Auf den Teller statt in die Tonne
Foodsharing-Gruppe aus Düdelingen verteilte am Samstag kostenlos Lebensmittel
Düdelingen. Yolande Kraus ist aus Belvaux gekommen und eine der ersten, die an diesem Samstagmorgen in der Warteschlange steht. Es ist kurz nach neun und knackig kalt, aber bis der Schapp ihre Türen aufmacht, müssen sie und etwa 20 andere Menschen noch knapp eine Stunde draußen ausharren. Auch Tochter Yasmine aus Düdelingen ist da. Die beiden Frauen haben leere Einkaufstüten im Kinderwagen bereit gelegt, in dem das Enkelkind vor sich hin döst. Die Wartenden wollen heute Essen abholen, das die Geschäfte nicht mehr wollen. „Ich habe sechs Kinder groß gezogen”, sagt Yolande Kraus. „Ich habe immer darauf geachtet, nichts wegzuwerfen. Ich finde die Initiative toll.“
1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel landen laut Welthungerhilfe jedes Jahr in der Mülltonne. Das entspricht ein Drittel von dem, was weltweit produziert wird und geht nur verloren, weil es bei der Herstellung oder beim Transport beschädigt wurde oder in Lagern, Läden und Haushalten verdirbt. Allein in Deutschland werden jedes Jahr rund 12 Millionen
Ich habe sechs Kinder groß gezogen und nie was weggeworfen. Yolande Kraus aus Belvaux
Tonnen Lebensmittel verschwendet. In Privathaushalten landen etwa 75 Kilogramm pro Kopf und Jahr im Müll.
Manuel Scheitle hat sein Hochschulstudium im badischen Freiburg nachhaltig geprägt. Dort stellten Studenten Bollerwagen mit Brot vor die Uni, das sie zuvor von Bäckereien geschenkt bekamen, das eigentlich für den Müll bestimmt war. Nicht, weil es schimmlig oder verdorben war. Was am Vortag nicht mehr verkauft wurde, kommt am nächsten Tag weg – obwohl die Brote und Backwaren einwandfrei sind.
Nicht nur aufs Datum gucken
Auch in Luxemburg ist das Realität. Deshalb hat sich Scheitle nach seiner Rückkehr für die Rettung von Lebensmitteln eingesetzt – und war damit nicht allein. Mehrere Foodsharing-Gruppen gibt es inzwischen im Großherzogtum, seit September vergangenen Jahres nun also auch in Düdelingen.
Zum sechsten Mal hat das achtköpfige Team seitdem kostenlos Essen im Süden verteilt, das Geschäfte aus dem Verkauf genommen haben. Jeder darf kommen, egal, wie dick das Portemonnaie ist, denn in erster Linie geht es den Machern darum, gegen Lebensmittelverschwendung anzukämpfen. Die Gemeinde Düdelingen kooperiert mit den Foodsavern und sucht geeignete Räume für die Stichtage.
Im Schapp liegen an diesem Morgen sehr viele Brotwaren, Nudelsoßen, Joghurt, Milch- und Trockenprodukte sowie Schokoriegel zur Abholung bereit. Diese Produkte
sind seit mehreren oder wenigen Tagen abgelaufen, eine Packung Brotmischung zum Selberbacken beispielsweise im Dezember 2021. Supermärkte werfen Lebensmittel, die kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum sind, in der Regel weg. „Dabei sind diese Lebensmittel alles andere als schlecht“, erklärt Manuel Scheitle. Das Mindesthaltbarkeitsdatum werde oft mit dem Wegwerfdatum verwechselt. Dabei gibt es nur den Zeitpunkt an, bis zu dem ein Lebensmittel unter den richtigen Aufbewahrungsbedingungen seine spezifischen Eigenschaften wie Geschmack, Farbe oder Konsistenz behält.
Oft helfen die Sinne bei der Frage, ob ein Produkt in den Müll sollte: Hat es sich verfärbt, hat sich Schimmel gebildet, riecht es komisch? „Vieles ist länger haltbar, als es vom Datum her den Anschein macht“, so Scheitle.
Mia zieht einen roten, prall gefüllten Einkaufstrolley hinter sich her und sieht zufrieden aus. „Der Foodsharing-Tag ist der einzige, an dem nur meine Tochter alles auswählen darf“, sagt Mutter Sandy
Schaeffer, die gleich gegenüber wohnt und ebenfalls betont, dass in ihrem Haushalt nichts weggeworfen werde. „Ich kaufe immer für zwei Wochen im Voraus ein und bewahre die Sachen im Kühlschrank oder Tiefkühler auf. Nur zum Metzger gehe ich öfter“, sagt sie, die so weit es geht auch auf Plastik verzichtet.
Toasten statt wegwerfen
„Bei uns wird alles aufgebraucht, wenn mal kein Aufschnitt oder Käse da ist, gibts eben den Rest Marmelade aufs Brot.“Wenn das schon ein paar Tage alt ist, „wird das getoastet“, stellt sie klar. Praktischerweise wohnt die Mutter nebenan, „wenn mal was ausgeht, laufe ich rüber“. Ein Franzose hat es aufs Brot abgesehen, verschiedene Exemplare schauen aus der Tüte heraus.
Leider bekommen wir immer noch zu wenig Gemüse von den Supermärkten. Manuel Scheitle, Foodsaver
„Ich bin aus Thionville gekommen, meine Nachbarin ist krank und sitzt im Rollstuhl, ich habe auch Essen für sie miteingepackt“, sagt er.
Die Lebensmittelretter um Manuel Scheitle haben fünf Supermärkte und zwei Bäckereien aus dem Süden für ihr Projekt ins Boot holen können. Zum Ende der Woche holen sie dort aussortierte Produkte ab, die sie dann am Wochenende unter die Leute bringen. „Leider haben wir immer zu wenig Gemüse, die Supermärkte spielen da noch nicht so gut mit“, sagt er. An diesem Samstag liegen drei Süßkartoffeln, sechs Zitronen, eine Aubergine und Chicorée auf den Tischen. „Gemüse landet meist in der grünen Tonne und danach in die Biogasanlage, weil die Märkte dafür Geld bekommen“, vermutet Scheitle. Auch mehr Kooperation wünscht sich der junge Mann. „Wenn noch zwei oder drei weitere Supermärkte mitmachen würden, wäre das gut.“Bei einem Supermarkt habe auch mehrmaliges Nachfragen nichts bewirkt, „dabei haben die eine riesige Mülltonne voller Lebensmittel.“