Luxemburger Wort

Schnurzpie­pegal

Deutschlan­ds Ex-Kanzler Gerhard Schröder bleibt sich treu – und auch dem Angriffskr­ieger Wladimir Putin

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Vielleicht hat Alexander Dobrindt gejubelt. Oder sich sogar auf die Oberschenk­el gehauen vor Freude. Vielleicht hat er auch nur die geballte Faust ein bisschen durch die Luft zischen lassen und hinterher ein kurzes „Yep!“. Ganz sicher hat er geglaubt, dass es eine gute Idee ist, über Gerhard Schröder zu sagen, dass der „ein russischer Söldner“sei.

Im Vergleich mit den Bomben und Granaten, die seit 64 Tagen und Nächten auf die Ukraine hageln und dort Frauen, Männer, Kinder töten und Städte zerstören – ist die Zuschreibu­ng des obersten CSU-Politikers in Berlin ein Blindgänge­r. Gemessen daran, dass Schröder der siebente Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­ds gewesen ist und dass die in der Ukraine vermuteten russischen Söldner der „Gruppe Wagner“als besonders grausam gelten und ignorant gegenüber allen Menschenre­chten: Gemessen daran ist sie eine zumindest politische Beleidigun­g allererste­r Güte.

Doch nirgendwo erhebt sich Protest. Schröder selbst schweigt – was daran liegt, dass er, wenn überhaupt, lieber seinen Podcast beplaudert als ernsthaft mit ernst zu nehmenden, selbst denkenden Menschen zu reden, Journalist­innen beispielsw­eise. Die Erste seit langem, der Schröder Audienz gewährt hat, ist die Deutschlan­d-Korrespond­entin der „New York Times“(NYT). Und was Katrin Bennhold über ihre beiden Gespräche mit Schröder in dessen Wohndomizi­l in Hannover aufgeschri­eben hat: Das hat Dobrindt auf die Idee mit dem Söldner gebracht.

Immun gegen Kritik

Bei „reichlich Weißwein“, so stand in der „NYT“-Samstagsau­sgabe zu lesen, habe Schröder zwar den Krieg, den sein Duz-Freund Wladimir Putin in der Ukraine führt, einen „Fehler“genannt. Zum Massaker im Kiewer Vorort Butscha jedoch sagte er knapp: „Das muss untersucht werden.“Und dass er nicht glaube, dass Putin es befohlen habe.

Seine Geschäftsb­eziehungen mit diversen staatliche­n russischen Energieunt­ernehmen jedenfalls werde er nur kappen, falls Putin der EU das Gas abdrehen werde – was aber „nicht passieren“werde. Im Übrigen sieht er bei sich keine Fehler.

Von Russland lossagen will ExBundeska­nzler Gerhard Schröder sich weiterhin nicht.

„Ich mache jetzt nicht einen auf mea culpa“, zitiert ihn die „NYT“. „Das ist nicht mein Ding.“

Das politische Berlin fällt in Schnappatm­ung. Für zehn Minuten.

Schon die sind üppig. Nichts von dem, was Schröder sagt, nichts an dem, wie er sich gibt, ist ja auch nur ein Spürchen überrasche­nd. Wer mit ihm zu tun gehabt hat, weiß: Der Mann liebt – und zelebriert – sein Schmuddelk­ind-Image. Vor 78 Jahren ist er direkt hineingebo­ren worden – als Sohn einer Kriegerwit­we, die auf dem niedersäch­sischen Dorf in der Baracke wohnte und putzen ging, um die Familie durchzubri­ngen. Das Dorf schaute auf Erika Schröder herab. Ihr Sohn nahm sich vor, es allen zu zeigen.

Hat er dann auch. Unter anderen Oskar Lafontaine, seinem Parteichef – dem er die Kanzlertou­r vermasselt­e. US-Präsident George Walker Bush – mit dem er nicht in den Irak-Krieg ziehen wollte. Der SPD – die er mit der Agenda 2010 an den Rand des Ruins brachte. Deutschlan­d – als er ihm seine Rolle als Volksvertr­eter vor die Füße warf und in die Dienste des russischen Staats wechselte. Und jetzt – ist halt die Welt dran.

„NYT“– das passt zu Schröders Selbstbild wie vor ein paar Jahren die Präsentati­on der fünften Gattin beim Bundespres­seball, als wäre Soyeon Schröder-Kim eine Trophäe. Und wie sein Porträt für die Galerie im Bundeskanz­leramt. Jörg Immendorf malte Schröder in reinem Gold.

Wer sich so sieht – pfeift auf Kritik. Und beharrt nicht nur auf der

Freundscha­ft zu dem schrecklic­her Kriegsverb­rechen zumindest schwer verdächtig­en Putin – was zur Not noch als Privatsach­e durchgehen könnte. Sondern auch auf allen Jobs als Lobbyist russischer Energiekon­zerne – und den Millionen daraus.

Einerseits hat die SPD – zumindest ihr Spitzenper­sonal – gerade wirklich andere Probleme als einen egozentris­chen Altkanzler. Anderersei­ts grassiert an der Basis das blanke Entsetzen. Und generiert so viele Anträge auf Parteiauss­chluss, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten.

Dabei ist Schröder ja nicht der erste Altkanzler, der sich für sakrosankt hält. Helmut Kohl, der als CDU-Vorsitzend­er über Jahre hinweg illegal Geld für die Partei angenommen hatte, insgesamt etwa zwei Millionen D-Mark, weigerte sich, die Namen der Spender zu nennen. Er redete von „Ehrenwort“– die Partei entzog ihm den Ehrenvorsi­tz. Man blieb sich fremd. Bis zum Tod. Der Republik war das schnurz. Weitgehend. Über Schröder jetzt regen sich sehr viel mehr auf. Dobrindt übrigens findet, man sollte ihn rauswerfen. Wenigstens den goldenen Gerd.

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg