Die andere Krise
Die meisten werden sich noch genau erinnern, wo sie heute vor sechs Monaten waren, was sie gemacht haben, nachdem in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli sintflutartige Regenfälle niedergingen und Menschen im ganzen Land vor Schäden und großer Not zurückließen. Nein, 2021 war nicht nur das zweite Coronajahr, 2021 war auch das Jahr der Hochwasser-Katastrophe, deren Folgen bis heute sichtbar sind und deren Aufarbeitung längst nicht abgeschlossen ist.
„Hochwasser-Katastrophe nimmt enorme Ausmaße an und lässt Land und Leute fassungslos zurück“, titelte das „Luxemburger Wort“am 16. Juli 2021. Die Bilder sind bis heute unvergessen. Zahlreiche Straßen, ja selbst ein komplettes Dorf stehen nach jenen fatalen Stunden unter Wasser, Menschen werden mit Booten gerettet, Existenzen zerstört, viele durchleben Angst und Leid. Es sind Szenen, Schicksale und Geschichten, die sich auch den Redakteuren des „Luxemburger Wort“ins Gedächtnis eingebrannt haben, die an jenem Morgen aus den Überschwemmungsgebieten berichten. Sechs Monate später treffen sie an denselben Orten auf Betroffene, die einen langwierigen Wiederaufbau hinter sich oder weitere Renovierungen vor sich haben. Nicht alle waren überzeugt, ob sich die Mühe überhaupt lohnen würde. Denn sie begleitet weiterhin die Sorge und ernüchternde Gewissheit, dass es wieder passieren wird, vielleicht in ein paar Jahren, vielleicht aber auch schon sehr bald. Wir alle wissen, dass Luxemburg im Gegensatz zu seinen Nachbarn dieses Mal großes Glück und keine Todesopfer zu beklagen hatte.
Stellt sich die Frage, ob das Land heute besser vorbereitet wäre. Man könne nicht überall riesige Mauern aufstellen, sondern nur die Risiken abfedern, hatte Umweltministerin Carole Dieschbourg im November bei einer Infoversammlung in der schwer getroffenen Gemeinde RosportMompach betont. Trotzdem werden wie gehabt Böden versiegelt und Wohngebiete in Überschwemmungszonen gebaut. Zwar soll der als Schutz dienende Seitenarm der Sauer bei Steinheim dieses Jahr ausgebaggert werden. Ansonsten beschränkte sich die Regierung in erster Linie auf die Zusage von finanziellen Unterstützungen.
Das Juli-Hochwasser hatte aber auch erhebliche Schwachstellen bei der Frühwarnung offenbart, unter anderem hatte die GouvAlert-App versagt. Innenministerin Taina Bofferding verwies darauf, dass Luxemburgs Warnsysteme ohnehin reformiert werden sollen. Fragen dazu, wie diese Pläne voranschreiten, beantwortet das Innenministerium aber auch sechs Monate nach der Katastrophe nur sehr vage. Offizielle Anweisungen, was die Bürger im Falle einer Warnung tun sollten, hat die Politik bislang ebenfalls nicht kommuniziert. Auch das war damals moniert worden: dass es an Aufklärung fehlt. Ein performantes Warnsystem ist aber unabdinglich, schließlich werden extreme Wetterereignisse durch den menschengemachten Klimawandel in Zukunft weiter zunehmen.
Das Juli-Hochwasser 2021 war ein Weckruf, der lauter war als alle anderen zuvor. Bleibt die Frage, ob er auch bis ins Superwahljahr 2023 nachhallen wird – mit dem unliebsamen Wahlthema Klimaschutz als klare und ernst gemeinte Priorität.
Kontakt: diane.lecorsais@wort.lu