Machtkampf auf dem Rücken der Libanesen
Die Währung fällt auf einen historischen Tiefstand – Und nach Massenprotesten bricht das Stromnetz zusammen
Hassan Nasrallah war außer sich vor Wut. „Majestät“, rief der Vorsitzende der schiitischen Hisbollah mit hochrotem Kopf in einer vor einer Woche übertragenen Fernsehansprache, „ein Terrorist ist derjenige, der die Ideologie des (sogenannten) Islamischen Staat (IS) in alle Welt exportiert hat“. Gemeint war der Wahabismus, der in Saudi-Arabien Staatsreligion ist und dem IS und anderen muslimischen Terrorgruppen als Grundlage ihrer Weltanschauung dient.
Der Verbalattacke Nasrallahs vorausgegangen war eine Rede des saudischen Königs Salman, in der er die Libanesen dazu aufgerufen hatte, „die Hegemonie der terroristischen Hisbollah endlich zu stoppen“. Die Schiitenmiliz, behauptete der Monarch, sei nicht nur in Syrien, sondern auch im Jemen aktiv, wo sie die von SaudiArabien wenig erfolgreich bekämpften Huthi-Milizen unterstütze.
Bereits vor wenigen Wochen hatte ein inzwischen zurückgetretener libanesischer Minister den Kampf der Huthis als „legitim“bezeichnet. Saudi-Arabien und andere Golfstaaten brachen daraufhin die diplomatischen Beziehungen mit Beirut ab, was die Wirtschaftskrise in dem Land am Mittelmeer weiter verschärfte. Auch Nasrallahs Terrorismus-Vorwürfe blieben nicht folgenlos.
Die libanesische Währung stürzte auf einen neuen historischen Tiefstand: Für einen Dollar mussten vorgestern mehr als 30 000 Pfund bezahlt werden. Das ist genau das Zwanzigfache des offiziellen Wechselkurses, der 1 500 Pfund beträgt. Aus dem Blickwinkel vieler Christen und Sunniten ist der Schiit Nasrallah für den erneuten Kursrutsch verantwortlich.
Verständigung zwischen Iran und Saudi-Arabien nicht in Sicht Tatsächlich tragen Saudi-Arabien und Iran, der engste Verbündete der Hisbollah, ihren Machtkampf im Nahen Osten schon seit Jahren auf dem Rücken der Libanesen auf. Eine Verständigung zwischen den beiden Regionalmächten könnte auch dem krisengeschüttelten Levante-Staat wieder auf die Beine helfen. Bei im Irak geführten Gesprächen
zwischen Teheran und Riad sollen zwar Fortschritte gemacht worden sein. Eine Einigung wurde jedoch nicht erzielt.
Für die libanesische Bevölkerung ist das saudisch-iranische Seilziehen eine Katastrophe: Vier von fünf Einwohnern werden von der UNO inzwischen als arm eingestuft. Der monatliche Mindestlohn von 675 000 Pfund entspricht nur noch dem Wert von 22 Dollar. Beobachter befürchten neue soziale Unruhen.
Am Samstag brach bereits das komplette Stromnetz des Libanons zusammen, nachdem Demonstranten eine wichtige Verteilerstation bei Beirut gestürmt und dort die Technik beschädigt hatten. Strom liefern jetzt nur noch private Generatorenbetreiber. Ihre Preise sind für die meisten Libanesen unerschwinglich. Auch vor der libanesischen Zentralbank kam es erneut zu Protesten. Neben politischen Brandreden werden vor allem die Manipulationen der Währungshüter für den Währungsverfall verantwortlich gemacht, der Hunderttausende von Libanesen um ihre Ersparnisse brachte.
Nur noch selten verlaufen die Proteste im Libanon friedlich. Bei einer Demonstration in der Nähe des Beiruter Justizpalastes waren im Oktober letzten Jahres sieben Menschen erschossen worden. Alle Opfer waren Schiiten. Glaubt man der Hisbollah, wurden sie von „rechtsgerichteten christlichen Heckenschützen“getötet.
Die Gräben zwischen den Konfessionen im Libanon haben sich in den letzten Monaten weiter vertieft. Zum gegenseitigen Hass mit beigetragen hat auch die Tatsache, dass viele Schiiten wirtschaftlich bessergestellt sind als Libanesen anderer Konfessionen. So werden importierte Lebensmittel in Supermärkten der Hisbollah zu Vorzugspreisen angeboten. Auch um die Medikamentenversorgung kümmert sich die Schiitenorganisation. Im Gegensatz zu den meisten lokalen Banken vergibt ein Kreditinstitut der Hisbollah sogar Dollar-Kredite, für die Goldschmuck hinterlegt werden muss. Seit einigen Monaten importiert die mächtige Schiitenorganisation auch Dieseltreibstoff aus dem Iran, der an Aktivisten und Sympathisanten zu Vorzugspreisen abgegeben werden.