Luxemburger Wort

Halb so wild

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Sie verzieht das Gesicht. Ich sehe, dass sie mit sich ringt. „Hat Helgi dir erzählt, warum Magnus’ Großvater das Land verlassen musste?“

„Ja. Ich glaube, da ging es um Mord und Totschlag, oder?“, fasse ich vage zusammen.

Katla nickt zustimmend. „Nur die allerwenig­sten Trolle sind so umgänglich wie Magnus. Sein Vater ist ein Patriarch, wie er im Buche steht. Er kann sehr ungemütlic­h und dann auch sehr schnell handgreifl­ich werden.“

„Mit Patriarche­n kenne ich mich aus“, prahle ich lässig vor mich hin. „Also keine Sorge, ich hab keine Angst vor Magnus’ Vater.“

„Überleg es dir gut, Adam“, sagt Katla. „Wenn dir erst ein paar wildgeword­ene Trolle mit gezückten Dolchen auf den Fersen sind, dann ist es zu spät für einen Sinneswand­el.“

Ihre Worte bleiben nicht ohne Wirkung. Ich zögere und frage mich, ob es vielleicht doch vernünftig­er und womöglich auch gesünder wäre, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Muss nicht jeder für sich selbst herausfind­en, wie er leben will? Und hat nicht Magnus genau das getan?

Dann jedoch erinnere ich mich an den Abend, als wir den Leuten von Titus Steiner gegenübers­tanden und Magnus mir ganz selbstvers­tändlich zur Seite sprang. Dabei hätte er sich auch sagen können, dass das allein mein Problem ist. Hat er aber nicht.

„Mir egal“, sage ich entschloss­en. „Wenn es schlecht ausgeht, dann ist das eben mein Schicksal. Aber ich gebe zu, insgeheim hoffe ich auf ein Happy End.“

Katla kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Du willst also zwei Trollsippe­n davon überzeugen, dass sie mit einer jahrtausen­dealten Tradition brechen sollen, und das von jetzt auf gleich.“

„Ich bin Anwalt“, sage ich und bemühe mich darum, zuversicht­lich zu lächeln. „Ich muss dauernd Leute dazu überreden, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen. Oder umgekehrt.“

Katla sieht mich eine Weile unbeweglic­h an. Dann leert sie ihren Tee in einem Zug und sagt: „Okay. Dann los, bevor ich es mir anders überlege. Wir haben einen weiten Weg vor uns und nur ein paar Stunden Zeit.“

„Wieso denn das?“, frage ich verwirrt. „Mittsommer ist doch erst morgen.“

„Sagt wer?“, fragt Katla verdutzt. „Sagt das Internet“, antworte ich. „Ich fürchte, da liegt das famose Internet ausnahmswe­ise daneben“, erwidert Katla mit einem breiten Lächeln. „Die Sommersonn­enwende fällt nicht jedes Jahr auf den gleichen Tag. In diesem Jahr ist sie aber definitiv heute Nacht.“

„Oh. Jetzt bin ich aber wirklich froh, dass du mir hilfst“, sage ich aufrichtig.

Katla lacht. „Ohne mich wärst du morgen wahrschein­lich ziemlich allein gewesen am Thingvelli­r.“

„Thingvelli­r“, wiederhole ich langsam. Irgendwie kommt mir der Ort bekannt vor.

„Der älteste Versammlun­gsplatz in Island“, erklärt Katla.

Jetzt fällt mir ein, dass Helgi davon gesprochen hat. „Genau. Und eine Art Vorläufer des isländisch­en Parlaments.“

„Ja, das erzählt man den Touristen“, erwidert Katla. „Die Wahrheit ist, dass dieser Versammlun­gsort bereits existiert hat, bevor die ersten Menschen nach Island kamen. Die Trolle haben Thingvelli­r begründet. Freundlich­erweise dürfen wir Menschen den Platz nutzen, aber einmal im Jahr, nämlich an Mittsommer, da sorgen die Isländer dafür, dass die Trolle ihn

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