Revival für die Kaiserin der Herzen
„Sisi“von Sven Bohse und die Abrechnung mit dem Kitsch der 1950er-Jahre
„Sissi!“– „Franz!“– Der Ausruf dieser beiden Namen genügt, um Bilder von Alpenidylle und Liebesglück heraufzubeschwören, die vor Heimatkitsch nur so triefen. Die „Sissi“-Filmreihe mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm aus den 1950er-Jahren ist derart fest verankert (und verschlissen) im kollektiven Gedächtnis, dass sie eigentlich nur noch der Persiflage Potenzial zu bieten scheint.
Und doch erlebt die Lebensgeschichte der jungen österreichischen Kaiserin im 19. Jahrhundert derzeit ein Revival, das mit dem Verlustschmerz der Republiken um ihre verlorenen Monarchien nur unzulänglich erklärt ist. Elisabeth von Österreich-Ungarn, die Kaiser Franz Josef (Jannik Schümann).
Schon mit der ersten Szene, in der die junge Sissi beim Masturbieren in ihrem Schlafzimmer erwischt wird, macht Regisseur Sven Bohse deutlich, wohin die Reise geht: Denkbar weit weg von der prüden und angestaubten Vorlage aus den 1950er-Jahren.
Statt glückseliger Liebesschwüre vor Bergpanorama legt die Serie die beiden Protagonisten als das an, was sie sind: In Liebes- und Beziehungsfragen weitgehend unerfahrene Jugendliche, die unter der strengen Beobachtung des Wiener Hofes ihre ersten Gehversuche als Ehepaar machen.
Starke Nosbusch
Das Gesicht dieses gnadenlosen Zeremoniells verkörpert meisterhaft Desirée Nosbusch als Kaisermutter Erzherzogin Sophie, die mit
Argusaugen über Gegenwart und Zukunft des Kaiserreichs wacht und nur wohldosierte Einblicke in ihre Gefühlswelt gewährt.
Die Serie besticht durch Opulenz in der Ausstattung, Bildgewalt und die Fokussierung auf die Psychologie ihrer Figuren. Ihr unbestrittenes Gravitationszentrum ist jedoch ihre historische Vorlage: das außergewöhnliche Leben der Kaiserin, die als unbedarfter Wildfang aus der bayrischen Provinz mit 15 Jahren in das Haifischbecken des Wiener Hofes geworfen wurde und dort entgegen aller Erwartungen reüssierte.
Ihre Freiheitsliebe und ihre Verachtung der höfischen Etikette macht sie zum dankbaren Sujet einer Produktion, die eine emanzipierte junge Frau in ihren Mittelpunkt stellen will. Dabei gehen die guten Absichten allerdings auch gerne mal mit den Produzenten
durch: Wenn beispielsweise die junge Kaiserin Napoleon von seinen Kriegsambitionen abbringt, indem sie ihm rührselig vorträgt, wie sehr Mütter um ihre gefallenen Söhne trauern, dann kann man das ruhig als romantische Fiktion abtun.
Wer über großzügige erzählerische Freiheiten in der historischen Rahmenhandlung hinwegzusehen gewillt ist, wird in „Sisi“eine solide Abendunterhaltung finden, die sogar Verächter der alten Sissi-Filme mit ihrem Sujet zu versöhnen vermag.
Und da das Leben der Kaiserin noch reichlich Erzählstoff bietet, wird man nach dem letzten Abspann mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen, dass die Produktion einer zweiten Staffel bereits bestätigt wurde.
„Sisi“Staffel 1 bei RTL+.