Kritik trotz Verständnis
Parteien reagierten verhalten auf Stabilitäts- und Reformprogramme
Die Zeiten sind unsicher und von Krisen geprägt. Dadurch sind Vorhersehbarkeit und Planungssicherheit schwierig geworden. In diesen Punkten waren sich gestern in der Chamber alle Redner einig. Einfach abgenickt wurden das Nationale Reformprogramm (PNR) und das Stabilitäts- und Wachstumsprogramm (PSC) aber nicht.
Gilles Roth (CSV) kritisierte den Ausfall der Rede zur Lage der Nation. „In einem Jahr, in dem wir aus einer Pandemiekrise kommen, in einer Energiekrise sind, in geopolitischen Spannungen stecken und riskieren, in eine weltweite Wirtschaftskrise zu geraten, wäre es wichtig gewesen, über die Lage des Landes zu reden“, meinte er.
Das Armutsrisiko steige, die Wohnungspreise ebenso. Als wesentliche Herausforderung beschrieb er das Rentensystem. In Sachen Index und Steuerkredite bestehe noch Klärungsbedarf. „Die Herausforderungen für unser Land sind enorm. Auf Notsituationen sind wir nicht genügend vorbereitet. Es wurde zu viel Bling-Bling gemacht und dabei die Hauptthemen, nämlich Armut, Wohnungsbau, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen, nicht zur Genüge angegangen. Das Land braucht eine Politik mit Weitsicht“, so Roth.
Der Preis der Freiheit
André Bauler (DP) beschrieb die aktuelle Kriegssituation als Zäsur in der europäischen Geschichte. Die Europäische Union habe sich von Anfang an zusammengetan, um kohärente Sanktionen gegen das Regime von Moskau zu ergreifen. Die Maßnahmen hätten aber auch Konsequenzen für Luxemburg. „Das ist der Preis, den es zu zahlen gilt, um sich gegen den Krieg zu stellen. Es ist der Preis der Freiheit“, so Bauler.
Während der Covid-Krise habe der Staat die Menschen nicht im Stich gelassen. Dies erkläre das Defizit des Zentralstaats. Es sei jetzt nicht der Moment für unüberlegte Ausgaben. „Wir müssen die finanzielle Zukunft unserer Kinder fest im Blick behalten“, so Bauler.
Francine Closener (LSAP) wehrte sich gegen den Ausdruck „Bling-Bling“. „Trotz der vielen Krisen können wir uns in Luxemburg auf zuverlässige Säulen stützen, die uns durch die Änderungen und Krisen geführt haben und führen werden. Kein Bling-Bling, sondern ein starker Sozialstaat, eine dynamische Wirtschaft, eine vorausschauende Politik und vor allem eine mutige und solidarische Bevölkerung“, sagte sie.
Die Ausgangsposition sei gesund, deshalb könne man es sich erlauben, die Menschen zu unterstützen, etwa hinsichtlich der explodierenden Energiepreise. Der Kaufkraftverlust von finanziell weniger gut gestellten Haushalte müsse integral kompensiert werden. „Mit dem Steuerkredit wird er sogar überkompensiert“, verdeutlichte Closener. Es müsse weiter massiv investiert werden, der Wohnungsbau eine Priorität bleiben, der Zugang zur Gesundheitsversorgung
gesichert sein, ein effizientes Bildungssystem aufgebaut und dafür gesorgt werden, dass sich auch die kommenden Generationen auf ein solides Rentensystem verlassen könnten.
Mehr Unabhängigkeit
„Wir müssen unabhängiger werden“, unterstrich François Benoy (Déi Gréng). Das bedeute, „raus aus den fossilen Energien und rein in die erneuerbaren“. Auch andere Bereiche müssten zukunftsfähig aufgestellt werden, etwa die Landwirtschaft. Die Investitionen gelte es hochzuhalten, um den Klimawandel zu meistern und den Umweltschutz zu verbessern. Das Gesundheitssystem müsse gestärkt werden. Gleiches gelte für den öffentlichen Wohnungsbau.
Fernand Kartheiser (ADR) vermisste unterdessen Antworten der Regierung auf die vielen wirtschaftlichen Probleme. Das Armutsrisiko steige. Der grüne Wandel gehe auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Auf die Landwirtschaft werde Druck ausgeübt. Die Bestrebungen der Regierung, um die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern, würden nicht fruchten. „Diese Probleme müssen wir angehen, statt über Waffenlieferungen für die Ukraine zu reden“, hielt er fest.
Nathalie Oberweis (Déi Lénk) beklagte das Fehlen großer Projekte im PSC. Auch eine Neuausrichtung der Politik vermisse sie. „Kaum neue Initiativen, dafür aber viele aufgewärmte Sachen“, resümierte sie. Das magische Wort sei „Digitalisierung“, die ihrer Ansicht nach aber die Inklusion nicht fördern würde. „Das alles zeigt uns, dass diese Regierung nicht fähig ist, einen Paradigmenwechsel einzuschlagen, vielmehr versucht sie, sich ihre politische Ausrichtung schönzureden“.
Sven Clement (Piratepartei) sparte auch nicht mit Kritik. „Kaum bis gar keine neuen Projekte. Keine neuen Weichen, keine Visionen für die Zukunft“, fasste er zusammen. Man merke nicht, dass wir in einer Klima- oder Wohnungskrise stecken. Viele Umweltziele seien nicht erreicht worden. Eines davon müsse die Dekarbonisierung sein. Der Handwerkermangel mache sich immer bemerkbarer, was etwa zu einem Rückstand in Sachen Solaranlagen führe. „Ein Plan für die Zukunft ist dieser PNR nicht. Wir brauchen zeitnahe Lösungen“, stellte er fest.
Laurent Mosar (CSV) ging auf den Finanzplatz ein und warnte vor einer Abhängigkeit: „Wir müssen zu einer richtigen wirtschaftlichen Diversifizierung kommen.“
Am Nachmittag reagierten Wirtschaftsminister Franz Fayot und Finanzministerin Yuriko Backes auf einige der Kritikpunkte. Die aktuelle Krise sei nicht der passende Moment, um in aller Eile an Steuerschrauben zu drehen. Das Rentensystem stehe kurz- und mittelfristig auf soliden Füßen. Man sei sich der künftigen Herausforderungen aber bewusst. Auch einer Diversifizierung der Wirtschaft verschließe sich die Regierung nicht. Dennoch müsse man dafür sorgen, den Finanzplatz weiter nachhaltig zu entwickeln und attraktiv zu gestalten.
Es wurde zu viel Bling-Bling gemacht. Gilles Roth (CSV)