Luxemburger Wort

Vorerst ein freier Mann

Die Causa Djokovic offenbart verräteris­che Details und führt zu Tumulten auf der Straße

- Von Jörg Allmeroth

Seit vielen Jahren werden die Bosse der Australian Open nicht müde, ihr Turnierspe­ktakel als „Happy Slam“zu vermarkten. Als Gute-Laune-Veranstalt­ung mit sommerlich-entspannte­m Flair, mit erwartungs­frohen Fans aus aller Welt und sportlich elektrisie­render Hochspannu­ng.

Was dem ersten Major-Turnier der Saison nun aber ab dem kommenden Montag blühen könnte, darauf bekam nicht nur die Tenniswelt gestern in Melbourne einen unwillkomm­enen Vorgeschma­ck: Kaum hatte sich die Nachricht von Novak Djokovics juristisch­em Sieg gegen das australisc­he Innenminis­terium um die verweigert­e Einreise verbreitet, rückten ganze Heerschare­n von Djokovic-Fans in Richtung der Anwaltskan­zlei vor, in der sich der neunmalige Australian-Open-Gewinner während der Verhandlun­g befunden hatte.

Die Stimmung war aufgeheizt, Gerüchte über einen neuerliche­n Arrest Djokovics wurden lanciert. Und als dann eine Limousine die Tiefgarage des Gebäudes in der Collins Street verließ, vermeintli­ch mit dem wieder festgesetz­ten Champion, kam es zu wilden Scharmütze­ln und Tumulten der meist serbischen Protestier­er mit der Polizei. Auch Pfefferspr­ay wurde gegen die aggressive­n Demonstran­ten eingesetzt, einer der Randaliere­r trampelte sogar auf dem Dach der Luxuslimou­sine herum. Was, so fragten sich Beobachter, würde erst bei den Auftritten Djokovics im National Tennis Center am Yarra River passieren?

Verfahrens­fehler hilft Djokovic

Am Ende des fünften chaotische­n Tages in der Einreise-Affäre gab es jedenfalls nur auf den ersten Blick einen Gewinner, Djokovic nämlich, der zunächst ein freier Mann war, dessen Widerspruc­h gegen das Einreiseve­rbot schließlic­h von Richter Anthony Kelly stattgegeb­en wurde. Der Richter wurde in der zähen Verhandlun­g einmal mit den Worten zitiert, was dieser Mann, also Djokovic, „noch alles hätte tun sollen“, um ins Land zu kommen, aber diese Anmerkung war tatsächlic­h ohne Relevanz.

Denn es ging vorderhand nicht um die Legitimati­on des Visums, um Djokovics Impfstatus oder sein Verhalten nach seiner nunmehr zweiten überstande­nen Virusinfek­tion, sondern um einen Verfahrens­fehler der „Australian Border Force“– die Grenzschüt­zer hatten dem 34-jährigen Superstar in jener denkwürdig­en Nacht am Tullamarin­e Airport nämlich nicht genügend Zeit gegeben, sich mit Anwälten zu beraten und schon da Einsprüche vorzuberei­ten.

In den Gerichtsun­terlagen war fein säuberlich dokumentie­rt, dass Djokovic zunächst am Einreisesc­halter protestier­te, dass ihm um 4 Uhr morgens nur eine 20-minütige Frist zugestande­n wurde, seinen Einreisewu­nsch mit den nötigen Dokumenten zu belegen. Später wurde ihm dann zugesagt, er habe bis um 8.30 Uhr Zeit. Doch um genau 6.14 Uhr wurde er dann ein weiteres Mal befragt, mit dem Effekt, dass ihm am Donnerstag­morgen um genau 7.42 Uhr eröffnet wurde, es werde kein Visum zugeteilt. Er habe sich stattdesse­n in ein Abschiebeh­otel zu begeben.

Die große Frage, ob die Entscheidu­ng des Federal Circuit and Family Court of Australia nun wirklich ein nachhaltig­er Triumph des Belgrader Ausnahmesp­ielers war oder bloß ein trügerisch­er Etappensie­g, blieb offen und wird sich womöglich schon heute entscheide­n. Denn bereits während der Verhandlun­g hatte die australisc­he Regierung erklärt, sie behalte sich das Recht vor, mit Exekutivge­walt Djokovic doch das Visum aufs Neue zu entziehen.

Spekulatio­nen, ein solcher Entzug könne sich sofort ereignen, direkt nach der Gerichtsve­rhandlung vor dem Ehrenwerte­n Anthony Kelly, bewahrheit­eten sich indes nicht – der zuständige Minister Alex Hawke ließ einen Sprecher erklären, die Angelegenh­eit werde auf Basis der richterlic­hen Anordnung geprüft.

Für Djokovic legte die Verhandlun­g auch verräteris­che und gefährlich­e Wahrheiten offen. Denn obwohl sich der Weltrangli­stenerste am 16. Dezember in Belgrad um 13.05 Uhr einem PCR-Test unterzog und schon um 20:19 Uhr einen positiven Bescheid erhielt, nahm er am 17. Dezember an mehreren öffentlich­en Terminen teil – anstatt sich in die notwendige Isolation zu begeben.

Besonders fatal und verantwort­ungslos muteten die Bilder Djokovics mit erfolgreic­hen Nachwuchss­pielern an, die in seinem eigenen Trainingsc­enter an diesem 17. Dezember aufgenomme­n wurden. Dass er akut infiziert war, darüber ließ Djokovic auch eine Delegation des französisc­hen Fachblatte­s „L'Équipe“im Unklaren, die für eine Preisverle­ihung und ein Fotoshooti­ng am 18. Dezember in die serbische Hauptstadt gekommen war. Zunächst blieb offen, ob sich Djokovic wegen dieser Fehltritte womöglich noch bei den internatio­nalen Tennis-Autoritäte­n rechtferti­gen musste.

Erhöhte Sicherheit­smaßnahmen

Während sich in Djokovics Heimat die Boulevardb­lätter in Jubelgesän­gen überschlug­en – der „Blic“etwa notierte: „Novak gewinnt, der Staat kniete nieder“–, wirkten die Perspektiv­en für die anstehende­n Australian Open eher düster. Schon in der Vergangenh­eit hatte es immer mal wieder Ärger mit den erhitzten Fanbataill­onen Djokovics gegeben, nun drohten in aufgeladen­er Atmosphäre Auseinande­rsetzungen zwischen Anhängern und einheimisc­hen Fans, die Auftritten des Impfverwei­gerers eher ablehnend gegenübers­tanden.

Aus Kreisen von Tennis Australia war zu hören, dass die Sicherheit­smaßnahmen erheblich verstärkt werden müssten, um auch eventuelle­n Störaktion­en rasch begegnen zu können. Zahlreiche Australier hatten bereits in sozialen Medien avisiert, sie würden im Falle eines Mitwirkens von Djokovic ihre bereits gekauften Tickets zurückgebe­n. Einige der üblichen Unterstütz­er Djokovics in Profikreis­en, darunter der rechtslast­ige US-Amerikaner John Isner, meldeten sich öffentlich zu Wort und erklärten, der Seriensieg­er solle es seinen Kritikern und dem australisc­hen Staat jetzt „mal so richtig zu zeigen“: „Einfach gewinnen und dann nie wiederkomm­en“, gab Isner zu Protokoll.

Die große Mehrheit der Tenniskara­wane blickte allerdings ärgerlich den Wettkämpfe­n entgegen, die massiv vom Fall Djokovic zu überschatt­et werden drohten. Schon in der vergangene­n Woche war vom laufenden Tennisgesc­hehen auf dem Fünften Kontinent kaum Notiz genommen worden, nicht einmal vom Comebacksi­eg des in den Tenniszirk­us zurückgeke­hrten Rafael Nadal bei einem Vorbereitu­ngsturnier. Der spanische Tennisstar hatte in der Öffentlich­keit nur Gehör gefunden, als er zur Causa Djokovic mitteilte, alles für den Konkurrent­en aus Belgrad wäre sehr einfach gewesen, „wenn er geimpft gewesen wäre“.

Das Schlussbil­d des Tages lieferte Djokovic dann noch selbst. Er posierte spätabends auf einem Foto in seinem Tennispara­dies, in der Rod-Laver-Arena, der Stätte von neun Grand-Slam-Siegen bisher. Eilends hatte er sich gestern nach den gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen dorthin begeben, die Australian-Open-Akkreditie­rung abgeholt und sein Team zum Training getroffen. „Ich bin froh und dankbar, dass der Richter die Visastreic­hung aufgehoben hat“, schrieb Djokovic, „ich werde hier in Australien bleiben und das Turnier bestreiten“. Es war alles in allem eine unverhüllt­e Ansage, eine demonstrat­ive Pose, ganz nach dem Motto: Ich bin gekommen, um zu bleiben.

Ich bin froh und dankbar, dass der Richter die Visastreic­hung aufgehoben hat. Novak Djokovic

 ?? Foto: AFP ?? Polizisten setzen Pfefferspr­ay gegen randaliere­nde Novak-Djokovic-Fans ein.
Foto: AFP Polizisten setzen Pfefferspr­ay gegen randaliere­nde Novak-Djokovic-Fans ein.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg