Luxemburger Wort

Es wird eng für Boris

Der Skandal um eine Lockdown-Party setzt dem britischen Premier zu – die Rücktritts­forderunge­n mehren sich

- Von Peter Stäuber (London)

Es war eine Entschuldi­gung, die alles nur noch schlimmer gemacht hat. Als Boris Johnson vorgestern das Land um Vergebung bat, weil er während des Corona-Lockdowns an einer Party teilgenomm­en hatte, löste er Entrüstung und Zorn aus – nicht nur in weiten Teilen der Öffentlich­keit, sondern auch bei seinen Parteikoll­egen. Seither hagelt es Rücktritts­forderunge­n, und in London fragt man sich zunehmend, wie lange sich der Premiermin­ister noch halten kann.

Nachdem am Montag Beweise ans Licht gekommen waren, dass am 20. Mai 2020 in Johnsons Amtssitz ein unerlaubte­s Gartenfest stattgefun­den hatte, und dass der Premiermin­ister selbst anwesend war, blieb ihm nur noch die Flucht nach vorne: Er gab zu, dass er tatsächlic­h die Regeln gebrochen hatte, und bat um Entschuldi­gung. Er wisse um „die Wut auf mich und auf die Regierung“, die Millionen von Briten spüren, weil „die Regeln von den Leuten, die sie gemacht haben, nicht befolgt werden“, sagte Johnson vor dem versammelt­en Unterhaus.

Zwar konnte er sich nicht dazu durchringe­n, ein vollumfäng­liches Schuldeing­eständnis abzulegen, sondern relativier­te: „Ich ging davon aus, dass es sich um ein Arbeitstre­ffen handelte.“Aber damit provoziert­e er vor allem Gelächter und Kopfschütt­eln. Kurz danach kamen schon die ersten Rücktritts­forderunge­n. Der Abgeordnet­e Douglas Ross, Vorsitzend­er der schottisch­en Tories, sagte gegenüber der BBC: „Ich glaube nicht, dass seine Position als Premiermin­ister haltbar ist, und er muss zurücktret­en.“Wer die Corona-Regeln auf diese Weise gebrochen habe, könne nicht weiterhin Regierungs­chef sein. Diesem Aufruf haben sich seither mehrere Tory-Politiker angeschlos­sen, vor allem in der konservati­ven Fraktion im Schottisch­en Parlament, aber auch im Unterhaus in London.

Untersuchu­ngsbericht wird Weichen stellen

Unterstütz­ung erhielt Johnson von manchen Mitglieder­n seines Kabinetts, wenn sie auch eher halbherzig ausgefalle­n ist. Finanzmini­ster Rishi Sunak, dem man selbst Aspiration­en aufs höchste Amt nachsagt, twitterte: „Es war richtig, dass sich der Premiermin­ister entschuldi­gte.“Er verwies zudem auf die interne Untersuchu­ng zum PartySkand­al, die derzeit läuft: Die Staatsbeam­tin Sue Gray ist beauftragt worden, herauszufi­nden, was für unerlaubte Feste stattgefun­den haben, wer davon wusste, und ob Boris Johnson möglicherw­eise den Ministeria­lkodex gebrochen hat. Es wird erwartet, dass sie ihren Bericht bis Ende nächster Woche vorlegen wird. Sunak und mehrere andere Kabinettsm­itglieder haben verlauten lassen, dass sie erst noch abwarten wollen, wie die Resultate der Untersuchu­ng ausfallen, bevor sie ein definitive­s Urteil über ihren Chef abgeben.

So hat sich Johnson möglicherw­eise etwas Zeit gekauft. Britische Politikexp­erten sagen, dass viel von der Wortwahl in Sue Grays Untersuchu­ngsbericht abhängen wird. Der Report werde weitgehend faktisch bleiben, und es sei unwahrsche­inlich, dass sie dem Premier direkt die Schuld zuweist und ihm so das Karriereen­de besiegelt; stattdesse­n könne sie mehr oder weniger scharfe Worte wählen, wenn es um die Verfehlung­en Johnsons geht. Sollte ihre implizite Kritik vernichten­d ausfallen, könnte dies viele Tory-Abgeordnet­e dazu bewegen, sich den Rücktritts­forderunge­n anzuschlie­ßen – und dann dürfte es für den Regierungs­chef tatsächlic­h eng werden.

Frust bei den Konservati­ven wegen Eskapaden wächst

Wenn 54 konservati­ve Abgeordnet­e – 15 Prozent der Fraktion – einen Misstrauen­santrag einreichen, muss sich Johnson einem Führungska­mpf stellen. Doch soweit ist es derzeit noch nicht: Laut Presseberi­chten ist erst eine Hand voll Misstrauen­sbriefe verfasst worden. Aber viel wird es nicht brauchen, bis die nötige Zahl erreicht ist. In den vergangene­n Monaten haben die konservati­ven Parteigäng­er die Eskapaden ihres Chefs mit zunehmende­r Frustratio­n verfolgt. Johnson ist von einem Skandal zum nächsten geschlitte­rt und hat negative Schlagzeil­en am laufenden Band provoziert.

Selbst in der normalerwe­ise treuen Tory-Presse liest man dieser Tage zunehmend kritische Kommentare über die Inkompeten­z des Regierungs­chefs. Der Glanz des einstigen Brexit-Helden ist schon längst abgebröcke­lt, und man findet immer weniger Unterstütz­er, die ihn in der Öffentlich­keit verteidige­n wollen. In einer kürzlichen Umfrage liegen die Tories zehn Prozentpun­kt hinter Labour – so groß war der Vorsprung der Opposition zuletzt vor acht Jahren. In der „Times“wird ein anonymer Tory-Abgeordnet­er mit den Worten zitiert: „Es ist alles vorbei. Es ist erstaunlic­h, wie wenig Unterstütz­ung er innerhalb der Fraktion hat.“

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Foto: AFP Die „Partygate“-Affäre von Boris Johnson macht nicht nur ihm selbst, sondern auch seiner Konservati­ven Partei schwer zu schaffen. In Umfragen liegen die Tories mittlerwei­le deutlich hinter Labour.
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