Luxemburger Wort

Lebenslang­e Haft für Staatsfolt­er in Syrien

Ein Jahrzehnt nach Beginn des syrischen Bürgerkrie­gs spricht ein deutsches Gericht ein historisch­es Urteil

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Koblenz. Das Urteil in dem nach Angaben der deutschen Bundesanwa­ltschaft weltweit ersten Strafproze­ss um Staatsfolt­er in Syrien ist gesprochen. Das Koblenzer Oberlandes­gericht verhängte gestern eine lebenslang­e Haftstrafe gegen den Syrer Anwar R. und sprach ihn unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit schuldig. Der 58-Jährige war nach Auffassung der deutschen Richter in einem Gefängnis des Allgemeine­n Geheimdien­stes in der syrischen Hauptstadt Damaskus als Vernehmung­schef für die Folter von mindestens 4 000 Menschen verantwort­lich. Politik und Menschenre­chtsorgani­sationen begrüßten den Urteilsspr­uch.

Amnesty Internatio­nal nannte das Urteil ein „wichtiges Signal im Kampf gegen Straflosig­keit“. Der Generalsek­retär der Menschenre­chtsorgani­sation des deutschen Ablegers, Markus N. Beeko, erklärte: „Das Gericht in Koblenz hat eindeutig und formal die unmenschli­chen Haftbeding­ungen, systematis­che Folter, sexualisie­rte Gewalt und Tötungen in Syrien festgestel­lt.“

Der im April 2020 begonnene Prozess ist somit am 108. Verhandlun­gstag

zu Ende gegangen – noch ist das Urteil aber nicht rechtskräf­tig. Das Verfahren mit mehr als 80 Zeugen sowie mit einer Reihe von Folteropfe­rn als Nebenkläge­r hatte internatio­nal Aufsehen erregt.

Der Angeklagte hatte sich selbst als unschuldig bezeichnet. Daher hatte seine Verteidigu­ng auf Freispruch plädiert. Die Bundesanwa­ltschaft hatte lebenslang­e Haft und die Feststellu­ng der besonderen Schwere der Schuld gefordert, was eine Haftentlas­sung nach 15 Jahren nahezu ausgeschlo­ssen hätte. Letzteres stellte das Gericht nicht fest.

Nach Überzeugun­g des Koblenzer OLG-Staatsschu­tzsenats hatte Anwar R. die Verbrechen gegen die Menschlich­keit 2011 und 2012 in der Anfangspha­se des syrischen Bürgerkrie­ges begangen. Das Weltrechts­prinzip im Völkerstra­frecht erlaubt es, auch in Deutschlan­d mögliche Kriegsverb­rechen von Ausländern in anderen Staaten zu verfolgen.

Anwar R. wurde nach seiner Flucht nach Deutschlan­d von Folteropfe­rn erkannt und 2019 in Berlin festgenomm­en. Amnesty Internatio­nal äußerte die Hoffnung, dass weitere Prozesse nach dem Weltrechts­prinzip angestreng­t werden.

Ein Hoffnungss­chimmer für die Betroffene­n

Der Menschenre­chtsaktivi­st Omar al-Schughri (26), der in Syrien selbst Opfer von Folter wurde, sagte: „Der symbolisch­e Wert des Urteils ist ein Beweis dafür, wie ein Trauma uns antreibt, Dinge wieder aufzubauen, von denen wir nie dachten, dass sie jemals erreicht werden könnten. Unsere Vergangenh­eit ist eine Waffe gegen unsere Feinde.“Das Urteil werde nicht das gebrochene Herz jeder Mutter heilen, deren Sohn unter Folter getötet worden sei, und auch nicht Opfer zu ihren Familien zurückbrin­gen. „Aber es gibt uns die Hoffnung, dass das Regime fallen und wir frei sein werden.“

Markus N. Beeko von Amnesty sagte weiter, die Ermittlung­en und die Beweisaufn­ahme im Fall Anwar R. seien eine wertvolle Basis für den nächsten Prozess nach dem Völkerstra­fgesetzbuc­h zu Syrien. Der startet am 19. Januar vor dem Oberlandes­gericht Frankfurt gegen einen syrischen Arzt. Ihm wird vorgeworfe­n, in den Jahren 2011 und 2012 in einem Militärkra­nkenhaus und einem Gefängnis des Militärisc­hen Geheimdien­stes im syrischen Homs Menschen gefoltert und ihnen schwere körperlich­e sowie seelische Schäden zugefügt zu haben. dpa

Unsere Vergangenh­eit ist eine Waffe gegen unsere Feinde. Menschenre­chtsaktivi­st Omar al-Schughri

 ?? Foto: dpa ?? Im weltweit ersten Strafproze­ss um Staatsfolt­er in Syrien ist der Angeklagte Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit zu lebenslang­er Haft verurteilt worden.
Foto: dpa Im weltweit ersten Strafproze­ss um Staatsfolt­er in Syrien ist der Angeklagte Anwar R. wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit zu lebenslang­er Haft verurteilt worden.

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