Es geht nicht ohne Putin
Knapp zwei Monate nach Beginn des Krieges in der Ukraine ist es an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Es war zweifellos gut, dass der Westen sich früh und klar solidarisch gezeigt hat mit dem angegriffenen Land. Es war auch richtig, den Ukrainern mit beträchtlichem Aufwand Hilfe zukommen zu lassen. Sei es durch die hervorragend organisierte Aufnahme von Millionen Flüchtlingen, die ohne die übliche „Das Boot ist voll“-Rhetorik auskam, sei es durch die Unterstützung für die heldenhafte und bewundernswerte militärische Verteidigung der Ukrainer.
Es lag am Mut der Kämpfenden, aber auch an Lieferungen von Verteidigungswaffen durch den Westen, dass der vom Kreml wohl erwartete schnelle militärische Erfolg ausgeblieben ist. Doch nach all den Kämpfen ist es nun dringend an der Zeit, auf ein schnelles Ende des Sterbens und Leidens hinzuwirken.
Wenn der Frieden oberste Priorität hat, dann gilt es zu hinterfragen, welche Maßnahmen diesem Ziel dienlich sind und welche nicht. Auch wenn die EU-Staaten bereit sind, wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen, was grundsätzlich zu loben ist, so zeigt sich doch, dass eine weitere Eskalation der Sanktionsspirale offenkundig nicht besonders zielführend ist. Denn obwohl der Westen extrem harte Sanktionen erlassen hat, ist nicht erkennbar, dass sich Putins Entourage sonderlich davon beeindrucken lässt.
Im Gegenteil: Wissend um die auf Jahre hinweg bestehende Abhängigkeit Europas von russischem Gas hat der Kreml mit seinem abrupten Gasstopp für Polen und Bulgarien gezeigt, dass er nicht klein beigeben wird. Die jammerhafte Reaktion von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die von einem „nicht akzeptablen Versuch Russlands, Gas zur Erpressung zu nutzen“sprach, wirkt da allenfalls lächerlich. Grotesk und klimavergessen sind die Bestrebungen, nun für horrende Summen Terminals zu bauen, um etwa das extrem umweltschädliche verflüssigte Frackinggas aus den USA importieren zu können.
Statt nun Panzer und schweres Kriegsgerät in die Ukraine zu schicken, sollten Europäer und Amerikaner schnell in sich gehen und überlegen, wie dieser Konflikt diplomatisch gelöst werden kann. Dazu gehört die Einsicht, dass es keine Lösung ohne Putins Mitwirken geben wird. Es besteht kein Zweifel: Der russische Präsident Wladimir Putin ist ein Kriegsverbrecher. Mit seinem Angriff auf die Ukraine, aber auch schon mit vorangegangenen Interventionen hat er brutale Exzesse wie die Ermordung von Zivilisten in Butscha überhaupt erst möglich gemacht.
Doch Putin ist, anders als ein beliebtes Narrativ lautet, kein Wahnsinniger. Die Schriftstellerin Natascha Wodin bezeichnete ihn kürzlich als Menschen, „der sich vom Westen zutiefst erniedrigt und beleidigt fühlte“. Hier liegt der Kern dieses Konflikts – und hier liegt der Schlüssel zu einer Lösung. Es war ein schwerer Fehler, die NATO immer stärker bis an die russische Grenze auszudehnen. Mittelfristig muss es zu einem militärischen Rückzug an der Ostgrenze und zum Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur kommen, die auch russische Belange berücksichtigt.
Die NATO muss trotz der jüngsten Eskalation auf Moskau zugehen.
Kontakt: michael.merten@wort.lu