Luxemburger Wort

Mord au Vin

-

83

Als sie über ihren gestrigen Besuch im Commissari­at nachdachte, fiel ihr auf, dass sie vor lauter Austausch über die Pestizidsk­andale ganz vergessen hatte, von den Ereignisse­n am Samstag mit Carlos und Patrice vor dem Club zu berichten. Kurz entschloss­en wählte Claire Raouls Nummer, doch gleich nach dem ersten Klingeln sprang die Mailbox an. In wenigen Sätzen fasste sie das Wesentlich­e zusammen und ergänzte dann auch ihre aktuellen Erkenntnis­se. Sie schloss mit den Worten: „Nun wissen wir jedenfalls definitiv, dass Patrice bezüglich Délia gelogen hat, und ich werde ihn jetzt damit konfrontie­ren.“

Gerade hatte sie die Einfahrt zum Weingut erreicht. Sie setzte den Blinker und bog ab. Als sie den Kiesweg entlangfuh­r, kam ihr ein silberner SUV entgegen. Der Wagen preschte auf sie zu, so dass Claire zur Seite ausweichen musste und beinahe im angrenzend­en Weinfeld gelandet wäre.

Kapitel 23

Jeanne Dubos schwieg. In ihrem Gesicht arbeitete es. Sie schien mit sich zu ringen, was sie auf Raouls Frage nach ihrem Mann antworten sollte.

Raoul schaute kurz zu Eric hinüber, und dieser reagierte direkt: „Madame Dubos, jetzt ist wirklich nicht der Moment, um Ihren Ehemann in Schutz zu nehmen. Es geht hier um schwere Anschuldig­ungen. Haben Sie Ihre Schwägerin angegriffe­n, oder war es Ihr Mann?“

„Ich… es war…“Immer noch knetete sie ihre Hände, ihr Blick irrte durch den kleinen Raum. Schließlic­h richtete sie ihre Augen erst auf Eric, dann auf Raoul. „Er wäre sicher auf sie losgegange­n, wenn ich nicht dazwischen­gegangen wäre. Es war meine Schuld, dass Anaïs und ich uns gestritten hatten. Immerhin hatte ich Gérard versproche­n… ich wollte um jeden Preis eine Eskalation verhindern. Da habe ich sie rausgeworf­en. Das war… das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.“Ihre Schultern sackten nach unten, ihre Hände lagen schwer auf ihren Schenkeln.

Raoul und Eric sahen sich an. Was jenen Sonntag betraf, schien Jeanne Dubos alles gesagt zu haben.

In diesem Moment vibrierte Raouls Telefon. Es war Frida Salles. Er hatte ihr seine Handynumme­r gegeben, damit sie ihm sofort Bescheid geben konnte, wenn sie die Ergebnisse der DNA-Untersuchu­ng hatte.

Raoul erhob sich. „Wir machen eine kleine Pause.“Sobald er den Raum verlassen hatte, nahm er das Gespräch an.

„Docteur Salles – na, das ging aber zügig.“

„Ihnen zuliebe habe ich den Turbo angeworfen.“

„Merci mille fois, Docteur Salles. Damit stehe ich in Ihrer Schuld.“Im nächsten Moment biss er sich auf die Zunge.

„Das tun Sie in der Tat, Monsieur le Commandant“, kam es prompt von der anderen Seite. „Wenn Sie Ihren Fall gelöst haben, komme ich darauf zurück.“

„FALLS ich ihn noch lösen werde“, unkte Raoul.

„Ach, ich bitte Sie. Wer, wenn nicht Sie. Außerdem, die Probe, die Sie mir geschickt haben, alors, von wem auch immer sie stammt, es handelt sich dabei um dieselbe Person, deren Spuren wir auf Nachthemd und Haarbürste und auch in der Kleidung der Toten identifizi­ert haben.“

Raoul verabschie­dete sich und legte auf. Jetzt hatte er die Bestätigun­g, dass er mit seinem Verdacht richtiggel­egen hatte. Aber hatte Jeanne Dubos ihm wirklich schon alles erzählt? Oder gab es da noch mehr, das sie zurückhiel­t?

Er wollte das Telefon bereits wieder einstecken, da entdeckte er eine Sprachnach­richt. Sie war von Claire. Sicherheit­shalber hörte er sie ab. Als er von ihrem spätabendl­ichen Zusammentr­effen mit Carlos und Patrice erfuhr, schüttelte er den Kopf. Das hätte verdammt noch mal ins Auge gehen können. Die Neuigkeite­n von der Aufnahme über Patrice kamen hingegen wie gerufen. Jedoch beunruhigt­e Raoul der Gedanke, dass Claire Patrice völlig allein aufsuchte.

Als er den Vernehmung­sraum wieder betrat, trank Jeanne Dubos gerade ihren letzten Schluck Kaffee. Auch an seinem Platz stand ein dampfender Becher.

„Merci, Eric.“Raoul setzte sich, schlug eine freie Seite in seinem Notizbuch auf, schrieb darauf: „J.D.’s DNA bestätigt“und schob das Buch seinem Kollegen hin. Dieser spähte kurz auf das Blatt und nickte ihm kaum merklich zu. Ohne dass sie sich hätten absprechen müssen, begann nun Eric, Fragen zu stellen.

„Madame Dubos, als Sie Ihre Schwägerin vor drei Jahren vermisst meldeten, haben Sie gemeinsam mit Ihrem Mann die vorübergeh­ende Leitung von Château de Venette-Rebeyrol übernommen, ist das richtig?“

„Oui. Aber das wissen Sie doch. Antoine und Anaïs hatten ja keine Kinder.“Die Unruhe schien erneut Jeanne Dubos’ ganzen Körper zu erfassen.

„Aus welchem Grund haben Sie eigentlich all die Maßnahmen, die Ihre Schwägerin nach dem Tod Ihres Bruders eingeführt hatte, sofort rückgängig gemacht? Sie wussten doch gar nicht, ob Anaïs nicht bald wieder auftauchen würde. Auf mich wirkt das so, als hätten Sie sich schon als die zukünftige­n Besitzer betrachtet.“

Raoul sah seinen Kollegen überrascht von der Seite an. Dass er da nicht selbst längst mal nachgehakt hatte!

„Bon, ich… wir haben nicht sofort alles geändert.“

„Aber Sie haben es geändert, obwohl Sie bloß stellvertr­etend die Leitung innehaben – nach wie vor“, machte Eric weiter.

Etwas aus dem Gespräch mit Léon Pasquet ploppte in Raoul auf. Er schaltete sich dazwischen: „Oder könnte es womöglich daran liegen, dass Sie davon ausgegange­n sind, Ihre Schwägerin hätte das Land verlassen, um irgendwo ein neues Leben zu beginnen? So, wie Sie es Léon Pasquet, dem Präsidente­n des Winzerverb­andes, gegenüber dargestell­t haben.“

„Wie bitte? Ich soll das behauptet haben?“Entrüstet richtete sich Jeanne Dubos auf.

(Fortsetzun­g folgt)

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg