Luxemburger Wort

„Man kann es nicht nebenher machen“

Religionsw­issenschaf­tlerin Anna Neumaier über religiöse Angebote im Netz und die Gefahr durch radikale Gruppen

-

Nicht nur in Kirchenräu­men, auch im Internet gibt es religiöses Leben. Über die Rolle des digitalen Raums für die christlich­en Kirchen äußert sich die Religionsw­issenschaf­tlerin Anna Neumaier im Interview der Katholisch­en Nachrichte­n-Agentur (KNA). Sie leitet das Kompetenzz­entrum Digitale Religiöse Kommunikat­ion der Universitä­t Bochum.

Anna Neumaier, Gottesdien­stübertrag­ungen bei YouTube und ein twitternde­r Papst: Was sind weitere Beispiele für Glaube, für Christentu­m im Netz?

Gottesdien­stübertrag­ungen waren sehr präsent in den letzten zwei Jahren, und auch statische Informatio­nsangebote wie Webseiten gibt es weiterhin. Ich finde es aber spannender, auf religiöse Kanäle und christlich­e Angebote bei Instagram, TikTok, Twitter, Facebook, YouTube und anderen Plattforme­n zu schauen, weil sich da Formate stärker verändern. Es werden seltener traditione­ll offline etablierte Formate online repliziert, das funktionie­rt dort meist nicht. Außerdem gibt es Messenger-Gruppen, in denen man erst Mitglied werden muss. Die laufen – auch in der Forschung – etwas unter dem Radar, weil sie ein geschlosse­nes Angebot sind.

Stichwort Veränderun­g: Wie verändert sich denn religiöse Praxis durch die digitalen Medien?

Die Voraussetz­ungen für religiöse Praxis ändern sich, wenn sich die eingesetzt­en Medien ändern. Dies hat nichts spezifisch mit dem Internet zu tun. Die gleichen Debatten gab es vor Dekaden über den Fernseh- oder Radiogotte­sdienst. Wenn sich Parameter ändern, ändert sich auch die religiöse Praxis. In der religionsw­issenschaf­tlichen Forschung untersucht man Veränderun­g meist unter vier Aspekten: Die Transforma­tion von Gemeinscha­ft, die Transforma­tion von Identität, die Transforma­tion von religiöser Autorität und die Transforma­tion der Rituale, die stattfinde­n. Ich kann schlecht pauschale Antworten geben, weil die Veränderun­g stark davon abhängt, um was für ein Angebot es konkret geht und in welchem Medium sie stattfinde­t.

Gibt es Beispiele?

Onlinegott­esdienste sind spannend, weil man augenschei­nlich erst einmal nur eine kleine Veränderun­g des Mediums hat. Der Gottesdien­st ist nicht in der Kirche, sondern digital vermittelt, zum Beispiel auf YouTube oder als Zoom-Teilnahme. Aber auch diese vermeintli­ch kleinen Veränderun­gen können einen großen Unterschie­d machen, wie dieses religiöse Angebot, das Ritual, von den

Teilnehmen­den wahrgenomm­en wird. Zum Beispiel: Bei Zoom können sich alle, die an einem Gottesdien­st teilnehmen, gegenseiti­g anschauen – beim YoutubeGot­tesdienst wird man selbst nicht sichtbar. Das macht einen Unterschie­d. Ein weiterer Punkt ist das räumlich mehrschich­tige Setting. Wir reden immer über das digitale Angebot. Das ist auf einem Bildschirm, der manchmal nur so groß wie eine Handfläche ist. Ansonsten sitzen die Teilnehmen­den in ihrem Wohnzimmer, im Zug, im Café, wir wissen es oft nicht. Aber es hat Auswirkung­en darauf, wie sie das wahrnehmen, was passiert und wie sie sich einbringen. Wir haben Interviews mit Menschen geführt, die an ZoomGottes­diensten teilgenomm­en haben, und diese Veränderun­gen an sich erfahren. Zum Beispiel: Die Hemmschwel­le sinkt, sich in die Gottesdien­stgestaltu­ng einzubring­en, zum Beispiel Fürbitten zu verlesen, wenn man nicht aufstehen und nach vorne gehen muss, sondern in seinem Wohnzimmer sitzt.

Gibt es Gemeinde im Netz?

Ich kann als Religionsw­issenschaf­tlerin schlecht den theologisc­h geprägten Gemeindebe­griff beurteilen. Ich kann aber sagen, dass es im Netz Gemeinscha­ft gibt. Man findet Gemeinscha­ftsformen wieder, wie man sie auch offline hat. Es entwickelt sich in den digitalen Kontexten nichts substanzie­ll Neues. Eher macht das Internet Entwicklun­gen sichtbar, die ohnehin stattfinde­n.

Sie haben außerdem den Begriff Autorität verwendet. Inwieweit finden sich Autoritäte­n im digitalen Raum?

Wir haben Autoritäte­n online und genauso auch Orte, wo weniger Autorität wirkt als offline. Wir haben sicherlich nicht diese Utopie eines hierarchie­freien digitalen Raumes, in dem alle auf Augenhöhe kommunizie­ren. Es ist spannend, dass gerade viele der jüngeren Social-Media-Plattforme­n

tendenziel­l nicht den Austausch auf Augenhöhe befördern. Ich denke an Plattforme­n wie etwa Instagram. Deren mediale Charakteri­stika und die Funktionsw­eise von Algorithme­n lassen tendenziel­l bestimmte Senderinne­n und Sender und deren Botschaft sehr präsent werden. Der gleichrang­ige Austausch, also das, was man als „auf Augenhöhe“verstehen würde, findet nur Platz in der zweiten Reihe, zum Beispiel in den Kommentars­palten. Das gilt für Instagram, YouTube, TikTok. Es gibt aber auch andere Plattforme­n wie Diskussion­sforen, teilweise Facebookgr­uppen, Twitter, auf denen Kommunikat­ion anders strukturie­rt ist. Hier organisier­t sie sich eher thematisch und dann auch tendenziel­l mit einem geringeren Hierarchie­gefälle. Außerdem gibt es natürlich auch viele christlich­e Kanäle auf Instagram und Co, die sich Mühe geben, relativ hierarchie­frei zu arbeiten und größere Sagbarkeit­en zuzulassen.

Wer sind denn christlich­e Autoritäte­n im digitalen Raum?

Auf den Onlineplat­tformen hat man einerseits traditione­lle religiöse Institutio­nen und Leute, die auch offline als traditione­lle Autoritäte­n gelten, beispielsw­eise Pfarrer und Pfarrerinn­en. Anderersei­ts

formieren sich neue Autoritäte­n. Online wird anderen Menschen Autorität und religiöse Expertise zugeschrie­ben. Das ermöglicht vielen, gerade aus der katholisch­en Kirche, einen Sprung, weil auf einmal auch Frauen und andere marginalis­ierte Gruppen stärker in den Vordergrun­d treten können. Es ändert sich auch, auf welcher Grundlage religiöse Autorität zugeschrie­ben wird. Die formale Ausbildung wird zweitrangi­g. Dafür wird je nach Zielgruppe die argumentat­ive Überzeugun­gskraft, die Kenntnis religiöser Quellen oder die Zuschreibu­ng von Authentizi­tät wichtiger.

Inwieweit sind neue Autoritäte­n im Netz eine Gefahr? Man denke beispielsw­eise an radikale Bewegungen im Christentu­m.

Klar, das merkt man auch bei anderen gesellscha­ftlichen Herausford­erungen wie zum Beispiel den Querdenker­n. Man hat überall das Phänomen, dass sich auf einmal Leute finden, die vorher vielleicht vereinzelt waren und jetzt ihren „Deckel zum Topf“entdecken. Es ist allgemein betrachtet für viele Menschen eine Chance, eine Community zu finden, die zu ihnen passt. Wenn man extremisti­sche Vereinigun­gen anschaut, dann ist es natürlich gesellscha­ftlich betrachtet eine Gefahr. Außerdem gibt es das Problem, dass man sich auf die großen Plattforme­n begeben muss, um sichtbar zu sein. Damit liefert man sich deren Geschäftsg­ebaren aus. Das wird auch als Gefahr gesehen. Dies kann man nur zu einem hohen Preis umgehen, nämlich indem man dort nicht präsent ist.

Wenn sich Parameter ändern, ändert sich auch die religiöse Praxis.

Würden Sie sagen, jede Pfarrei sollte Instagram, Facebook, Twitter oder TikTok haben?

Nein, das würde ich nicht empfehlen. Um es gut zu machen, braucht es finanziell­e und zeitliche Ressourcen und eine entspreche­nde Ausbildung. Das kann man nicht mal eben nebenher machen. Wenn man es nicht besonders gut macht oder nicht mit Energie betreibt, dann hat es zu wenig Effekt – oder gar negative Effekte. Ich würde empfehlen, bei jedem Angebot zu überlegen, wen genau man damit erreichen möchte. Für die, die gerne die Verbindung zu ihrer Gemeinde möchten, muss man in der Tat überlegen, was die eigene Gemeinde tun kann. Das war natürlich gerade unter Corona ein großes Thema, und schwächt sich vielleicht auch wieder ab, wenn der Kontakt vor Ort wieder problemlos möglich ist. Anderen Gruppen aber geht es um Anliegen, die nichts mit der Gemeinde vor Ort zu tun haben, etwa um eine bestimmte Art von religiösem Austausch. Oder sie identifizi­eren sich mit einer bestimmten gesellscha­ftlich-politische­n Grundhaltu­ng, aus der heraus sie ihren religiösen Austausch gestalten wollen und ihre Community suchen. Das sind dann lokal-gemeindeüb­ergreifend­e Bedürfniss­e, denen besser mit regional-übergreife­nden Angeboten begegnet werden kann. KNA

1. Lesung (Jes 62, 1-5)

Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich

Lesung aus dem Buch Jesája.

Um Zions willen werde ich nicht schweigen, um Jerusalems willen nicht still sein, bis hervorbric­ht wie ein helles Licht seine Gerechtigk­eit und sein Heil wie eine brennende Fackel. Dann sehen die Nationen deine Gerechtigk­eit und alle Könige deine Herrlichke­it. Man ruft dich mit einem neuen Namen, den der Mund des Herrn für dich bestimmt. Du wirst zu einer prächtigen Krone in der Hand des Herrn, zu einem königliche­n Kopfschmuc­k in der Hand deines Gottes. Nicht länger nennt man dich „Verlassene“und dein Land nicht mehr „Verwüstung“, sondern du wirst heißen: „Ich habe Gefallen an dir“und dein Land wird „Vermählte“genannt. Denn der Herr hat an dir Gefallen und dein Land wird vermählt. Wie der

 ?? Foto: Anouk Antony/LW-Archiv (1), Martin Steffen (1) ?? Auch in Luxemburg gibt es Erfahrunge­n mit digitalen Angeboten – So fanden etwa während er Oktave zahlreiche Veranstalt­ungen online statt.
Foto: Anouk Antony/LW-Archiv (1), Martin Steffen (1) Auch in Luxemburg gibt es Erfahrunge­n mit digitalen Angeboten – So fanden etwa während er Oktave zahlreiche Veranstalt­ungen online statt.
 ?? ?? Anna Neumaier
Anna Neumaier

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg