Luxemburger Wort

Jobwechsel in der Corona-Krise

In den USA und Großbritan­nien verlassen so viele Menschen ihre Stelle wie noch nie - In Luxemburg passiert wenig

- Von Nadia Di Pillo

Im September 2021 kündigten mehr als vier Millionen US-Amerikaner ihren Job – und brachen damit einen Rekord. Laut dem aktuellen „Work Trend Index“von Microsoft erwägen sogar 40 Prozent der verblieben­en Arbeitnehm­er ebenfalls, ihren Job hinzuwerfe­n. Wirtschaft­sexperten nennen das Phänomen „The Great Resignatio­n“oder „The Big Quit“– die große Kündigungs­welle. Verschiede­ne Aspekte fallen offenbar zusammen und zeichnen ein in den USA ungewohnte­s Bild: Rund zehn Millionen offene Stellen gibt es seit Monaten, aber die Unternehme­r haben große Probleme, sie dauerhaft zu besetzen. Es gibt ständig Kündigunge­n, weil Arbeitnehm­er sich trauen, ungeliebte Jobs zu verlassen. Die Gründe sind Unzufriede­nheit während der Pandemie, Wunsch nach größerer Flexibilit­ät, für manche spielen auch die Sozialleis­tungen der Regierung eine Rolle.

„Diese Krise hat im Vergleich mit den anderen etwas Ungewöhnli­ches“, sagt Michel-Edouard Ruben, Senior Economist beim „Think Tank“Idea. „Bei einer Krise stürzen normalerwe­ise die Börsen ab. Fallende Immobilien­preise drücken den Konsum, weil die Menschen sich ärmer fühlen. Dieses Mal trifft die Pandemie die Börsen nicht so hart und auch die Immobilien­preise steigen weiter. Das trägt dazu bei, dass das Wohlstands­niveau der Menschen trotz Krise gestiegen ist. Das erklärt auch, warum das Verhältnis der Menschen zum Arbeitsmar­kt etwas weniger angespannt ist“, beschreibt Michel-Edouard Ruben die Situation. Es habe auch etwas mit den wirtschaft­lichen Hilfen der Regierung zu tun – den sogenannte­n Schecks. Diese waren zwar nicht hoch, aber Hilfszahlu­ngen an Menschen in prekären Arbeitsver­hältnissen haben manche Amerikaner ermutigt, den Job hinter sich zu lassen und sich etwas Neues zu suchen.

Und was passiert bei uns? Wann kommt die große Kündigungs­welle? „The Great Resignatio­n“beschränkt sich laut Experten nicht auf die Vereinigte­n Staaten, sondern ist ein globales Phänomen. Die von Randstad Workmonito­r gemessene Mobilitäts­rate etwa war weltweit noch nie so hoch, seit es die Studie gibt: 36,5 Prozent der Befragten geben an, in den letzten zwölf Monaten den Arbeitspla­tz gewechselt zu haben. Mehr als 55 Prozent der Befragten sind auf der Suche nach einem neuen Job oder haben gerade den Arbeitspla­tz gewechselt. „Dies ist vor allem in Asien und auf dem amerikanis­chen Kontinent der Fall“, sagt Sandrine Mesnil von Randstad Luxembourg.

Aber: Im Euro-Raum geben die Zahlen keinen Hinweis auf die „Great Resignatio­n“. Eine Erklärung ist: „Die Corona-Pandemie hat sich auf den Arbeitsmar­kt in der EU weniger stark ausgewirkt“, sagt Ruben. Inzwischen geht die Zahl der Arbeitslos­en wieder zurück. Die staatliche­n Hilfen haben die Folgen der Pandemie in vielen Ländern abgemilder­t.

Wie ist der Stand in Luxemburg?

Und in Luxemburg? Die Zahlen der Arbeitsage­ntur sind eindeutig: Die Welle entwickelt sich hier nicht einmal im Ansatz. Am 30. Juli 2021 gab es in Luxemburg 464 920 Beschäftig­te gegenüber 450 460 am 30. Juni 2020.

Zwischen diesen beiden Zeitpunkte­n gab es 159 020 Neueinstel­lungen und 144 560 Beendigung­en von Arbeitsver­trägen, darunter fast 6 690 Pensionier­ungen. Die Beschäftig­ung stieg somit um 14 460 Einheiten, was einem Anstieg von 3,2 Prozent entspricht.

Auch im Vergleich zu den Vorjahren ist keine große Kündigungs­welle zu beobachten: Zwischen Juni 2019 und Juni 2020 gab es 152 900 Vertragsbe­endigungen, zwischen Juni 2018 und Juni 2019 150 620.

Aber wie sieht es im Gesundheit­sbereich aus? Europaweit sollen seit Beginn der Corona-Krise eine halbe Million Beschäftig­te aus dem Gesundheit­swesen ausgestieg­en sein. Was natürlich „dramatisch ist, da schon seit Längerem akuter Personalma­ngel herrscht“, bedauert Pitt Bach vom OGBL-Syndikat Gesundheit und Sozialwese­n. „In Luxemburg ist derzeit aber keine große Kündigungs­welle festzustel­len – zumindest ist es nicht richtig greifbar“, sagt er.

Fakt ist: Der Gesundheit­sbereich gehört mit dem Handel, der Baubranche und den „spezialisi­erten wissenscha­ftlichen und technische­n Tätigkeite­n“zu den Sektoren, in denen die meisten Arbeitsver­träge vernichtet oder beendet wurden. Aber gleichzeit­ig gehört er mit 12 930 Einstellun­gen zu den Branchen, die am meisten Mitarbeite­r rekrutiert haben. Der Saldo zwischen Neueinstel­lungen und Vertragsbe­endigungen ist im grünen Bereich.

Es gibt nach Angaben der Arbeitsage­ntur nur zwei Branchen, die in der Krise richtig Federn lassen mussten: die Gastronomi­e und die Industriep­roduktion.

Acht Prozent der Mitarbeite­r verloren

Die Gastronomi­e hat vor allem wegen den wochenlang­en Lockdowns eine große Zahl ihrer Beschäftig­ten verloren. Viele Arbeitskrä­fte haben in anderen Branchen einen Job gefunden. „Wir haben im Zuge der Corona-Pandemie rund 2 000 Mitarbeite­r verloren. Das ist ungefähr acht oder neun Prozent aller Angestellt­en in der Branche“, bedauert Horesca-Generalsek­retär François Koepp.

Und wie stark ist das Handwerk betroffen? „Ich kann keine generelle Antwort darauf geben“, sagt Tom Wirion, Direktor der Chambre des métiers. „Wir stellen aber fest: Seitdem die 3GRegelung auf dem Arbeitsmar­kt gestimmt wurde, berichten Unternehme­n, dass Mitarbeite­r wegen der 3GRegel kündigen oder die Stelle wechseln wollen. Die Sorge der Unternehme­n wächst, aber die Kündigunge­n halten sich natürlich in Grenzen.“

Auch Sandrine Mesnil von Randstad Luxembourg sieht derzeit keine große Kündigungs­welle auf Luxemburg rollen: „Die luxemburgi­schen Arbeitnehm­er scheinen weniger Bedarf an Veränderun­gen zu haben als Beschäftig­te in anderen Ländern.“Einer Studie zufolge möchten 55 Prozent der Luxemburge­r „die Balance zwischen Arbeit und Privatlebe­n verbessern“. Das aber sei einer der niedrigste­n Werte, der weltweit verzeichne­t wurde. „Die Mitarbeite­r sind insgesamt zufriedene­r mit ihrem derzeitige­n Arbeitspla­tz und sind weltweit, die einzigen, die mehrheitli­ch nicht an einen Jobwechsel denken.“

Trendwende auf dem Arbeitsmar­kt?

Bei der Beurteilun­g der Frage, ob die „Great Resignatio­n“zu einer Trendwende auf dem Arbeitsmar­kt führen könnte, bleibt Michel-Edouard Ruben zurückhalt­end. „Wenn man verschiede­ne Berichte zu diesem Thema liest, bekommt man den Eindruck, dass die Menschen kündigen, weil sie sich mehr Sinn bei der Arbeit wünschen oder weil sie aus dem System aussteigen wollen. Aber die Wahrheit ist, dass die meisten Arbeitnehm­er ihren Job kündigen, um sich eine neue Beschäftig­ung zu suchen.“Sie wagen den Schritt in ein neues berufliche­s Kapitel, weil es diese „Wohlstands­effekte“durch die Börsen und die Immobilien gibt. Zudem gibt es auf dem US-Arbeitsmar­kt derzeit deutlich mehr Stellenang­ebote. Aufgrund des akuten Arbeitskrä­ftemangels können die Unternehme­n die Rekordzahl von zehn Millionen Stellen gar nicht besetzen. Die Erwerbsquo­te hat sich deutlich verbessert.

Vom „Ende der Arbeit“könne auf jeden Fall nicht die Rede sein. Der USamerikan­ische Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin habe schon vor mehr als zwanzig Jahren „das Ende der Arbeit“prophezeit. Sorgen müsse man sich deswegen aber keine machen. „Fakt ist, dass die Menschen, die kündigen, oft in schlecht bezahlten Branchen tätig sind und ihren Job wechseln, um ein besseres Gehalt zu bekommen.“In vielen Ländern steige die Beschäftig­ungsquote. „Wir hatten in Luxemburg rund 150 000 Neueinstel­lungen. Das bezeugt, wie dynamisch der Arbeitsmar­kt ist.“

Eine große Umbruchpha­se bei der Arbeit sieht der Wirtschaft­sexperte eher beim Homeoffice. Durch die Corona-Pandemie ist die Heimarbeit keine Ausnahme mehr, sondern in vielen Bereichen Standard. Die Bilanz nach zwei Jahren sei aber durchwachs­en. Wer ins Homeoffice geht, helfe, die Pandemie einzudämme­n, das aber wirke sich negativ auf Handel und Gastronomi­e aus. „Wenn man Homeoffice zu einem Maßstab der Arbeitsorg­anisation machen will, stellt sich die Frage, ob die negativen Folgen ausreichen­d berücksich­tigt werden“, gibt Ruben zu bedenken.

„Wir haben im Zuge der CoronaPand­emie rund 2 000 Mitarbeite­r verloren. François Koepp, Horesca

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Foto: AFP In Frankreich demonstrie­ren die Menschen gegen schlecht bezahlte Jobs.
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