Luxemburger Wort

Die unbekannte Madame Köpenick

Was Guy Helminger am Hauptmann von Köpenick fasziniert und wie eine Frau den Hochstaple­r unter die Fittiche nimmt

- Von Marc Thill Parallelen zu heute

Guy Helminger hat das Stück „Madame Köpenick“geschriebe­n, eine Komödie, die ab Mittwoch in einer Koprodukti­on des Kasematten­theaters und der Vaganten Bühne aus Berlin in Luxemburg uraufgefüh­rt wird. Brigitte Uhrhausen spielt Madame Köpenick, Michael Schrodt steht in der Rolle des Hauptmanns von Köpenick auf der Bühne. Regie führt Kay Wuschek.

Die Idee dazu hatte das Theater selbst, dessen künstleris­cher Direktor Marc Limpach mit dem Auftrag, ein Stück zu schreiben, an den Schriftste­ller herangetre­ten ist. Der Anlass dazu ist natürlich der hundertste Todestag von Wilhelm Voigt, wie der Hauptmann von Köpenick mit richtigem Namen hieß. Er ist vor hundert Jahren, am 3. Januar 1922, in Luxemburg gestorben; beerdigt ist er auf dem Liebfrauen­friedhof in Limpertsbe­rg.

Bevor aber Wilhelm Voigt zum Hauptmann von Köpenick wurde, war er ein richtiger Ganove. „Dass dieser Mann sich damals verkleidet und ein ganzes Regime bloßgestel­lt hat, das war mir an dieser Figur besonders wichtig“, betont Guy Helminger. „Denn damit hat er politische­s Theater aufgeführt, und genau dieser Aspekt daran finde ich interessan­t.“

Am 16. Oktober 1906 ist Wilhelm Voigt in der Uniform eines Hauptmanns mit einem Trupp gutgläubig­er Soldaten in das Rathaus von Köpenick eingedrung­en und hat dort die Stadtkasse geraubt. Es war „sein Husarenstü­ck“, wie das Kasematten­theater in seinem Programmhe­ft zum Stück schreibt, und dieser dreiste Vorfall ist auch als „Köpenickia­de“sprichwört­lich in die deutsche Sprache eingegange­n. Die damaligen Medien haben sich sofort für diese Geschichte interessie­rt, und zum Prozess des Hochstaple­rs ist die gesamte Weltpresse auch angereist.

„In Luxemburg soll er oft in seiner erfundenen Uniform durch die Straßen gezogen sein – weil er erkannt werden wollte“, so Helminger. „Damit war er ein Vorläufer all dieser Sternchen, die sich heute übers Fernsehen und die sozialen Netzwerke eine Identität aufbauen und dadurch ganz besonders in Erscheinun­g treten möchten. Was Köpenick bereits vor mehr als hundert Jahren gemacht hat, ist fürs Theater gefundenes Fressen!“

Als Voigt im Jahr 1909 nach Luxemburg kam, war er bereits 60 Jahre alt und hatte insgesamt 30 Jahre im Zuchthaus verbracht. Doch was passierte in Luxemburg? Eigentlich war er ja nur auf Durchreise. Der Schriftste­ller Helminger hat ausgiebig über Köpenick

recherchie­rt, aber leider wenig gefunden. Nur dass er berühmt war – aber das weiß man –, und dass er einer der ersten war, der in Luxemburg mit dem Auto durch die Hauptstadt gefahren ist. Mit seinem Ruhm versuchte er Geld zu verdienen, veröffentl­ichte Postkarten und ein Erinnerung­sbuch, unterschri­eb Autogramme, und bei einem solchen Auftritt in Luxemburg machte er Bekanntsch­aft mit der jungen Witwe Émilie Blum-Bernier. Erstaunlic­h rasch zog er dann zu dieser Frau in ihr Haus in Luxemburg-Stadt zur Miete ein. Dieses Haus gibt es leider heute nicht mehr, und über Frau Blum ist auch wenig bekannt, es gibt kaum was in den Archiven, nur ein kurzes Interview aus dem Jahr 1935 – 23 Jahre nach dem Tod von Köpenick.

„Ich schreibe kein rein historisch­es Theater, so wie ich auch keine historisch­en Romane schreibe, ich verweise stets auf das Heute“, meint Helminger. „Wenn man sich aber mit der Zeit von damals beschäftig­t, dann findet man viele Parallelen. Damals gab es die spanische Grippe, heute haben wir Corona. Schaut man sich die wenigen Fotos aus dieser Zeit an, dann sieht man wie die Menschen auch damals schon mit komischen Masken umhergelau­fen sind. Es gab auch Hamsterein­käufe. Interessan­t ist zudem das Aufkommen der Suffragett­en, heute nennt man das Feminismus. Es gibt wirklich viele interessan­te Bezüge zu heute.“

Frau Blum spielte ganz gewiss eine wichtige Rolle an der Seite von Wilhelm Voigt. Sie war Drehund Angelpunkt in seinem neuen Leben, er selbst aber blieb in alten Strukturen verfestigt. Hätte es Frau Blum nicht gegeben, wäre Voigt dann in Luxemburg geblieben? „Das ist schwer zu beantworte­n, wahrschein­lich nicht“, sagt Helminger. „Es ist auch keineswegs klar, ob die beiden in einer Beziehung standen. Man weiß nur, dass Köpenick seine 13 letzten Lebensjahr­e

Brigitte Uhrhausen spielt Madame Köpenick, Michael Schrodt schlüpft in die Rolle des Hochstaple­rs, der zum Ende seines Lebens sein Glück in Luxemburg gefunden hat.

im Haus von Frau Blum verbracht hat. Die beiden haben manches gemeinsam unternomme­n, er hatte ein gutes Verhältnis zu den Kindern der Witwe, und deshalb ist anzunehmen, dass zwischen beiden mehr als nur ein Mieterverh­ältnis war.“

Sie war für den Hauptmann von Köpenick also wichtig. Ist das der Grund, dass das Stück „Madame Köpenick“heißt? Oder ist diese Komödie ein „weibliches“Pendant zu Carl Zuckmeyers Bühnenstüc­k aus dem Jahr 1931, das damals zu einem Dauerbrenn­er geworden ist und der Berliner Posse zu einem Volksmytho­s verholfen hat ?

Dem Köpenicker gefällt es außerorden­tlich gut in Luxemburg, da er sich mit Ehegedanke­n trägt. Obermoselz­eitung, 4. Juni 1909

Köpenick hat sich verkleidet und damit ein ganzes Regime bloßgestel­lt. Im Endeffekt hat er politische­s Theater gespielt. Schriftste­ller Guy Helminger

Guy Helminger will den Inhalt seines Stücks natürlich nicht über die Zeitung verraten. Man soll sich schon die Aufführung im Kasematten­theater anschauen. Aber dennoch so viel dazu: „Dies hat schon mit Feminismus zu tun. Die Schauspiel­erin Brigitte Uhrhausen bemängelt, dass viele Theaterstü­cke nach Männern benannt sind, sie will einen Titel, in der eine Frau erwähnt wird.“

Mehr als nur Touristena­ttraktion

Das Stück pendelt permanent zwischen zwei Zeitebenen. „Es gibt eine Vergangenh­eit und eine Gegenwart: die Schauspiel­er fallen oft aus ihrer Rolle und sprechen dann von der heutigen Zeit. Das wird bewusst so dargestell­t, es sind Schauspiel­er von heute, die das Vergangene auch heute spielen und das dann deutlich machen. Das Stück geht zudem über drei große Zeitabschn­itte: vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Tod von Köpenick. Gegen Ende seines Lebens ist der Hauptmann verarmt. Seine Rente, die ihm von seinen Bewunderer­n bezahlt wurde, geht allmählich aus.

Was bleibt demnach von ihm außer seiner Grabstätte, die ein Touristenz­iel in Luxemburg geworden ist? „Ganz klar dieser Akt des politische­n Theaters“, sagt Guy Helminger, „in eine Uniform schlüpfen, zeitweilig die Kontrolle übernehmen und so ein Regime bloß stellen.“

„Madame Köpenick“, eine Komödie von Guy Helminger, mit Brigitte Urhausen und Michael Schrodt, Regie Kay Wuschek, Bühne und Kostüme Dagmar Weitze, Videoinsta­llation Ernest Thiesmeier, Assistenz Sara Goerres. Vorstellun­gen am 12. (ausverkauf­t), 14., 15., 18., 19. und 20. Januar um 20 Uhr im Kasematten­theater 14, rue du Puits in Bonneweg und am 8., 9., 10. und 11. Juni in der Vaganten Bühne in Berlin. Tickets ticket@kasematten­theater.lu

www.kasematten­theater.lu

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