Heulen und Zähneklappern
Ein Schreckgespenst geht um: Die Inflation hat einen Rekordwert erreicht, das Geld verliert an Kaufkraft, alles wird, und zwar rasant, teurer. Ist jetzt der Damm um das viele billige Geld, das seit Jahren ausgeschwemmt wird, gebrochen? Warnungen, dass eine solche Entwicklung einsetzen wird, übten Kritiker der EZB-Politik schon lange – und wurden dafür meist nur milde belächelt. Fällt uns das jetzt auf die Füße? Der Grund für die Preissteigerungen allenthalben hat nicht nur eine Ursache, und es scheint sich auch immer mehr die Annahme durchzusetzen, dass es wohl doch kein vorübergehendes Phänomen ist: Wir werden die hohen Preise so schnell nicht los. Gerade wir in der Eurozone aber haben ein besonderes Problem. Den Krisenmodus, in dem sich die EZB seit der Euroschuldenkrise befindet, hätte sie schon viel früher verlassen müssen. Jetzt haben wir die Pandemiekrise, in der sich die Euroländer weiter verschulden, um eine Pleitewelle von Unternehmen abzuwehren. Tatsächlich sind die Pleiten in vielen Branchen eher hinausgeschoben als dass sie verhindert werden. Derweil haben sich Staaten und auch mancher Investor längst daran gewöhnt, dass Schulden nichts kosten. „Die alte Welt wurde von einer irregeleiteten Zentralbankpolitik zerstört“, meint diesbezüglich der Ökonom Thomas Mayer, der einst Chefvolkswirt der Deutschen Bank war.
Warum die Teuerung länger anhält? Am meisten getrieben wird die Inflation von den Energiepreisen. Und es ist nicht davon auszugehen, dass die in naher Zukunft spürbar sinken werden. Eher das Gegenteil dürfte der Fall sein – ein Preis, den wir alle angesichts der Energiewende zu zahlen haben. Die hohen Energiepreise verteuern alles, und gestiegene Kosten für Vorprodukte werden Unternehmen an die Verbraucher weiterreichen. Ob sie sich das später noch leisten können, ein Haus zu bauen oder eine Wohnung zu kaufen, fragen sich nicht nur viele junge Luxemburger. Das heißt, die Entwicklung droht auch eine negative soziale Dimension anzunehmen. Dem gegenzusteuern dürfte nun die vornehmste Aufgabe der Politik sein. Vor allem mittels Investitionen. Vielleicht ist es auch so, dass wir uns von dieser Art Wohlstand, in welchem sich „der Westen“in den 1980er, 90er und 2000er suhlte, verabschieden müssen, so wie wir uns überhaupt von eingefahrenen Denkschablonen, vor allem wirtschaftlichen, verabschieden müssen? Sollte die EZB den Zins anheben, reden wir übrigens von einem Anstieg von allerniedrigstem Niveau. Die Kredite werden damit langsam teurer – sie werden zuerst einmal vor allem etwas weniger günstig.
Wie die EZB die Wende schaffen will, die sie letztlich doch irgendwann schaffen muss, weiß im Moment wahrscheinlich nicht einmal Madame Lagarde, die bekennt, dass sie die „Kollateralschäden“fürchtet. Bei höheren Zinsen wird für viele Länder die Staatsverschuldung zur unerträglichen Last. Dabei ist fraglich, ob ein Rekordniedrigzins ohne Kopplung an sinnvolle Investitionen wirklich das geeignete Mittel ist, die Wirtschaft anzukurbeln. Lagarde geht davon aus, dass die Inflation „schrittweise im Laufe des Jahres 2022 sinken wird.“Ihr Wort in Gottes Ohr.
Die Geldpolitik ist festgefahren. Es braucht vor allem sinnvolle Investitionen.