Luxemburger Wort

Fliegender Sprinter

Hürdenläuf­er François Grailet lässt Landesreko­rde purzeln und sorgt für Aufmerksam­keit in seiner Disziplin

- Von Jan Morawski

106,7 Zentimeter machen einen großen Unterschie­d. Als Hansle Parchment im Sommer in Tokio die Olympische Goldmedail­le über 110 Meter Hürden gewann, interessie­rte das nur das leichtathl­etische Fachpublik­um. Der Sensations­sieg des Italieners Marcell Jacobs über die flachen 100 Meter machte hingegen Schlagzeil­en über die Sportmedie­n hinaus. „Ich glaube, die Leute können sich besser mit dem normalen Sprint identifizi­eren. Fast jeder kann geradeaus rennen“, sagt François Grailet. Der 27-Jährige muss es wissen, denn er ist der schnellste Hürdenspri­nter Luxemburgs.

Dabei ist der gebürtige Belgier eigentlich der Meinung, dass der Lauf über die etwas mehr als einen Meter hohen Hinderniss­e viel mehr Action bietet. „Ich bin nicht der schnellste Sprinter“, gibt er zu. „Die Hürden liegen mir und machen mir viel Spaß. Es läuft im Moment sehr gut.“Morgen geht er beim Regio-Meet in der Coque in Kirchberg an den Start. Das Finale über 60 Meter Hürden ist für 17.25 Uhr angesetzt.

Grailets neuer Hallen-Landesreko­rd über diese Strecke ist erst elf Tage her. Im belgischen Lovain verbessert­e der 27-Jährige die alte Bestmarke von Claude Godart aus dem Jahr 2007 um 14 Hundertste­lsekunden auf 7''89. Unter freiem Himmel (110 Meter) gelang Grailet dieses Kunststück bereits im Juli (13''88). Dass er sich erst seit eineinhalb Jahren auf die Hürden konzentrie­rt, macht die Entwicklun­g noch eindrucksv­oller.

Grailet war Weitspring­er – und hält auch in dieser Disziplin einen Landesreko­rd (7,58 Meter in der Halle). „Mir hat diese Disziplin keinen Spaß mehr gemacht, deshalb bin ich auf die Hürden gewechselt. Hier habe ich mehr Potenzial“, ist sich der Luxemburge­r sicher – und erinnert sich auch daran, dass er vor einiger Zeit, im Alter von neun Jahren, einmal den belgischen Landesreko­rd brach.

Technische Probleme

Als halber Hürden-Neuling hat Grailet vor allem technisch Luft nach oben – beim Rhythmus beispielsw­eise. „Ich laufe häufig noch zu nah an die Hürden ran. So etwas kommt aber mit der Erfahrung. Wenn man viel rennt, wird man sicherer.“

Erst vor fünf Tagen hatte Grailet bei einem Meeting in Metz mit solchen „technische­n Problemen“zu kämpfen. In 7''91 schrammte er über 60 Meter Hürden dennoch nur ganz knapp an seinem frisch aufgestell­ten Rekord vorbei.

Grund zu Freude hatte der 27Jährige trotzdem, denn parallel stellte Disziplin-Kollegin Victoria Rausch in 8''33 eine neue nationale Bestmarke auf. „Ich war sehr beeindruck­t“, sagt Grailet. „Victoria hatte schwierige Jahre und hat einen wirklich guten Job gemacht. Ich glaube, dass sie wusste, dass sie so etwas schaffen kann. Jetzt geht noch mehr.“

Dass dies nicht nur für die 25Jährige gilt, macht Grailet im nächsten Atemzug klar. Er will in

Topform bleiben, um sich Ende Februar nicht nur den Landesmeis­tertitel in der Halle zu sichern, sondern auch genug Punkte für eine Teilnahme an den Europameis­terschafte­n zu sammeln, die Mitte August in München stattfinde­n werden. „Vor einem Jahr hätte ich nicht einmal von der EM geträumt“, verrät er. „Jetzt ist das Ziel etwas konkreter.“

Grailets Pläne klingen wie die einen Profisport­lers, doch das Leben des in Liège lebenden Athleten ist anders gestrickt. Nach seinem Medizinstu­dium arbeitet Grailet mittlerwei­le als Arzt in einem Krankenhau­s. „Ich habe ziemlich anstrengen­de Tage, total vollgestop­ft. Eigentlich habe ich keine Zeit für irgendetwa­s anderes“, erzählt er.

Grailet geht meistens früh morgens um 7 Uhr aus dem Haus und kommt erst gegen 21 Uhr wieder zurück. Beschweren will sich der Leichtathl­et aber nicht: „Ich liebe dieses Leben für den Moment. Ich sehe meine Freunde jeden Tag im Training und habe eine Freundin, die mich unterstütz­t.“Ohnehin sei der Profisport nichts für ihn. „Ich glaube nicht, dass das zu mir passen würde. Dafür reicht mein Level nicht.“

Vor einem Jahr hätte ich nicht einmal von der EM geträumt. Jetzt ist das Ziel etwas konkreter. François Grailet

Die luxemburgi­sche Staatsbürg­erschaft, die der Sohn einer Luxemburge­rin seit 2016 hat, spielt ihm dabei enorm in die Karten. „In Belgien muss man erst eine gewisse Leistung bringen, um unterstütz­t zu werden“, erläutert Grailet. „In Luxemburg ist das anders. Dort wirst du auch als ein Athlet, der nicht auf Spitzenniv­eau ist, gut behandelt.“

Deshalb habe er damals auch keine Sekunde gezögert, als sich die Möglichkei­t bot, Luxemburge­r zu werden. „Es war eine gute Entscheidu­ng“, resümiert Grailet, der schon mit dem Gedanken spielt, in naher Zukunft auch beruflich einen Abstecher ins Großherzog­tum zu machen.

Zuerst jedoch reist François Grailet in sportliche­r Mission über die Grenze. Weil er heute noch arbeiten muss, schlägt der Landesreko­rdhalter erst auf den letzten Drücker in der Coque auf. Seine beste Leistung will er trotzdem auf die kürzlich erneuerte Laufbahn bringen. „Ich werde erstmal richtig glücklich sein, wieder in Luxemburg laufen zu dürfen“, erklärt Grailet. „Und dann werde ich versuchen, den Landesreko­rd erneut anzugreife­n.“

Die Leistungen von Grailet und Rausch sorgen nicht nur für persönlich­e Genugtuung – sondern vielleicht auch für einen neuen Stellenwer­t einer spannenden Disziplin.

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Foto: Christian Kemp Der quirlige François Grailet will in der Coque seine starke Form bestätigen.

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