Kahlschlag in der Autoindustrie
Der Umstieg auf Elektroantriebe könnte über 500 000 Jobs kosten – Luxemburger Zulieferer sehen dennoch Chancen
Die Elektrifizierung der Automobilindustrie ist mehr als nur der Wechsel der Antriebstechnologie. Vielmehr dürfte sie die ganze Branche tiefgreifend verändern. Bis zu einer halben Million Arbeitsplätze könnten in der Zulieferindustrie alleine in Europa wegfallen, wenn bis 2035 nur noch Elektrofahrzeuge gebaut werden sollten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Europäischen Verbands der Automobilzulieferer CLEPA und der Strategieberatung von PricewaterhouseCoopers (PwC). Demgegenüber stehen 226 000 potenzielle neue Jobs, die der Wandel bringen könne. Also ein Nettoverlust von rund 275 000 Stellen.
Der Hauptgrund für diese Differenz liegt an der unterschiedlichen Herstellungsweise der beiden Fahrzeugtypen. „Für die Produktion eines Autos mit Verbrennungsmotor benötigen Sie normalerweise bis zu 20 000 einzelne Komponenten, in einem Elektrofahrzeug nur 2 000. Bestimmte Bestandteile wie Getriebe werden bei Elektromotoren einfach nicht gebraucht“, sagt Julian Proffitt, der Präsident des Industrieverbandes Industrie Luxembourgeoise des Equipementiers de l'Automobile (ILEA) und Managing Director des Zulieferers Raval Europe. „Entsprechend werden auch weniger Arbeitskräfte benötigt.“
Batteriefertigung entscheidend
Etwa ein Drittel der Wertschöpfung beim Elektroauto entfällt aktuell auf die Batterie. Damit es also gelingen kann, zumindest einen Teil der Arbeitsplätze in der Industrie in Europa zu erhalten, wird es entscheidend sein, dass die Batteriefertigung hier stattfindet. Die European Battery Alliance schätzt etwa das Marktpotenzial für in Europa produzierte Batterien bis Mitte des nächsten Jahrzehnts auf bis zu 250 Milliarden Euro. „Das Problem ist, dass viele der Komponenten, die man für die Herstellung von Elektroautos benötigt, aktuell außerhalb Europas gefertigt werden. Um den Jobverlust abzufedern, muss es zumindest gelingen, die Batteriefertigung hier anzusiedeln“, sagt Julian Proffitt. Derzeit gibt es auf dem alten Kontinent noch keine Gigafabrik. Aber zahlreiche Projekte wurden angekündigt und einige Werke befinden sich bereits im Bau.
Laut der französischen Beratungsfirma Avicenne soll in den nächsten drei Jahren eine Fertigungskapazität von 200 Gigawattstunden entstehen; bis 2030 soll sich das dann nochmals verdoppeln. Neben den Autoherstellern haben zum Beispiel die weltgrößte Chemiefirma BASF und und der chinesische Hersteller SVolt eigene Werke in Europa angekündigt. „Es ist aber klar, dass das großangelegte Operationen sein werden. Es scheint daher wahrscheinlich, dass eine kleinere Anzahl von Zulieferern mit hoher Wertschöpfung eine Vielzahl der kleinen und mittelständischen Unternehmen ersetzen werden. Diese werden dann auch weniger Mitarbeiter beschäftigen“, sagt Proffitt. Ein großer Teil dieser Investitionen werde von den Autoherstellern selbst kommen, die dann auch die Fabriken zumindest mitbesitzen würden. „Die Autofirmen werden eine deutlich wichtigere Rolle in diesem Teil der Lieferkette spielen als das derzeit der Fall ist“, sagt Proffitt. Auch der Report von CLEPA und PwC kommt zu dem Ergebnis, dass die Autofirmen
sich in einer günstigeren Position befinden als die Zulieferbetriebe, um die Transition zu meistern und den Einnahmeverlust im Antriebsgeschäft auszugleichen. Zum einen seien die Zulieferer weit weniger flexibel, weil sie an langfristige Verträge mit Fahrzeugherstellern gebunden sind. Zum anderen bestehe der Sektor „neben globalen und gut kapitalisierten Branchenführern (...) aus Hunderten von spezialisierten Unternehmen und KMU, die weniger Zugang zu Kapital haben, um in die Transformation ihrer Geschäftsmodelle zu investieren“, so der Bericht.
Einigen Firmen aus der Branche werde es leichter fallen, sich an die neue Form der Mobilität anzupassen, für andere werde es schwer werden, sagt Julian Proffitt. Unternehmen die nur Komponenten für Verbrennungsmotoren herstellen, müssten kreativ werden, wenn sie eine Zukunft haben wollen. „Sie müssen sich fragen: Was ist unsere Kernkompetenz und wie können wir sie in Bereichen anwenden, die nicht vom Verbrennungsmotor abhängen? Für einige kann das bedeuten, dass sie komplett aus dem Automobilmarkt ausscheiden und sich beispielsweise dem Bereich Maschinen und Anlagenbau zuwenden“, so der Automanager.
Chancen des Übergangs
Automobilzulieferer beschäftigen in Luxemburg derzeit etwa 10 000 Menschen. Für das Großherzogtum erwartet Julian Proffitt aber keinen Jobkahlschlag. „Das liegt hauptsächlich daran, dass die Firmen hier nicht so stark auf Produkte angewiesen sind, die von Verbrennungsmotoren abhängen. Die Geschäftsmodelle vieler unserer Mitglieder können vollständig auf Elektroantriebe übertragen werden, andere wie Borg Warner arbeiten schon an dieser Transition“, sagt er. „Aktuell sehe ich keine offensichtlichen Verlierer dieses Übergangs in Luxemburg.“
So verweist BorgWarner, das 2020 Delphi Technologies und damit auch das Werk in Bascharage für 1,36 Milliarden Euro übernommen hat, darauf, dass die Luxemburger Niederlassung für das Wachstum in der Elektromobilität ein wichtiger Standort sei. „Wir verfügen über eine starke und etablierte Kompetenz in den Bereichen Leistungselektronik und Elektrifizierungssysteme in Bascharage und suchen immer nach Softwareentwicklern, Elektroingenieuren und Elektronikhardwarearchitekten, um unser Team dort zu verstärken“, so Arnaldo Iezzi, General Manager Europe von BorgWarner in einer Stellungnahme. Ein wichtiger Teil des Geschäfts des Unternehmens besteht in Komponenten für Verbrennungsmotoren und Getriebe.
Deswegen hat BorgWarner in den letzten Jahren verstärkt in neue Kompetenzen im Bereich der Elektromobilität investiert. Vergangene Woche beteiligte sich der Konzern beispielsweise an der Software-Firma Qnovo, die Programme zur effizienteren Batteriesteuerung entwickelt.
Paul Schockmel, Chef des Sensorund Elektronikherstellers IEE aus Bissen, sieht in der Umstellung eher eine Chance für sein Unternehmen. „Unsere Produkte sind nicht abhängig davon, ob ein Verbrennungsmotor eingebaut wird. Daher sind wir von den in der Studie dargestellten Folgen zumindest nicht direkt negativ betroffen“, sagt er. „In unserer Gruppe ist eher das Gegenteil der Fall. Die Elektrifizierung wird den Bedarf an Elektronikkomponenten eher noch vergrößern.“Noch haben die Zulieferfirmen und Arbeitnehmer Zeit, sich auf den Wandel einzustellen. Die Studie geht davon aus, dass sich 70 Prozent des Kahlschlags bei der Beschäftigung in der Zeit zwischen 2030 und 2035 abspielen wird. Inzwischen lässt sich der Wandel auch an den Absatzzahlen ablesen: Während die Neuzulassungen insgesamt gemäß gestern veröffentlichten Zahlen der European Automobile Manufacturers’ Association im vergangenen Jahr in der Europäischen Union um 2,4 Prozent (Luxemburg: minus 1,8 Prozent) zurückgegangen sind, steigt der Anteil der Elektroautos stetig an. Laut einer Auswertung der Financial Times wurden im Dezember europaweit erstmals mehr E-Autos als Dieselfahrzeuge verkauft. Demnach hatte jeder fünfte Neuwagen, der in den 18 untersuchten Ländern veräußert wurde, einen Elektromotor. Die Tendenz ist auch aufgrund der massiven staatlichen Förderungen schnell steigend. Der neue Absatzrekord der EAutos vom Dezember in Westeuropa (176 000 Fahrzeuge) bedeutet eine sechsprozentige Steigerung im Vergleich zum Vorjahr.
Aktuell sehe ich keine offensichtlichen Verlierer dieses Übergangs in Luxemburg. Julian Proffitt, Präsident ILEA