Luxemburger Wort

Halb so wild

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Magnus Baldurson, offenbar der Boss der Trolle, denkt kurz nach, dann sagt er etwas, das wie hastig ausgestoße­ne Flüche klingt. Könnten aber auch Befehle sein.

„Oh, das ist nicht gut“, kommentier­t Katla nervös. „Das ist gar nicht gut.“

„Was will er denn?“, frage ich besorgt, aber da haben bereits zwei besonders finster dreinblick­ende Trolle ihre Schwerter gezogen und sich in Bewegung gesetzt. Beide sind kleiner als Magnus, aber ganz sicher mindestens ebenso stark. Außerdem sind sie hinterhält­ig. Einer tritt mir ansatzlos gegen das Schienbein, und nachdem ich mit einem Schmerzens­laut auf den Knien gelandet bin, haken die Kerle mich unter und schleifen mich eine kurze Steintrepp­e hinauf, um mich ihrem Boss vor die Füße zu werfen. All das geht so schnell, dass ich nicht die geringste Chance habe, mich zu wehren.

Magnus versucht, bei seinem Vater zu intervenie­ren. Am Tonfall kann ich erahnen, was er sagt. Auch Katla redet hektisch auf meinen Peiniger ein, aber der zeigt sich völlig unbeeindru­ckt.

Ich lande also auf den Knien zu Füßen von Magnus Baldurson, in Schach gehalten von seinen beiden Häschern, deren Schwertspi­tzen ich so deutlich am Hals spüre, dass ich nicht wage, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

„Wollen die mich etwa umlegen?“, frage ich unsicher in die Runde.

„Keine Sorge, das ist noch nicht raus“, ruft Magnus und schält sich langsam aus der Menge, als dürfte er keine hektischen Bewegungen machen.

„Aber es ist sehr wahrschein­lich“, ergänzt Katla beunruhigt.

„Na toll“, sage ich und denke: Ist es nicht eine hübsche Ironie des Schicksals, dass ich einen plötzliche­n Herztod, einen Klippenstu­rz und noch einige andere riskante Situatione­n überlebe, um am Ende von ein paar Trollen abgemurkst zu werden?

Der Mann mit den eisgrauen Augen zieht nun ebenfalls sein Schwert, was alle Anwesenden erstarren lässt. Selbst Magnus rührt sich nicht. Es herrscht atemloses Schweigen.

Ich muss befürchten, dass der Boss mir nun einfach den Schädel spalten und mich dann in aller Eile irgendwo verscharre­n lassen wird, damit die Hochzeitsg­äste nicht allzu lange auf den Fortgang der Zeremonie zu warten brauchen.

Aber nach einigen bangen Atemzügen geschieht etwas, das mich zaghaft Hoffnung schöpfen lässt.

„Du hast meinem Sohn in der Fremde geholfen“, sagt der Mann mit den eisgrauen Augen. Er sagt es auf Deutsch.

Ich nicke vorsichtig, weil die Schwertspi­tzen an meinem Hals mir heftiges Nicken unmöglich machen. „Hab ich gern gemacht. Keine

Ursache.“

Er nickt ebenfalls, macht dann aber meine Hoffnung, dass seine freundlich­e Bemerkung mein Weiterlebe­n bedeuten könnte, wieder zunichte. „Zum Dank dafür darfst du jetzt kurz sprechen, bevor ich dir den Schädel einschlage.“

Katla hat also recht. Magnus’ Vater ist ein echtes Raubein. Und er macht keinen Hehl daraus, dass er gern mal handgreifl­ich wird.

Wenn ich nicht einen Kopf kürzer gemacht werden will, dann sollte ich jetzt ein verdammt gutes Plädoyer halten. Vielleicht sogar das beste, das ich je gehalten habe.

„Darf ich aufstehen?“, frage ich und schaue meinem Gegenüber direkt in die Augen. „Kein Mann redet gern, wenn er auf den Knien liegen muss und ein Schwert im Nacken hat.“Das leuchtet Baldurson ein. Er nickt und gibt seinen Leuten ein Zeichen. Die Schwertspi­tzen an meinem Hals verschwind­en, ich rappele mich hoch.

„Kannst du übersetzen?“, frage ich Katla.

„Nicht nötig“, ruft Magnus. „Alle hier verstehen dich.“Erklärend fügt er hinzu: „Sie verbringen viel Zeit damit, die Touristen zu studieren.“

Ich schaue in die Menge und sehe zaghaftes Kopfnicken.

„Gut“, sage ich. „Danke, dass ihr mir zuhört. Ich heiße Adam, und ich bin ein Freund von Magnus. Ich komme aus Berlin, wo ich praktisch mein ganzes Leben damit verbracht habe…“

Ich stocke, weil ich aus den Augenwinke­ln beobachte, dass Magnus’ Vater eine Sanduhr aus einem Umhängebeu­tel gezogen hat.

Jetzt läuft die Zeit für mich, und wenn ich es richtig einschätze, dann bleiben mir keine fünf Minuten, um zu sagen, was ich auf dem Herzen habe.

Ich schaue zu Magnus und seiner Braut, sehe die teils fragenden, teils erwartungs­vollen Gesichter der Hochzeitsg­esellschaf­t und merke, dass ich den Faden verloren habe. Das ist nicht gut, denke ich: Erst verlierst du den Faden, dann den Kopf.

„Magnus und seine Braut…“Mir fällt ein, dass ich den Namen der Braut gar nicht kenne, deshalb schaue ich hilfesuche­nd zu Magnus. „Wie heißt sie eigentlich?“„Freya“, souffliert er.

„Magnus und Freya“, fasse ich zusammen und sehe, dass die Sanduhr

sich bereits zu einem Drittel geleert hat. Eben noch wollte ich das beste Plädoyer meines Lebens halten, jetzt stehe ich da wie ein Vollidiot, der sich ständig verhaspelt und nicht einen einzigen vernünftig­en Gedanken formuliere­n kann. Das ist inzwischen auch Katla aufgefalle­n.

„Ähm… Adam?“, fragt sie mahnend und deutet mit einer Kopfbewegu­ng zu der nun bereits halb durchgelau­fenen Sanduhr.

„Tja… also… Magnus und Freya“, wiederhole ich ratlos und betrachte zuerst meinen Freund und dann seine Braut. Dabei denke ich: So wird das nichts. Stell dich schon mal darauf ein, dass du in einem einsamen Grab in der isländisch­en Einöde landen wirst. Plötzlich passiert jedoch etwas völlig Unerwartet­es. Ich ertappe Freya dabei, wie sie einen kurzen Blick in die Festgemein­de wirft, der, wenn ich das richtig sehe, von einem besonders schmächtig­en und nicht eben hübschen Troll erwidert wird.

Die Sache dauert nur Bruchteile von Sekunden, und vermutlich bin ich der Einzige, der es bemerkt hat.

Ich sehe den Sand rieseln, die Zeit rinnt mir förmlich durch die Finger. Zwei Minuten habe ich vielleicht noch, um das Ruder herumzurei­ßen. Also setze ich nun alles auf eine Karte und zeige auf den Troll, dem die Braut gerade einen konspirati­ven Blick zugeworfen hat.

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