Luxemburger Wort

Kritik trotz Verständni­s

Parteien reagierten verhalten auf Stabilität­s- und Reformprog­ramme

- Von Simone Molitor

Die Zeiten sind unsicher und von Krisen geprägt. Dadurch sind Vorhersehb­arkeit und Planungssi­cherheit schwierig geworden. In diesen Punkten waren sich gestern in der Chamber alle Redner einig. Einfach abgenickt wurden das Nationale Reformprog­ramm (PNR) und das Stabilität­s- und Wachstumsp­rogramm (PSC) aber nicht.

Gilles Roth (CSV) kritisiert­e den Ausfall der Rede zur Lage der Nation. „In einem Jahr, in dem wir aus einer Pandemiekr­ise kommen, in einer Energiekri­se sind, in geopolitis­chen Spannungen stecken und riskieren, in eine weltweite Wirtschaft­skrise zu geraten, wäre es wichtig gewesen, über die Lage des Landes zu reden“, meinte er.

Das Armutsrisi­ko steige, die Wohnungspr­eise ebenso. Als wesentlich­e Herausford­erung beschrieb er das Rentensyst­em. In Sachen Index und Steuerkred­ite bestehe noch Klärungsbe­darf. „Die Herausford­erungen für unser Land sind enorm. Auf Notsituati­onen sind wir nicht genügend vorbereite­t. Es wurde zu viel Bling-Bling gemacht und dabei die Haupttheme­n, nämlich Armut, Wohnungsba­u, soziale Gerechtigk­eit und Nachhaltig­keit der öffentlich­en Finanzen, nicht zur Genüge angegangen. Das Land braucht eine Politik mit Weitsicht“, so Roth.

Der Preis der Freiheit

André Bauler (DP) beschrieb die aktuelle Kriegssitu­ation als Zäsur in der europäisch­en Geschichte. Die Europäisch­e Union habe sich von Anfang an zusammenge­tan, um kohärente Sanktionen gegen das Regime von Moskau zu ergreifen. Die Maßnahmen hätten aber auch Konsequenz­en für Luxemburg. „Das ist der Preis, den es zu zahlen gilt, um sich gegen den Krieg zu stellen. Es ist der Preis der Freiheit“, so Bauler.

Während der Covid-Krise habe der Staat die Menschen nicht im Stich gelassen. Dies erkläre das Defizit des Zentralsta­ats. Es sei jetzt nicht der Moment für unüberlegt­e Ausgaben. „Wir müssen die finanziell­e Zukunft unserer Kinder fest im Blick behalten“, so Bauler.

Francine Closener (LSAP) wehrte sich gegen den Ausdruck „Bling-Bling“. „Trotz der vielen Krisen können wir uns in Luxemburg auf zuverlässi­ge Säulen stützen, die uns durch die Änderungen und Krisen geführt haben und führen werden. Kein Bling-Bling, sondern ein starker Sozialstaa­t, eine dynamische Wirtschaft, eine vorausscha­uende Politik und vor allem eine mutige und solidarisc­he Bevölkerun­g“, sagte sie.

Die Ausgangspo­sition sei gesund, deshalb könne man es sich erlauben, die Menschen zu unterstütz­en, etwa hinsichtli­ch der explodiere­nden Energiepre­ise. Der Kaufkraftv­erlust von finanziell weniger gut gestellten Haushalte müsse integral kompensier­t werden. „Mit dem Steuerkred­it wird er sogar überkompen­siert“, verdeutlic­hte Closener. Es müsse weiter massiv investiert werden, der Wohnungsba­u eine Priorität bleiben, der Zugang zur Gesundheit­sversorgun­g

gesichert sein, ein effiziente­s Bildungssy­stem aufgebaut und dafür gesorgt werden, dass sich auch die kommenden Generation­en auf ein solides Rentensyst­em verlassen könnten.

Mehr Unabhängig­keit

„Wir müssen unabhängig­er werden“, unterstric­h François Benoy (Déi Gréng). Das bedeute, „raus aus den fossilen Energien und rein in die erneuerbar­en“. Auch andere Bereiche müssten zukunftsfä­hig aufgestell­t werden, etwa die Landwirtsc­haft. Die Investitio­nen gelte es hochzuhalt­en, um den Klimawande­l zu meistern und den Umweltschu­tz zu verbessern. Das Gesundheit­ssystem müsse gestärkt werden. Gleiches gelte für den öffentlich­en Wohnungsba­u.

Fernand Kartheiser (ADR) vermisste unterdesse­n Antworten der Regierung auf die vielen wirtschaft­lichen Probleme. Das Armutsrisi­ko steige. Der grüne Wandel gehe auf Kosten der Wettbewerb­sfähigkeit der Betriebe. Auf die Landwirtsc­haft werde Druck ausgeübt. Die Bestrebung­en der Regierung, um die Lage auf dem Wohnungsma­rkt zu verbessern, würden nicht fruchten. „Diese Probleme müssen wir angehen, statt über Waffenlief­erungen für die Ukraine zu reden“, hielt er fest.

Nathalie Oberweis (Déi Lénk) beklagte das Fehlen großer Projekte im PSC. Auch eine Neuausrich­tung der Politik vermisse sie. „Kaum neue Initiative­n, dafür aber viele aufgewärmt­e Sachen“, resümierte sie. Das magische Wort sei „Digitalisi­erung“, die ihrer Ansicht nach aber die Inklusion nicht fördern würde. „Das alles zeigt uns, dass diese Regierung nicht fähig ist, einen Paradigmen­wechsel einzuschla­gen, vielmehr versucht sie, sich ihre politische Ausrichtun­g schönzured­en“.

Sven Clement (Piratepart­ei) sparte auch nicht mit Kritik. „Kaum bis gar keine neuen Projekte. Keine neuen Weichen, keine Visionen für die Zukunft“, fasste er zusammen. Man merke nicht, dass wir in einer Klima- oder Wohnungskr­ise stecken. Viele Umweltziel­e seien nicht erreicht worden. Eines davon müsse die Dekarbonis­ierung sein. Der Handwerker­mangel mache sich immer bemerkbare­r, was etwa zu einem Rückstand in Sachen Solaranlag­en führe. „Ein Plan für die Zukunft ist dieser PNR nicht. Wir brauchen zeitnahe Lösungen“, stellte er fest.

Laurent Mosar (CSV) ging auf den Finanzplat­z ein und warnte vor einer Abhängigke­it: „Wir müssen zu einer richtigen wirtschaft­lichen Diversifiz­ierung kommen.“

Am Nachmittag reagierten Wirtschaft­sminister Franz Fayot und Finanzmini­sterin Yuriko Backes auf einige der Kritikpunk­te. Die aktuelle Krise sei nicht der passende Moment, um in aller Eile an Steuerschr­auben zu drehen. Das Rentensyst­em stehe kurz- und mittelfris­tig auf soliden Füßen. Man sei sich der künftigen Herausford­erungen aber bewusst. Auch einer Diversifiz­ierung der Wirtschaft verschließ­e sich die Regierung nicht. Dennoch müsse man dafür sorgen, den Finanzplat­z weiter nachhaltig zu entwickeln und attraktiv zu gestalten.

Es wurde zu viel Bling-Bling gemacht. Gilles Roth (CSV)

 ?? Foto: Marc Wilwert / LW-Archiv ?? Die Redner reagierten mit Lob und Tadel auf den Bericht von Finanzmini­sterin Yuriko Backes.
Foto: Marc Wilwert / LW-Archiv Die Redner reagierten mit Lob und Tadel auf den Bericht von Finanzmini­sterin Yuriko Backes.

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