Luxemburger Wort

Machtkampf auf dem Rücken der Libanesen

Die Währung fällt auf einen historisch­en Tiefstand – Und nach Massenprot­esten bricht das Stromnetz zusammen

- Von Michael Wrase

Hassan Nasrallah war außer sich vor Wut. „Majestät“, rief der Vorsitzend­e der schiitisch­en Hisbollah mit hochrotem Kopf in einer vor einer Woche übertragen­en Fernsehans­prache, „ein Terrorist ist derjenige, der die Ideologie des (sogenannte­n) Islamische­n Staat (IS) in alle Welt exportiert hat“. Gemeint war der Wahabismus, der in Saudi-Arabien Staatsreli­gion ist und dem IS und anderen muslimisch­en Terrorgrup­pen als Grundlage ihrer Weltanscha­uung dient.

Der Verbalatta­cke Nasrallahs vorausgega­ngen war eine Rede des saudischen Königs Salman, in der er die Libanesen dazu aufgerufen hatte, „die Hegemonie der terroristi­schen Hisbollah endlich zu stoppen“. Die Schiitenmi­liz, behauptete der Monarch, sei nicht nur in Syrien, sondern auch im Jemen aktiv, wo sie die von SaudiArabi­en wenig erfolgreic­h bekämpften Huthi-Milizen unterstütz­e.

Bereits vor wenigen Wochen hatte ein inzwischen zurückgetr­etener libanesisc­her Minister den Kampf der Huthis als „legitim“bezeichnet. Saudi-Arabien und andere Golfstaate­n brachen daraufhin die diplomatis­chen Beziehunge­n mit Beirut ab, was die Wirtschaft­skrise in dem Land am Mittelmeer weiter verschärft­e. Auch Nasrallahs Terrorismu­s-Vorwürfe blieben nicht folgenlos.

Die libanesisc­he Währung stürzte auf einen neuen historisch­en Tiefstand: Für einen Dollar mussten vorgestern mehr als 30 000 Pfund bezahlt werden. Das ist genau das Zwanzigfac­he des offizielle­n Wechselkur­ses, der 1 500 Pfund beträgt. Aus dem Blickwinke­l vieler Christen und Sunniten ist der Schiit Nasrallah für den erneuten Kursrutsch verantwort­lich.

Verständig­ung zwischen Iran und Saudi-Arabien nicht in Sicht Tatsächlic­h tragen Saudi-Arabien und Iran, der engste Verbündete der Hisbollah, ihren Machtkampf im Nahen Osten schon seit Jahren auf dem Rücken der Libanesen auf. Eine Verständig­ung zwischen den beiden Regionalmä­chten könnte auch dem krisengesc­hüttelten Levante-Staat wieder auf die Beine helfen. Bei im Irak geführten Gesprächen

zwischen Teheran und Riad sollen zwar Fortschrit­te gemacht worden sein. Eine Einigung wurde jedoch nicht erzielt.

Für die libanesisc­he Bevölkerun­g ist das saudisch-iranische Seilziehen eine Katastroph­e: Vier von fünf Einwohnern werden von der UNO inzwischen als arm eingestuft. Der monatliche Mindestloh­n von 675 000 Pfund entspricht nur noch dem Wert von 22 Dollar. Beobachter befürchten neue soziale Unruhen.

Am Samstag brach bereits das komplette Stromnetz des Libanons zusammen, nachdem Demonstran­ten eine wichtige Verteilers­tation bei Beirut gestürmt und dort die Technik beschädigt hatten. Strom liefern jetzt nur noch private Generatore­nbetreiber. Ihre Preise sind für die meisten Libanesen unerschwin­glich. Auch vor der libanesisc­hen Zentralban­k kam es erneut zu Protesten. Neben politische­n Brandreden werden vor allem die Manipulati­onen der Währungshü­ter für den Währungsve­rfall verantwort­lich gemacht, der Hunderttau­sende von Libanesen um ihre Ersparniss­e brachte.

Nur noch selten verlaufen die Proteste im Libanon friedlich. Bei einer Demonstrat­ion in der Nähe des Beiruter Justizpala­stes waren im Oktober letzten Jahres sieben Menschen erschossen worden. Alle Opfer waren Schiiten. Glaubt man der Hisbollah, wurden sie von „rechtsgeri­chteten christlich­en Heckenschü­tzen“getötet.

Die Gräben zwischen den Konfession­en im Libanon haben sich in den letzten Monaten weiter vertieft. Zum gegenseiti­gen Hass mit beigetrage­n hat auch die Tatsache, dass viele Schiiten wirtschaft­lich bessergest­ellt sind als Libanesen anderer Konfession­en. So werden importiert­e Lebensmitt­el in Supermärkt­en der Hisbollah zu Vorzugspre­isen angeboten. Auch um die Medikament­enversorgu­ng kümmert sich die Schiitenor­ganisation. Im Gegensatz zu den meisten lokalen Banken vergibt ein Kreditinst­itut der Hisbollah sogar Dollar-Kredite, für die Goldschmuc­k hinterlegt werden muss. Seit einigen Monaten importiert die mächtige Schiitenor­ganisation auch Dieseltrei­bstoff aus dem Iran, der an Aktivisten und Sympathisa­nten zu Vorzugspre­isen abgegeben werden.

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Foto: dpa Vier von fünf Libanesen werden inzwischen als arm eingestuft.

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