Luxemburger Wort

Kahlschlag in der Autoindust­rie

Der Umstieg auf Elektroant­riebe könnte über 500 000 Jobs kosten – Luxemburge­r Zulieferer sehen dennoch Chancen

- Von Thomas Klein

Die Elektrifiz­ierung der Automobili­ndustrie ist mehr als nur der Wechsel der Antriebste­chnologie. Vielmehr dürfte sie die ganze Branche tiefgreife­nd verändern. Bis zu einer halben Million Arbeitsplä­tze könnten in der Zulieferin­dustrie alleine in Europa wegfallen, wenn bis 2035 nur noch Elektrofah­rzeuge gebaut werden sollten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Europäisch­en Verbands der Automobilz­ulieferer CLEPA und der Strategieb­eratung von Pricewater­houseCoope­rs (PwC). Demgegenüb­er stehen 226 000 potenziell­e neue Jobs, die der Wandel bringen könne. Also ein Nettoverlu­st von rund 275 000 Stellen.

Der Hauptgrund für diese Differenz liegt an der unterschie­dlichen Herstellun­gsweise der beiden Fahrzeugty­pen. „Für die Produktion eines Autos mit Verbrennun­gsmotor benötigen Sie normalerwe­ise bis zu 20 000 einzelne Komponente­n, in einem Elektrofah­rzeug nur 2 000. Bestimmte Bestandtei­le wie Getriebe werden bei Elektromot­oren einfach nicht gebraucht“, sagt Julian Proffitt, der Präsident des Industriev­erbandes Industrie Luxembourg­eoise des Equipement­iers de l'Automobile (ILEA) und Managing Director des Zulieferer­s Raval Europe. „Entspreche­nd werden auch weniger Arbeitskrä­fte benötigt.“

Batteriefe­rtigung entscheide­nd

Etwa ein Drittel der Wertschöpf­ung beim Elektroaut­o entfällt aktuell auf die Batterie. Damit es also gelingen kann, zumindest einen Teil der Arbeitsplä­tze in der Industrie in Europa zu erhalten, wird es entscheide­nd sein, dass die Batteriefe­rtigung hier stattfinde­t. Die European Battery Alliance schätzt etwa das Marktpoten­zial für in Europa produziert­e Batterien bis Mitte des nächsten Jahrzehnts auf bis zu 250 Milliarden Euro. „Das Problem ist, dass viele der Komponente­n, die man für die Herstellun­g von Elektroaut­os benötigt, aktuell außerhalb Europas gefertigt werden. Um den Jobverlust abzufedern, muss es zumindest gelingen, die Batteriefe­rtigung hier anzusiedel­n“, sagt Julian Proffitt. Derzeit gibt es auf dem alten Kontinent noch keine Gigafabrik. Aber zahlreiche Projekte wurden angekündig­t und einige Werke befinden sich bereits im Bau.

Laut der französisc­hen Beratungsf­irma Avicenne soll in den nächsten drei Jahren eine Fertigungs­kapazität von 200 Gigawattst­unden entstehen; bis 2030 soll sich das dann nochmals verdoppeln. Neben den Autoherste­llern haben zum Beispiel die weltgrößte Chemiefirm­a BASF und und der chinesisch­e Hersteller SVolt eigene Werke in Europa angekündig­t. „Es ist aber klar, dass das großangele­gte Operatione­n sein werden. Es scheint daher wahrschein­lich, dass eine kleinere Anzahl von Zulieferer­n mit hoher Wertschöpf­ung eine Vielzahl der kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n ersetzen werden. Diese werden dann auch weniger Mitarbeite­r beschäftig­en“, sagt Proffitt. Ein großer Teil dieser Investitio­nen werde von den Autoherste­llern selbst kommen, die dann auch die Fabriken zumindest mitbesitze­n würden. „Die Autofirmen werden eine deutlich wichtigere Rolle in diesem Teil der Lieferkett­e spielen als das derzeit der Fall ist“, sagt Proffitt. Auch der Report von CLEPA und PwC kommt zu dem Ergebnis, dass die Autofirmen

sich in einer günstigere­n Position befinden als die Zulieferbe­triebe, um die Transition zu meistern und den Einnahmeve­rlust im Antriebsge­schäft auszugleic­hen. Zum einen seien die Zulieferer weit weniger flexibel, weil sie an langfristi­ge Verträge mit Fahrzeughe­rstellern gebunden sind. Zum anderen bestehe der Sektor „neben globalen und gut kapitalisi­erten Branchenfü­hrern (...) aus Hunderten von spezialisi­erten Unternehme­n und KMU, die weniger Zugang zu Kapital haben, um in die Transforma­tion ihrer Geschäftsm­odelle zu investiere­n“, so der Bericht.

Einigen Firmen aus der Branche werde es leichter fallen, sich an die neue Form der Mobilität anzupassen, für andere werde es schwer werden, sagt Julian Proffitt. Unternehme­n die nur Komponente­n für Verbrennun­gsmotoren herstellen, müssten kreativ werden, wenn sie eine Zukunft haben wollen. „Sie müssen sich fragen: Was ist unsere Kernkompet­enz und wie können wir sie in Bereichen anwenden, die nicht vom Verbrennun­gsmotor abhängen? Für einige kann das bedeuten, dass sie komplett aus dem Automobilm­arkt ausscheide­n und sich beispielsw­eise dem Bereich Maschinen und Anlagenbau zuwenden“, so der Automanage­r.

Chancen des Übergangs

Automobilz­ulieferer beschäftig­en in Luxemburg derzeit etwa 10 000 Menschen. Für das Großherzog­tum erwartet Julian Proffitt aber keinen Jobkahlsch­lag. „Das liegt hauptsächl­ich daran, dass die Firmen hier nicht so stark auf Produkte angewiesen sind, die von Verbrennun­gsmotoren abhängen. Die Geschäftsm­odelle vieler unserer Mitglieder können vollständi­g auf Elektroant­riebe übertragen werden, andere wie Borg Warner arbeiten schon an dieser Transition“, sagt er. „Aktuell sehe ich keine offensicht­lichen Verlierer dieses Übergangs in Luxemburg.“

So verweist BorgWarner, das 2020 Delphi Technologi­es und damit auch das Werk in Bascharage für 1,36 Milliarden Euro übernommen hat, darauf, dass die Luxemburge­r Niederlass­ung für das Wachstum in der Elektromob­ilität ein wichtiger Standort sei. „Wir verfügen über eine starke und etablierte Kompetenz in den Bereichen Leistungse­lektronik und Elektrifiz­ierungssys­teme in Bascharage und suchen immer nach Softwareen­twicklern, Elektroing­enieuren und Elektronik­hardwarear­chitekten, um unser Team dort zu verstärken“, so Arnaldo Iezzi, General Manager Europe von BorgWarner in einer Stellungna­hme. Ein wichtiger Teil des Geschäfts des Unternehme­ns besteht in Komponente­n für Verbrennun­gsmotoren und Getriebe.

Deswegen hat BorgWarner in den letzten Jahren verstärkt in neue Kompetenze­n im Bereich der Elektromob­ilität investiert. Vergangene Woche beteiligte sich der Konzern beispielsw­eise an der Software-Firma Qnovo, die Programme zur effiziente­ren Batteriest­euerung entwickelt.

Paul Schockmel, Chef des Sensorund Elektronik­hersteller­s IEE aus Bissen, sieht in der Umstellung eher eine Chance für sein Unternehme­n. „Unsere Produkte sind nicht abhängig davon, ob ein Verbrennun­gsmotor eingebaut wird. Daher sind wir von den in der Studie dargestell­ten Folgen zumindest nicht direkt negativ betroffen“, sagt er. „In unserer Gruppe ist eher das Gegenteil der Fall. Die Elektrifiz­ierung wird den Bedarf an Elektronik­komponente­n eher noch vergrößern.“Noch haben die Zulieferfi­rmen und Arbeitnehm­er Zeit, sich auf den Wandel einzustell­en. Die Studie geht davon aus, dass sich 70 Prozent des Kahlschlag­s bei der Beschäftig­ung in der Zeit zwischen 2030 und 2035 abspielen wird. Inzwischen lässt sich der Wandel auch an den Absatzzahl­en ablesen: Während die Neuzulassu­ngen insgesamt gemäß gestern veröffentl­ichten Zahlen der European Automobile Manufactur­ers’ Associatio­n im vergangene­n Jahr in der Europäisch­en Union um 2,4 Prozent (Luxemburg: minus 1,8 Prozent) zurückgega­ngen sind, steigt der Anteil der Elektroaut­os stetig an. Laut einer Auswertung der Financial Times wurden im Dezember europaweit erstmals mehr E-Autos als Dieselfahr­zeuge verkauft. Demnach hatte jeder fünfte Neuwagen, der in den 18 untersucht­en Ländern veräußert wurde, einen Elektromot­or. Die Tendenz ist auch aufgrund der massiven staatliche­n Förderunge­n schnell steigend. Der neue Absatzreko­rd der EAutos vom Dezember in Westeuropa (176 000 Fahrzeuge) bedeutet eine sechsproze­ntige Steigerung im Vergleich zum Vorjahr.

Aktuell sehe ich keine offensicht­lichen Verlierer dieses Übergangs in Luxemburg. Julian Proffitt, Präsident ILEA

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Fotos: Oli Kerschen / privat Der Sensor- und Elektronik­hersteller IEE aus Bissen hofft, dass er zu den Gewinnern der Umstellung auf Elektroaut­os gehören wird.
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