Weit auslegbar
Für die CDU gewinnt Daniel Günther die Wahl in Schleswig-Holstein – für die SPD ist Olaf Scholz keine Hilfe
Am Montagmorgen können sie sich bei der SPD gleich noch einmal ärgern. In Berlin scheint die Sonne – und vorm KonradAdenauer-Haus zeigen Daniel Günther und Hendrik Wüst, was man aus gutem Wetter und einem fulminanten Wahlsieg machen kann. Die Ministerpräsidenten aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen streben der CDU-Zentrale zu, Günther erzählt vom gemeinsamen Frühstück – wichtig, weil er „gestern wenig gegessen und mehr getrunken“habe – und strahlt. Einen Schritt hinter ihm schaut Wüst in die Kameras und gibt Günthers Zweitausgabe. Gut-, aber noch nicht bestgelaunt – weil sein Wahltag ja erst noch kommt, in sechs Tagen.
Ein Kanzler, der kein Zugpferd ist Dann gilt es. Nicht erst jetzt ist das die Parole der SPD. Jetzt aber besonders. Denn am Sonntag ist schiefgegangen, was schiefgehen konnte. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein ein Absturz auf unterirdische 16 Prozent, Platz drei noch klar hinter den Grünen. Und mitten in diesen Schrecken hinein die Rede des Bundeskanzlers an die Nation zum Thema Krieg. Historisch ist dann aber allein die 77. Wiederkehr des Tages, an dem das faschistische Regime der Nationalsozialisten unterging und der Zweite Weltkrieg zumindest in Europa endete. Nicht historisch ist, was der Sozialdemokrat Olaf Scholz sagt am ersten 8. Mai seit 1945, an dem in Europa wieder ein Angriffskrieg tobt – und Deutschland im Allgemeinen, speziell aber die Bundesregierung und noch spezieller er selbst sich mit Antworten auf die eine große Frage herumplagen: Wenn plötzlich alles anders ist – wie reagieren wir richtig? Und klug?
Bislang hat Scholz, seiner Meinung nach, alles richtig gemacht. Und nach Meinung der Medien, aber auch der Wählerinnen und Wähler, ziemlich viel falsch. Fast 60 Prozent der Regierten nehmen den SPD-Teil der Bundesregierung als „zögerlich und unentschlossen“wahr. Und, noch schlimmer für Scholz: Gerade mal 28 Prozent halten ihn ganz persönlich für eine „große Unterstützung“der Schleswig-HolsteinSPD.
Genau genommen ist das die Katastrophe. Eine historische Niederlage in einem Bundesland – bitter, klar. Aber ein Kanzler, der kein Zugpferd ist ...
Kein Wunder, dass SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert den ganzen Sonntagabend lang das
Gegenteil behauptet: „Da steckt kein Olaf Scholz drin.“Hübsch formuliert. Und ganz sicher hat nicht der Kanzler der Nord-SPD die Wahl so ruiniert. Sie hatte sich für einen sehr unbekannten Spitzenkandidaten entschieden, Thomas Losse-Müller. Und der wiederum dafür, den Schleswig-Holsteinern einzureden, ihre große Sehnsucht nach einem „Weiter so“sei falsch.
War gewagt. Vielleicht auch verzweifelt. Hat kein bisschen funktioniert.
Veränderung droht den Deutschen ja ohnehin an jeder Ecke. Wenn sie nicht schon da ist – von der ärgsten Inflation seit 40 Jahren bis eben zum Krieg. Der hat in gut 70 Tagen viele Sicherheiten zertrümmert. Zuvorderst die des „Nie wieder“. Hieß bislang:
Deutschland hält sich aus Konflikten ganz grundsätzlich heraus. Und wenn das unmöglich ist – dann baut die Bundeswehr in Afghanistan Schulen und Brunnen. Oder liefert in Syrien Flugdaten – ganz sicher aber keine Waffen.
Vorbei. Schrittweise sind Scholz und seine Regierung von etlichen „Nie wieders“abgerückt. Inzwischen hat Deutschland der Ukraine schwere Waffen zugesagt. Die halbe Republik findet das gut und richtig. Die andere Hälfte nicht. Wenn Scholz jetzt seine Entscheidungen – und also sich – besser erklären würde ...
Tut er nicht. Nennt stattdessen, was er ausschließt: deutsche Alleingänge; die Schwächung der deutschen Verteidigungsfähigkeit; Sanktionen, die Deutschland und seinen Verbündeten mehr schaden als Russland; dass die NATO Kriegspartei wird. Hat er von Waffenlieferungen auch schon gesagt ... Aber man kann, was er zum Thema möglicher Atomkrieg sagt, als Richtschnur seines Handelns verstehen, immerhin das: Die Angst davor ernst nehmen – aber sich nicht von ihr lähmen lassen.
Putin, sagt Scholz, werde den Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine werde „bestehen“. Was wieder ein typisches Scholz-Wort ist. Weit auslegbar.
„Krisenmanagement“, behauptet Generalsekretär Kühnert, „misst sich doch nicht daran, ob Olaf Scholz gerade plus drei oder minus fünf in den Umfragen hat.“Wahlerfolg und das Gegenteil aber haben ganz sicher damit zu tun. Erst recht in NRW, dem größten Bundesland – zu dem die SPD ein Verhältnis hat wie die CSU zu Bayern.
Sieg der alten Merkel-CDU
Für Friedrich Merz, den aktuell formal mächtigsten Christdemokraten, übrigens, ist der HilfreichWert noch lausiger als für Scholz. 17 Prozent. Und tatsächlich hat in Schleswig-Holstein ja, sozusagen, die alte Merkel-CDU gesiegt. Günther ist definitiv kein Merzianer. „Gut übereinander reden, sich gegenseitig Erfolge gönnen“und „in der Krise die Opposition an den Kabinettstisch holen“: So habe er das gemacht, sagt der Sieger am Montagmittag – und zu Merz neben ihm gewandt: „Vielleicht ist das euer Anliegen bei der Ampel?“
Das ist frech; ein bisschen. Aber wer mit 43,4 Prozent gewinnt – darf manches. Und was hat Günther am Morgen auf die Frage gesagt, ob er schon wieder nüchtern sei? „Nö.“Aber anders als fast alles in diesen Tagen muss das nicht ganz so ernst genommen werden.