Etappenweise Modernisierung
Die nächsten Reformschritte beim Gemeindegesetz betreffen die Verwaltung und die Lokalpolitiker
Die Reform des Gemeindegesetzes, im Sommer 2019 mit dem Slogan „Mateneen fir eng modern Gemeng“lanciert, hatte zuletzt auch corona-bedingt an Fahrt verloren. Nun will Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) zurück auf die Überholspur und bis zum Ende der Legislaturperiode noch zwei Gesetzprojekte durch den Instanzenweg schleusen. Als Grundlage dienen die vielen Unterredungen, die in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren mit den kommunalen Berufsvertretungen und den Lokalpolitikern geführt wurden.
Zwei neue Rollen
Wenn die neuen Schöffenräte ab der zweiten Hälfte 2023 ihre Arbeit aufnehmen, soll die Gemeindeverwaltung über zwei neue Rollen verfügen, die ihnen die alltägliche Arbeit vereinfachen sollen: zum einen den Verwaltungschef („chef d'administration“), so wie ihn auch staatliche Behörden kennen. Ziel ist es, den Schöffenrat bei seiner alltäglichen Arbeit zu entlasten, so dass dieser sich seinen politischen Aufgaben widmen kann. Angedacht ist, dass der Verwaltungschef, der dem Schöffenrat unterstehen soll, sich um die täglich anfallenden Personalangelegenheiten kümmert, um einen einwandfreien und fortwährenden Betrieb der kommunalen Verwaltung zu gewährleisten.
Mit dem Verweis auf die heutige Organisation erklärt die Ministerin ihr Reformvorhaben: Die gesetzlichen Grundlagen für die Rolle des Gemeindesekretärs und -einnehmers reichen auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Bei der Jobbeschreibung des „chef d'adminstration“, der neben kommunalen Kenntnissen über Sozialkompetenzen und Personalführungsfähigkeiten verfügen soll, inspiriert sich das Innenministerium am wallonischen Modell und dem dortigen „directeur général“.
Zum anderen soll neben dem Verwaltungschef die Rolle eines „conseiller de légalité“geschaffen werden. Seine Aufgabe ist es zu prüfen, dass kommunale Dossiers vereinbar sind mit bestehenden gesetzlichen und reglementarischen Vorgaben – und seine Rolle ergibt sich aus der Reform der „tutelle administrative“, die mit einer Reduzierung der Kontrollfunktion des Intérieur einhergeht.
Große Gemeinde, kleine Gemeinde Da sich die Bedürfnisse je nach Größe der Gemeinde unterscheiden, können die Aufgaben des „chef d'administration“und des „conseiller de légalité“in Kommunen bis 10 000 Einwohner bei einem einzige Beamten vereint werden. Große Gemeinden können auch einen beigeordneten Verwaltungschef bezeichnen.
Außerdem soll ein Verwaltungskomitee eingesetzt werden. Dieses Gremium, das sich aus Vertretern der einzelnen Dienststellen zusammensetzt und dem der technische Dienst angehören muss, soll sich mit Fragen der täglichen Organisation der kommunalen Verwaltung befassen.
Gegenstand der Gesetzvorlage soll auch die „délégation de signature“sein, die unter anderem vom Syvicol befürwortet wird. Derzeit laufen noch Überlegungen bis zu welchem Betrag der Schöffenrat die Unterzeichnung von Dokumenten an einen Beamten delegieren kann. Fest steht jedoch schon, dass die Delegation nicht bei Dokumenten politischer Natur appliziert werden soll, denn es handele sich nicht um eine „délégation de pouvoir“, betont die Ministerin den Unterschied.
Der näher rückende Wahltermin – die neuen Gemeinderäte werden am 11. Juni 2023 bestimmt – erhöht derweil den Handlungsbedarf in einem anderen Dossier: Das Statut des „élu local“, wo der Dachverband der Gemeinden seit Längerem auf eine Regelung drängt. Die Innenministerin will auch hier, dass die neuen Bestimmungen mit der nächsten Mandatsperiode in Kraft treten können – wobei diese Bestimmungen für die Ministerin dazu beitragen sollen, dass sich Bürger für ein kommunalpolitisches Engagement begeistern, denn: „Die Gemeinden sind das Basislager unserer Demokratie.“
Ausweitung des „congé politique“Um dieses Basislager zu stärken laufen zurzeit Überlegungen, den politischen Urlaub auszuweiten. Es soll ausreichend Zeit verfügbar sein, um das kommunale Mandat auszufüllen, so die Ministerin, die den Begriff „congé“als missverständlich erachtet. Sie sieht es eher als „détachement“, um andere Aufgaben
des neuen Pacte Logement dazu, der es Staat und Gemeinden ermöglicht, jenen erschwinglichen Wohnraum zu erhalten, der einmal als solcher ausgewiesen wurde. Diese Bestimmung tritt im Februar in Kraft.
„Große Hoffnungen“setzt Taina Bofferding auch in die Baulandverträge, wo das Gutachten des Staatsrates weiter auf sich warten lässt. Die Verkürzung der Genehmigungsfristen, die Einführung des „remembrement ministériel“(ein einzelner Eigentümer kann eine Erschließung nicht blockieren) sowie Zeitfenster zur Erschließung samt Sanktionen sollen ihre Wirkung nicht verfehlen, zeigt sich die Ministerin von diesem gesetzlichen Vorstoß überzeugt. mas
im Dienst der Allgemeinheit zu erfüllen.
Ein wichtiger Punkt der Neuregelung ist die arbeits- und sozialrechtliche Absicherung. Die angedachten Mechanismen sollen unter anderen verhindern, dass Kommunalpolitikern während der Ausübung ihres Mandats die Entlassung droht; auch sollen Aspekte wie Mutterschafts- oder Elternurlaub geregelt werden. Bei der Formulierung werde sich am bestehenden belgischen Modell inspiriert.
In dem in Ausarbeitung befindlichen Gesetzentwurf wird auch die strafrechtliche Verantwortung definiert. Hier gehe es nicht darum, den Lokalpolitikern einen Freifahrtsschein auszustellen, betont Taina Bofferding; vielmehr soll verhindert werden, dass ein Kommunalpolitiker im Rahmen seines Engagements persönlich haftbar gemacht werde – wie dies in der Vergangenheit ein ums andere Mal der Fall war. Die Haftbarkeit soll vielmehr bei der Gemeinde liegen.
Vervollständigt wird das Paket zum Statut des „élu local“mit einem Deontologiekodex. Denn im Gegensatz zu Regierung und Parlament existiert ein derartiges Verhaltenshandbuch auf kommunaler Ebene noch nicht, was die Ministerin aber als eine „absolute Notwendigkeit“erachtet.
Der beschwerliche Instanzenweg Dass der Instanzenweg lang und hürdenreich sein kann, erfährt die Ministerin bei der Reform der „tutelle administrative“. Der Gesetzentwurf wurde im Januar 2020 eingereicht, im Sommer 2021 lag das Gutachten des Staatsrats vor, mittlerweile wurde dessen Beanstandungen Rechnung getragen, sodass Taina Bofferding hofft, dass die Abstimmung im Parlament noch vor Ostern erfolgen kann.
Herzstück der Reform der Vormundschaft ist die „transmission obligatoire“. Dieses Prinzip besagt, dass Gemeinden einen Beschluss ab dem Zeitpunkt anwenden, wo sie das Innenministerium von diesem Beschluss in Kenntnis gesetzt haben. Allerdings ist die „transmission obligatoire“keine Einbahnstraße; sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass ein Beschluss regelwidrig ist, kann dieser ausgesetzt oder annulliert werden. Zur Vereinfachung beitragen soll auch die Einführung einer Frist von drei Monaten, innerhalb der im Innenministerium eine kommunale Entscheidung begutachtet werden soll. Erhält eine Gemeinde in dieser Zeit keine Reaktion aus dem Intérieur, kann sie ihren Beschluss umsetzen. Vervollständigt wird die Reform mit der kontinuierlichen Digitalisierung und Dematerialisierung der Prozeduren, sowie der Abschaffung von etwa 50 Prozent der heute noch genehmigungspflichtigen Prozeduren.
Die Digitalisierung will die Ministerin auch nutzen, um zeitgemäße Kontrollmechanismen zu schaffen – und Fehlentwicklung, wie es sie jüngst in einzelnen Gemeinden gab, frühzeitig zu erkennen, beispielsweise durch den Einsatz künstlicher Intelligenz.