Luxemburger Wort

Eine kleine Revolution

- Von Steve Bissen

In Nordirland hat eine kleine Revolution stattgefun­den. Zum ersten Mal seit der zum Vereinigte­n Königreich gehörende Landesteil vor einem Jahrhunder­t von der damals neu gegründete­n Republik Irland abgespalte­n wurde, ist eine auf Wiedervere­inigung ausgericht­ete Partei bei den Regionalwa­hlen zur stärksten politische­n Kraft geworden. Der Wahlsieger, die katholisch-republikan­ische Sinn Féin, fordert nun den Posten des Regierungs­chefs, der im vergangene­n Vierteljah­rhundert stets von einem Vertreter des protestant­isch-unionistis­chen Lagers besetzt wurde. Stehen jetzt also alle Zeichen unmittelba­r auf Wiedervere­inigung? Mitnichten, wenn man den Wahlsieg von Sinn Féin, die lange Jahre als der „politische Arm“der IRA bezeichnet wurde, etwas näher analysiert.

Zwar wirbt Sinn Féin für eine offene Debatte und die Festlegung eines Referendum-Termins, um von den Bürgern klären zu lassen, ob sich Nordirland mit der Republik im Süden vereinigen soll. Im Vordergrun­d des Wahlkampfs standen aber soziale Themen wie die steigenden Lebenshalt­ungskosten, die Gesundheit­sversorgun­g und die Wohnungsno­t. Außerdem ist eine Wiedervere­inigung laut rezenten Umfragen zurzeit von nicht einmal einem Drittel der Nordiren erwünscht. Priorität hat das Thema sogar nur für jeden sechsten Nordiren.

Und das Ansetzen einer Volksabsti­mmung würde laut Karfreitag­sabkommen, mit dem 1998 drei Jahrzehnte Bürgerkrie­g beendet wurden, der Regierung in London obliegen. Diese darf sich dem Ansinnen zwar nicht verwehren, wenn es Aussicht auf Erfolg hat. Doch aus dem Wahlsieg von Sinn Féin lässt sich das nicht ableiten. Denn selbst als stärkste Partei repräsenti­ert sie nicht mehr als ein Viertel der Wähler. Sinn Féin konnte insgesamt nur einen Prozentpun­kt hinzugewin­nen und bleibt unveränder­t bei 27 Sitzen.

Umgekehrt musste die bisher stärkste politische Kraft, die protestant­isch-unionistis­che Democratic Unionist Party (DUP), zwar herbe Verluste einstecken. Doch die DUP, die sich mit ihrem bedingungs­losen Einsatz für den Brexit verkalkuli­ert hat und dafür einen Denkzettel bekam, hat vor allem Wähler an die radikale Abspaltung Traditiona­l Unionist Voice (TUV) verloren, nicht an das Lager der Befürworte­r einer Wiedervere­inigung. Die DUP bleibt das Zünglein an der Waage. Denn ohne sie als stärkste Vertretung des unionistis­chen Lagers kann es keine neue Regierung geben. Das Karfreitag­sabkommen sieht nämlich vor, dass die größte Partei eine Koalition mit der größten Partei des rivalisier­enden Lagers bilden muss. Die DUP, die bereits angekündig­t hat, einer Regierung aus Protest gegen den Brexit-Sonderstat­us von Nordirland nicht beitreten zu wollen, könnte also mit einer bloßen Weigerung Sinn Féin am ausgestrec­kten Arm verhungern lassen. Ohne Einigung käme es nach sechs Monaten zu Neuwahlen.

Ohnehin ist die erstmalige Aussicht von Sinn Féin auf den Posten des „First Minister“mehr symbolisch­er Natur, da der Stellvertr­eter dem Regierungs­chef de facto gleichgest­ellt ist. Ein zeitnahes Referendum zur Wiedervere­inigung der Republik Irland mit Nordirland ist daher mehr als fraglich. Am Ende ist der Wahlsieg von Sinn Féin doch nur eine kleine Revolution auf der irischen Insel, keine große.

Ein zeitnahes Referendum zur Wiedervere­inigung ist mehr als fraglich.

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