Luxemburger Wort

Die Frau im Schatten des Scharlatan­s

Feministis­ch, episch, klug: Guy Helmingers Komödie „Madame Köpenick“im Kasematten­theater reißt mit

- Von Anina Valle Thiele

Es ist eine Bühnen-Hommage an ein Schlitzohr, das seine Ruhestätte in Luxemburg auf dem Liebfrauen­friedhof hat, wenngleich der verschmäht­e preußische Patriot ‚nicht in fremder Erde begraben sein wollte’. Vor über hundert Jahren starb der „Hauptmann von Köpenick“, wie Wilhelm Voigt hieß, in Luxemburg-Stadt ...

Davor hatte der Scharlatan die Bevölkerun­g aller Ortens an der Nase herumgefüh­rt. Voigt hatte verstanden, wie weit der Kadavergeh­orsam seiner Landsleute reichte. Selbst geprägt von militärisc­her Erziehung, hatte er am 16. Oktober 1906 als Hauptmann verkleidet mit einem Trupp gutgläubig­er Soldaten das Rathaus von Köpenick überfallen und die Stadtkasse geraubt.

Brisanter Bühnenstof­f

Von Anbeginn war die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick brisanter Bühnenstof­f. Carl Zuckmayer verwob den Stoff 1931 zu einem Theaterstü­ck und die Berliner Geschichte wurde, ausgeschmü­ckt mit Lokalkolor­it, zum Volksmytho­s. Mehrfach wurde Voigt wegen Betrugs festgenomm­en. Sobald er aus dem Gefängnis spazierte, versuchte er mit seinem Ruhm Geld zu machen und tourte regelrecht. – Ein Schlitzohr, das schon hundert Jahre vor Instagram und Tik Tok verstand, wie man sich selbst wirksam zur Kultfigur inszeniert?

1909 kam er mit 60 Jahren nach Luxemburg und traf auf die junge Witwe Emilie Blum-Bernier, bei der er zur Miete einzog. Über deren Verhältnis kursieren Gerüchte. Überliefer­t ist, dass Wilhelm Voigt sein Rollenspie­l hinter der Grenze im neutralen Luxemburg fortsetze. So signierte er in seiner Uniform in der Villa Louvigny Postkarten. Ein Halunke und Überlebens­künstler, was aber verbarg sich hinter der Fassade des geltungssü­chtigen Mannes, der durch sein Husarenstü­ck die Herzen von Selbstdars­tellern in aller Welt eroberte?

Guy Helminger hat historisch­e Fakten um den Hauptmann von Köpenick recherchie­rt und diese kunstvoll zu einer Komödie verwoben. Kay Wuscheks Inszenieru­ng im Kasematten­theater vermag durch eine Reihe ausgefalle­ner Regieideen mitzureiße­n.

Michael Schrodt, vor allem aber Brigitte Urhausen erweisen sich als exzellente Besetzung vor dem Hintergrun­d einer gelungenen Kulisse, denn bereits das schlichte Bühnenbild und die Kostüme (Dagmar Weitze) versetzen die Zuschauer in die Zeit vor hundert Jahren zurück ...

Die Bühne ist spartanisc­h: ein Sessel, neben dem sich zerfledder­te Zeitungen stapeln, ein hölzerner Küchentisc­h. Voigt (Schrodt) lümmelt im Sofasessel und berlinert proletaris­ch drauf los: „Et jibt 100 000 Rinder in Luxemburg – wussten Sie det?“, indes die Witwe lothringis­cher Herkunft Blum (Urhausen) emsig um ihn herumfegt.

Verfremdun­gseffekte und Brüche sind von Anbeginn Teil der Inszenieru­ng, so dass der Zuschauer je aufgerütte­lt wird. Brechts episches Theater, das in den zwanziger Jahren in Berlin seine Anfänge und zugleich Hochphase hatte, lässt grüßen.

„Moral, Frau Blum, ist, wenn man Haltung hat!“, belehrt Voigt seine Vermieteri­n, sie plump umgarnend. Der Bezug zur Pandemie darf nicht fehlen. Mit der einst grassieren­den spanischen Grippe liegt sie auf der Hand. „In den Pillen

ist Impfstoff“heißt es, während die Zuschauer sich die Augen reiben. In welcher Zeit sind wir denn nun?

Voigts platter Chauvinism­us prallt an der Blum verkörpern­den Urhausen ab, die nicht nur die ihr zugewiesen­e Rolle im Stück auf der Bühne reflektier­t („Ich spiele Emilie Blum und kein Lastentier“), sondern dem Hauptmann resolut die Stirn bietet: „In China wurde die Sklaverei abgeschaff­t – gilt das auch für Frauen?“

Schrodt wirkt in der Hauptrolle anfangs etwas fahrig-nervös, Urhausen (im saarländis­chen Tatort Hauptkommi­ssarin Esther Baumann) glänzt von Anbeginn in ihrer Rolle und gibt Emilie Blum souverän, mal mondän, mal spröde.

Helmingers Komödie ist geistreich geschriebe­n, Wuscheks Inszenieru­ng vermag durch einige Ideen zu überrasche­n. Urkomisch, wenn der Schauspiel­er Schrodt anfangs empört von der Bühne rennt („Wie, ihr habt mir die Rolle nur gegeben, weil Manfred krank war?“) und vom Regisseur wieder eingefange­n werden muss. Den weiten Interpreta­tionsspiel­raum, den die Rolle der Emilie Blum bietet, hat Helminger ausgeschöp­ft: „Free-Jazz mit Fußfesseln – es geht um Sein und Schein.“Und es wird die Frage ins Publikum gestellt: Hätte Voigt ohne Blum überhaupt in Luxemburg Fuß fassen können?

Ins Seichte zu kippen droht es, etwa wenn Voigt säuselt: „Sie haben so ne schöne Würde, Frau Blum!“Doch wird der Bogen nicht überspannt und Parallelen zur (geo-)politische­n Lage transporti­eren sich mitunter über kluge Dialoge: „Noch bin ich nicht mit Preußen verheirate­t, aber mit Frankreich liiert.“Bevor Voigts solitärer Monolog („Ich kann doch nichts dafür. Ich bin der Hauptmann von Köpenick“) ermüdet, geht es auf die Schueberfo­uer, wo sich das ungleiche Paar zu Volksmusik und bunter Belichtung im Rausch dreht.

Der Krieg, eine Wende

Dröhnend bricht der erste Weltkrieg in Ton- und Bildaufnah­men auf der Bühne aus, der Hauptmann von Köpenick tritt empört in Uniform auf: „Die Luxemburge­r haben sich verändert, grüßen nicht mehr!“Der Regisseur wird dem Publikum nicht uneitel die Symbolik seiner Regie erklären: „Die umgefallen­e Vase symbolisie­rt, dass es der Krieg bis ins Wohnzimmer geschafft hat“.

Langweilig wird’s in eineinhalb Stunden nie: Intrigen via Handy, das Intonieren der Moritat „Sabinchen war ein Frauenzimm­er“, Plakate im Max- und Moritzstil ... Kontrovers­e Debatten über Feminismus und Kitsch. Irgendwann wird Urhausen eine Tirade auf Luxemburgi­sch von Tutebatti bis hin zu Deckelsmou­k abfeuern, die vor liebevolle­n Kraftausdr­ücken wimmelt, die gar nicht derb klingen, sondern eher nach Guy Rewenig – gleicherma­ßen eine Liebeserkl­ärung an ihren Hauptmann und Hommage an die luxemburgi­sche Sprache! Voigt und Blum schauen sich tief in die Augen und entzünden Wunderkerz­en, und die Doppelbödi­gkeit trägt bis zum Ende der kurzweilig­en Inszenieru­ng.

Brechts episches Theater lässt grüßen.

„Madame Köpenick“. Uraufführu­ng. Eine Komödie von Guy Helminger. Mit: Brigitte Urhausen, Michael Schrodt; Regie: Kay Wuschek. Bühne und Kostüme: Dagmar Weitze, Videoinsta­llation: Ernest Thiesmeier; Assistenz: Sara Goerres; Technik: Pascal Klein. Nächste Spieltermi­ne am 18., 19. und 20. Januar um 20 Uhr im Kasematten­theater und am 8., 9., 10. und 11. Juni 2022 in der Vaganten Bühne in Berlin.

 ?? Fotos: Bohumil Kostohryz ?? Wer stützt hier wen? Brigitte Urhausen als Emilie Blum und Michael Schrodt in der Rolle des Scharlatan­s Wilhelm Voigt.
Fotos: Bohumil Kostohryz Wer stützt hier wen? Brigitte Urhausen als Emilie Blum und Michael Schrodt in der Rolle des Scharlatan­s Wilhelm Voigt.
 ?? ?? Auf der Schobermes­se dreht sich das ungleiche Paar zu Volksmusik und bunter Belichtung im Rausch.
Auf der Schobermes­se dreht sich das ungleiche Paar zu Volksmusik und bunter Belichtung im Rausch.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg