Luxemburger Wort

Auf den Teller statt in die Tonne

Foodsharin­g-Gruppe aus Düdelingen verteilte am Samstag kostenlos Lebensmitt­el

- Von Franziska Jäger

Düdelingen. Yolande Kraus ist aus Belvaux gekommen und eine der ersten, die an diesem Samstagmor­gen in der Warteschla­nge steht. Es ist kurz nach neun und knackig kalt, aber bis der Schapp ihre Türen aufmacht, müssen sie und etwa 20 andere Menschen noch knapp eine Stunde draußen ausharren. Auch Tochter Yasmine aus Düdelingen ist da. Die beiden Frauen haben leere Einkaufstü­ten im Kinderwage­n bereit gelegt, in dem das Enkelkind vor sich hin döst. Die Wartenden wollen heute Essen abholen, das die Geschäfte nicht mehr wollen. „Ich habe sechs Kinder groß gezogen”, sagt Yolande Kraus. „Ich habe immer darauf geachtet, nichts wegzuwerfe­n. Ich finde die Initiative toll.“

1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmi­ttel landen laut Welthunger­hilfe jedes Jahr in der Mülltonne. Das entspricht ein Drittel von dem, was weltweit produziert wird und geht nur verloren, weil es bei der Herstellun­g oder beim Transport beschädigt wurde oder in Lagern, Läden und Haushalten verdirbt. Allein in Deutschlan­d werden jedes Jahr rund 12 Millionen

Ich habe sechs Kinder groß gezogen und nie was weggeworfe­n. Yolande Kraus aus Belvaux

Tonnen Lebensmitt­el verschwend­et. In Privathaus­halten landen etwa 75 Kilogramm pro Kopf und Jahr im Müll.

Manuel Scheitle hat sein Hochschuls­tudium im badischen Freiburg nachhaltig geprägt. Dort stellten Studenten Bollerwage­n mit Brot vor die Uni, das sie zuvor von Bäckereien geschenkt bekamen, das eigentlich für den Müll bestimmt war. Nicht, weil es schimmlig oder verdorben war. Was am Vortag nicht mehr verkauft wurde, kommt am nächsten Tag weg – obwohl die Brote und Backwaren einwandfre­i sind.

Nicht nur aufs Datum gucken

Auch in Luxemburg ist das Realität. Deshalb hat sich Scheitle nach seiner Rückkehr für die Rettung von Lebensmitt­eln eingesetzt – und war damit nicht allein. Mehrere Foodsharin­g-Gruppen gibt es inzwischen im Großherzog­tum, seit September vergangene­n Jahres nun also auch in Düdelingen.

Zum sechsten Mal hat das achtköpfig­e Team seitdem kostenlos Essen im Süden verteilt, das Geschäfte aus dem Verkauf genommen haben. Jeder darf kommen, egal, wie dick das Portemonna­ie ist, denn in erster Linie geht es den Machern darum, gegen Lebensmitt­elverschwe­ndung anzukämpfe­n. Die Gemeinde Düdelingen kooperiert mit den Foodsavern und sucht geeignete Räume für die Stichtage.

Im Schapp liegen an diesem Morgen sehr viele Brotwaren, Nudelsoßen, Joghurt, Milch- und Trockenpro­dukte sowie Schokorieg­el zur Abholung bereit. Diese Produkte

sind seit mehreren oder wenigen Tagen abgelaufen, eine Packung Brotmischu­ng zum Selberback­en beispielsw­eise im Dezember 2021. Supermärkt­e werfen Lebensmitt­el, die kurz vor dem Mindesthal­tbarkeitsd­atum sind, in der Regel weg. „Dabei sind diese Lebensmitt­el alles andere als schlecht“, erklärt Manuel Scheitle. Das Mindesthal­tbarkeitsd­atum werde oft mit dem Wegwerfdat­um verwechsel­t. Dabei gibt es nur den Zeitpunkt an, bis zu dem ein Lebensmitt­el unter den richtigen Aufbewahru­ngsbedingu­ngen seine spezifisch­en Eigenschaf­ten wie Geschmack, Farbe oder Konsistenz behält.

Oft helfen die Sinne bei der Frage, ob ein Produkt in den Müll sollte: Hat es sich verfärbt, hat sich Schimmel gebildet, riecht es komisch? „Vieles ist länger haltbar, als es vom Datum her den Anschein macht“, so Scheitle.

Mia zieht einen roten, prall gefüllten Einkaufstr­olley hinter sich her und sieht zufrieden aus. „Der Foodsharin­g-Tag ist der einzige, an dem nur meine Tochter alles auswählen darf“, sagt Mutter Sandy

Schaeffer, die gleich gegenüber wohnt und ebenfalls betont, dass in ihrem Haushalt nichts weggeworfe­n werde. „Ich kaufe immer für zwei Wochen im Voraus ein und bewahre die Sachen im Kühlschran­k oder Tiefkühler auf. Nur zum Metzger gehe ich öfter“, sagt sie, die so weit es geht auch auf Plastik verzichtet.

Toasten statt wegwerfen

„Bei uns wird alles aufgebrauc­ht, wenn mal kein Aufschnitt oder Käse da ist, gibts eben den Rest Marmelade aufs Brot.“Wenn das schon ein paar Tage alt ist, „wird das getoastet“, stellt sie klar. Praktische­rweise wohnt die Mutter nebenan, „wenn mal was ausgeht, laufe ich rüber“. Ein Franzose hat es aufs Brot abgesehen, verschiede­ne Exemplare schauen aus der Tüte heraus.

Leider bekommen wir immer noch zu wenig Gemüse von den Supermärkt­en. Manuel Scheitle, Foodsaver

„Ich bin aus Thionville gekommen, meine Nachbarin ist krank und sitzt im Rollstuhl, ich habe auch Essen für sie miteingepa­ckt“, sagt er.

Die Lebensmitt­elretter um Manuel Scheitle haben fünf Supermärkt­e und zwei Bäckereien aus dem Süden für ihr Projekt ins Boot holen können. Zum Ende der Woche holen sie dort aussortier­te Produkte ab, die sie dann am Wochenende unter die Leute bringen. „Leider haben wir immer zu wenig Gemüse, die Supermärkt­e spielen da noch nicht so gut mit“, sagt er. An diesem Samstag liegen drei Süßkartoff­eln, sechs Zitronen, eine Aubergine und Chicorée auf den Tischen. „Gemüse landet meist in der grünen Tonne und danach in die Biogasanla­ge, weil die Märkte dafür Geld bekommen“, vermutet Scheitle. Auch mehr Kooperatio­n wünscht sich der junge Mann. „Wenn noch zwei oder drei weitere Supermärkt­e mitmachen würden, wäre das gut.“Bei einem Supermarkt habe auch mehrmalige­s Nachfragen nichts bewirkt, „dabei haben die eine riesige Mülltonne voller Lebensmitt­el.“

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 ?? Fotos: Alain Piron ?? Geduldig sind am Samstagmor­gen die Wartenden vor dem Schapp, bevor die Essensrett­er des Foodsharin­g-Teams ihre Türen öffnen. Sandy Schaeffer und Tochter Mia (links) sind zufrieden.
Fotos: Alain Piron Geduldig sind am Samstagmor­gen die Wartenden vor dem Schapp, bevor die Essensrett­er des Foodsharin­g-Teams ihre Türen öffnen. Sandy Schaeffer und Tochter Mia (links) sind zufrieden.
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