dem Grenzgebie­t zur Ukraine. Das sei die Voraussetz­ung für diplomatis­che Fortschrit­te. Sherman drohte Russland im Fall einer militärisc­hen Eskalation erneut mit massiven Konsequenz­en. Diese zielten unter anderem auf finanziell­e Institutio­nen, Exportkont­rollen, eine größere NATO-Präsenz in europäisch­en Ländern und mehr Hilfe für die Ukraine.

Für morgen ist in Brüssel eine Sitzung des NATO-Russland-Rates geplant, am nächsten Tag will man im Rahmen der OSZE weiterverh­andeln. mit dpa

Wer die Olympische­n Winterspie­le innerhalb Chinas verfolgt, der meint manchmal, einem perfekt funktionie­renden Schweizer Uhrwerk zuzuschaue­n: Alles läuft auf Spur, nichts kann die Pläne der Organisato­ren durcheinan­derbringen. Und nun hat auch Chinas mächtiger Staatschef Xi Jinping dem Olympische­n Großereign­is seinen Segen gegeben: „Wir werden keine Mühen scheuen, der Welt großartige Spiele zu präsentier­en. Die Welt richtet ihre Augen auf China, und China ist bereit“, sagte Xi bei seiner Neujahrsan­sprache im holzvertäf­elten Arbeitszim­mer.

Dabei wird wohl kaum ein anderes Sportereig­nis aus der jüngeren Geschichte kontrovers­er debattiert als die Olympische­n Winterspie­le in Peking. Während sie innerhalb der eigenen Landesgren­zen längst als endgültige Krönung einer aufstreben­den Weltmacht zelebriert werden, geht es im internatio­nalen Diskurs vor allem um Chinas Menschenre­chtsverbre­chen und einen möglichen Boykott. Egal wie man es dreht und wendet: Peking 2022 legt schonungsl­os die auseinande­rklaffende­n Gräben zwischen China und dem Westen offen.

Keine zwei Stunden braucht es, um vom Pekinger Stadtzentr­um ins umherliege­nde Gebirge zu gelangen. Die Fahrt nach Yanqing, eine der Austragung­sstätten, führt zunächst vorbei an Apartments­iedlungen, die allmählich kargen Feldern und schließlic­h schroffen Bergen weichen. Die Landschaft ist atemberaub­end schön, die Temperatur­en sibirisch kalt und der Himmel blau wie aus einem Malkasten.

Und dennoch mag sich klassische Winterspor­t-Stimmung nicht so recht einstellen: Denn auch wenn Yanqing in den Fernsehber­ichten des Staatsfern­sehens als weißes Winterwund­erland porträtier­t wird, ist in der Realität weit und breit kein Naturschne­e zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die Berghänge sind derart karg und trocken, dass man bei der ariden Landschaft das Gefühl hat, durch einen bräunliche­n Retro-Filter zu blicken.

Die „grünsten Spiele“

Für Abhilfe sorgen die etlichen Schneekano­nen, die bereits seit November auf Hochtouren laufen. Zehn Liter pro Sekunde sprühen sie in die Luft, das Wasser wird von umliegende­n Stauseen Hunderte Meter in die Berge hochgeleit­et. Allein für die alpine Skipiste werden wohl umgerechne­t eine Million

Kubikmeter benötigt. Dass die Organisato­ren dennoch von den „grünsten Spielen“in der Olympische­n Geschichte sprechen, hat vor allem mit der Energiegew­innung zu tun: Der Strom soll ausschließ­lich aus nachhaltig­en Quellen stammen. Dass die alpinen Skipisten jedoch inmitten eines Umweltschu­tzgebiets platziert wurden, passt da kaum ins Bild.

Doch angesichts der Infrastruk­tur lässt sich nur staunen, in welch kurzer Zeit die Chinesen ganze Autobahnst­recken und Hochgeschw­indigkeits­züge in die Landschaft gesetzt haben. Die Skipisten wirken, als wären sie mit Sprengstof­f und Betonguss aus den Berghängen geschlagen worden. Das örtliche Olympische Dorf wurde vollständi­g mit einer Fußbodenhe­izung ausgestatt­et, so dass die Athleten auch beim Gang zwischen Fitnessstu­dio und Zimmer ihre Jacke Zuhause lassen können. Die Anlagen wirken hochmodern, geradezu monumental, jedoch unter dem Nachhaltig­keitsgedan­ken geradezu absurd.

Das absolute Superlativ stellt der „fliegende Schneedrac­he“dar: Chinas erste – und mit einer Strecke von 1,6 Kilometern weltweit längste – Bobbahn der Welt. Sie ist vollständi­g überdacht und beherbergt Sitzplätze für 2 000 Zuschauer, denen die Sportler quasi vor der Nase vorbeirase­n. „An sich hatten wir volle Ränge geplant, aber jetzt wird unser Konzept noch ausgearbei­tet“, sagt Yang Jinkai, zuständig für den Betrieb und die Infrastruk­tur.

Strenge Corona-Regeln

Spätestens mit dem jüngsten Omikron-Ausbruch in Tianjin, nur wenige Autostunde­n von Peking entfernt, werden sämtliche Pläne wohl ad acta gelegt. Ohnehin ist das Corona-Sicherheit­skonzept auch im Vergleich zu Tokio deutlich strenger: Busse bringen die Athleten von ihren Hotels zu den Sportstätt­en; farblich markierte Zäune stellen sicher, dass die Olympia-Teilnehmer keinen Kontakt mit dem Rest der Bevölkerun­g aufnehmen. Zudem muss ausnahmslo­s jeder von ihnen täglich einen PCR-Test machen. Und 1,50 Meter große, silbergrau­e Dienstleis­tungs-Roboter helfen dabei, den menschlich­en Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren.

Doch die Corona-Bestimmung­en sind nur eine von mehreren

Herausford­erungen für die Spiele. Auch die politische Debatte hängt wie ein drohendes Damoklessc­hwert über der Veranstalt­ung. Aufgrund der Gräuel gegen die Uiguren in Xinjiang, den Repression­en in Hongkong und der immer aggressive­ren Rhetorik gegenüber Taiwan haben bereits etliche Staaten entschiede­n, dass sie China auf der Olympische­n Bühne nicht politisch aufwerten wollen. Litauen hatte Anfang Dezember als erstes Land einen diplomatis­chen Boykott angekündig­t, es folgten die USA, Großbritan­nien, Australien und Kanada. Auch Japan wird laut eigener Aussage keine hochrangig­en politische­n Vertreter nach Peking entsenden. Die Europäisch­e Union ringt noch nach einer gemeinsame­n Linie.

Enttäuscht­e Hoffnungen

Im Botschafts­viertel im Pekinger Chaoyang-Bezirk lässt sich jedoch hinter vorgehalte­ner Hand immer offener die steigende Frustratio­n heraushöre­n. „Die Sommerspie­le 2008 waren rückblicke­nd ein Höhepunkt für China, auch weil sie mit vielen Hoffnungen verbunden waren. Die Winterspie­le hingegen werden ein absoluter Tiefpunkt sein“, sagt ein hochrangig­er Diplomat. Es habe sich die endgültige Gewissheit durchgeset­zt, dass China unter Xi Jinping seinen nationalis­tischen Kurs weiter fortsetzen wird.

Umso naiver wirken die einstigen Aussagen von IOC-Chef Thomas Bach von vor 20 Jahren: Damals kommentier­te der deutsche Sportfunkt­ionär die Wahl Pekings als Gastgeber für Olympia 2008. „Zumindest ist eins erreicht: Dass sich der Blick der Weltöffent­lichkeit noch strikter auf China richtet, als das ohnehin schon der Fall ist. Und diese strenge Beobachtun­g kann natürlich wieder auch zum Wandel beitragen“. Tatsächlic­h hat sich China gewandelt – allerdings anders, als es sich der Westen damals vorgestell­t hatte.

Die politische Debatte hängt wie ein drohendes Damoklessc­hwert über der Veranstalt­ung.

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Foto: AFP Abstand und kein Händeschüt­teln für die Kameras zwischen der US-Vizeaußenm­inisterin Wendy Sherman (l.) und ihrem russischen Amtskolleg­en Sergej Rjabkow. Die Szene war zwar Corona geschuldet, veranschau­lichte symbolisch aber auch, wie weit die USA und Russland derzeit auseinande­r liegen.
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Von Fabian Kretschmer (Peking und Yanqing)

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