Hoffnungsträger auf dem Schleudersitz
Milan-Legende Andriy Shevchenko steckt im italienischen Fußball-Oberhaus mit dem CFC Genua in der Krise
Die Erwartungshaltung ist hoch, der älteste noch bestehende Fußballverein Italiens sehnt sich nach erfolgreicheren Zeiten. Als der frühere ukrainische Stürmerstar Andriy Shevchenko vor zwei Monaten den Trainerposten beim CFC Genua übernahm, wird er gewusst haben, worauf er sich einlässt. „Es war immer mein Ziel, irgendwann in die Serie A zurückzukehren. Das Projekt hat mich überzeugt und ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass der CFC Genua wieder nach oben kommt“, gab Shevchenko bei seinem Amtsantritt zu Protokoll.
Allzu viel Zeit wird jedoch auch dem Ballon-d'Or-Gewinner von 2004 nicht gewährt werden. Der Trainerstuhl in der ligurischen Hafenstadt ist allgemein als Schleudersitz bekannt. Nicht weniger als 20 Coaches arbeiteten in den vergangenen 18 Jahren im Stadio Luigi Ferraris. Shevchenko ist der insgesamt 101. Coach in der Vereinsgeschichte, sein Vorgänger Davide Ballardini wurde in den vergangenen elf Jahren gleich vier Mal eingestellt und wieder entlassen.
Der Glanz vergangener Tage
Am 7. September 1893 von einer Gruppe um den britischen Diplomaten Sir Charles Payton gegründet, holte der Genoa Cricket and Football Club zwischen 1898 und 1924 neun Mal die italienische Meisterschaft und gewann 1937 den nationalen Pokal. Mit Juventus Turin, Inter und dem AC Mailand kamen nur drei Vereine noch öfter zu Titelehren. Von einer vergleichbaren Erfolgsära sind die Rossoblu momentan jedoch weit entfernt. Zunächst gilt es, den drohenden Abstieg zu verhindern. Seit 2007 spielt Genua wieder ununterbrochen in der Serie A, meistens ging es dabei einzig und allein um den Klassenerhalt.
Die erfolgreichste Saison erlebte man 2014/2015, als am Ende der sechste Tabellenplatz heraussprang, der zur Teilnahme an der Europa League berechtigt hätte. Letztendlich wurde dem CFC Genua die dazu erforderliche Lizenz verweigert, wovon ausgerechnet Lokalrivale Sampdoria profitierte und nachrückte.
Wohlwissend, dass die aktuelle Mannschaft den Anforderungen zurzeit nicht gewachsen ist, haben die neuen Clubbesitzer finanzielle Hilfe in Aussicht gestellt. „Wir werden die notwendigen Schritte unternehmen, damit das Team wettbewerbsfähiger wird“, verspricht Andres Blazquez von 777Partners, einer in Miami ansässigen Investmentfirma. „Es war nicht leicht, Shevchenko zu überzeugen, diesen Job zu übernehmen. In der jüngeren Vergangenheit musste der CFC Genua stets mit begrenzten finanziellen Mitteln auskommen. Das wollen wir nun ändern“, so Blazquez weiter. Ganz oben auf der Wunschliste soll Christian Pulisic vom FC Chelsea stehen.
Erfahrungen als Vereinstrainer konnte Shevchenko bislang keine sammeln. Als Co- und später als Chefcoach war er fünf Jahre lang für die Nationalmannschaft der Ukraine verantwortlich und führte sein Heimatland 2021 ins Viertelfinale der Europameisterschaft. Für jemanden wie Shevchenko, der während seiner gesamten aktiven Karriere stets um Titel spielte, ist insbesondere der Abstiegskampf absolutes Neuland.
Sieben Mal sieglos in Folge
Als Spieler bei Dynamo Kiew, dem AC Mailand und dem FC Chelsea gewann der 45-Jährige insgesamt 15 nationale und internationale Titel. Zwischen 1999 und 2006 erzielte Shevchenko für Milan in 208 Partien 127 Tore. Seinen schwärzesten Abend erlebte der Angreifer 2005 im Champions-League-Finale gegen den FC Liverpool, als sein Team einen 3:0-Vorsprung verspielte und im Elfmeterschießen den Kürzeren zog. Shevchenko selbst versagten damals als letztem Schützen die Nerven.
Vergleichbar schlecht verlief bislang auch seine Amtszeit als Trainer in Genua. Als Vorgänger Ballardini am 5. November nach drei Unentschieden in Folge entlassen wurde, stand das Team immerhin noch auf einem Nichtabstiegsplatz. Doch unter Shevchenko blieb Genua sieben Mal in Folge sieglos, erzielte dabei nur zwei Tore und hat inzwischen fünf
Punkte Rückstand auf das rettende Ufer.
Zudem ist eine Blutauffrischung dringend von Nöten. Der 30-jährige Torjäger Mattia Destro ist mit sieben Treffern erfolgreichster Schütze. Abwehrspieler Domenico Criscito – der 35-jährige Kapitän ist zurzeit verletzt – traf bereits fünf Mal, jeweils per Elfmeter. Torwart Salvatore Sirigu (34 Jahre) sowie die Routiniers Valon Behrami (36) und Goran Pandev (38) haben ihre beste Zeit ebenso längst hinter sich.
„Meine Spieler haben Angst davor, Fehler zu machen. Passiert es trotzdem, fällt die Mannschaft jedes Mal auseinander“, beklagt Shevchenko und hofft gleichzeitig auf die Unterstützung der eigenen Anhänger. „Als Spieler habe ich mit Milan oft in Genua gespielt. Es waren jedes Mal hart umkämpfte Duelle, in denen wir gefühlt in Unterzahl waren. Die Fans sind hier wie ein zwölfter Mann“, erinnert sich der 111-malige ukrainische Nationalspieler.
Seinen einzigen Saisonsieg mit Genua feierte Shevchenko jüngst im Pokal gegen Serie-A-Schlusslicht Salernitana (1:0). Im Achtelfinale kommt es am 13. Januar zum Wiedersehen mit dem AC Mailand. Rücksicht auf ihren ehemaligen Star werden die Rossoneri dabei kaum nehmen. Für Shevchenko hingegen zählen ab jetzt nur noch Ergebnisse. Ansonsten könnte sich das Trainerkarussell beim CFC Genua schon bald weiterdrehen.
Die Fans sind hier wie ein zwölfter Mann. Andriy Shevchenko