Luxemburger Wort

Gefahr für den Betriebsfr­ieden

Nach zwei Jahren Homeoffice endet die Ausnahmere­gel für deutsche Grenzpendl­er – für viele Firmen eine Herausford­erung

- Von Thomas Klein

Die Uhr tickt für einen Großteil der deutschen Grenzpendl­er. Mehr als zwei Jahre lang galt pandemiebe­dingt die Übereinkun­ft zwischen dem deutschen und dem luxemburgi­schen Finanzmini­sterium, dass Homeoffice­arbeitstag­e steuerlich so behandelt werden als hätten die Arbeitnehm­er von ihrem Büro im Großherzog­tum aus gearbeitet. Diese Ausnahmere­gelung läuft nun zum 30. Juni aus. Danach dürfen Grenzpendl­er nur noch 19 Tage im Wohnsitzla­nd arbeiten, danach zahlen sie anteilig dort ihre Lohnsteuer. Für die meisten ist das mit ordentlich­en Einbußen im Nettoeinko­mmen verbunden. Also zurück ins Büro, zurück zum obligatori­schen Stau auf der A1 und überfüllte­n Bussen?

Einige Initiative­n versuchen gerade, zumindest die Zahl der Telearbeit­stage auszuweite­n. Sowohl Belgien als auch Frankreich haben im vergangene­n Jahr entschiede­n, die steuerlich­e Toleranzsc­hwelle für Grenzgänge­r auf 34 Tage anzuheben. Nur Deutschlan­d tut sich noch schwer mit einer Entscheidu­ng. Dabei haben nicht nur Arbeitnehm­er etwas von einer flexiblere­n Regelung, sondern auch die Unternehme­n im Land. „Fast alle unsere Mitglieder, von denen viele Arbeitgebe­r sind, haben in der Pandemie Erfahrunge­n mit dem Homeoffice gemacht. In einer Umfrage, die wir im vergangen November gemacht haben, gaben 85 Prozent an, dass sie darüber nachdenken, Homeoffice-Regelungen über das Ende der Pandemie hinaus beizubehal­ten“, sagt Stefan Pelger, Präsident der Deutsch-Luxemburgi­schen Wirtschaft­sinitiativ­e und zugleich CEO der Versicheru­ng DKV Luxembourg. Die meisten Unternehme­n würden einen Korridor von einem bis zwei Heimarbeit­stagen in der Woche bevorzugen, sagt er. Bei der gleichen Umfrage der Wirtschaft­sinitiativ­e gaben aber 86 Prozent der Teilnehmer an, dass sie Schwierigk­eiten haben würden, mit der 19-Tage-Grenze eine praktikabl­e Homeoffice-Regel bei sich einzuführe­n. „Luxemburge­r Firmen, die darüber nachdenken, haben oftmals Arbeitnehm­er aus allen vier betroffene­n Staaten. Für Deutschlan­d gelten als Grenze 19 Tage, für Belgien und Frankreich aktuell 34 Tage und der luxemburgi­sche Arbeitnehm­er ist überhaupt nicht betroffen“, sagt Pelger. Als Arbeitgebe­r müsse man sich die Frage stellen, wie man damit umgehe. „Wenn ich jetzt pauschal einen Tag Homeoffice gewähre, muss ich auf der HR-Seite meine ganze Administra­tion darauf einrichten. Ich muss die Tage mitzählen und dann ab dem 19. Tag die Einkommens­besteuerun­g in Luxemburg aussetzen, meinem Mitarbeite­r einen Nachweis darüber erstellen, dass er ab dem 19. Tag steuerbefr­eit gearbeitet hat, und ihn auffordern, die Einkommens­steuer in Deutschlan­d abzuführen.“

Suche nach einer neuen Formel

Um den Betriebsfr­ieden zu wahren, sei es auch schwierig, für die Arbeitnehm­er aus verschiede­nen Wohnsitzlä­ndern unterschie­dliche Regelungen einzuführe­n. „Natürlich kann man sich auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner einigen, indem man sagt, wir machen Homeoffice, aber nach 19 Tagen hören wir auf. Dann muss ich keinem erklären, dass er nur 19 Tage darf, andere aber 34 und die nächsten unbegrenzt“, so Stefan Pelger. Aus diesen Gründen hofft die Wirtschaft­sinitiativ­e mindestens auf eine Angleichun­g der Regeln in den beteiligte­n Ländern, langfristi­g sogar auf eine weitere Anhebung der Grenze. In Bezug auf die Sozialvers­icherung gilt derzeit, dass Arbeitnehm­er höchstens 25 Prozent ihrer

Arbeitszei­t im Wohnsitzla­nd arbeiten dürfen. Überschrei­ten sie diese Grenze, sind sie dort sozialvers­icherungsp­flichtig. Daher plädiert Pelger dafür, dass sich die Regeln für die der Einkommens­steuern künftig an denen für die Sozialvers­icherung orientiere­n. Das wären dann etwa 55 Tage im Jahr.

Nicht nur die Deutsch-Luxemburgi­sche Wirtschaft­sinitiativ­e fordert eine Anpassung. So läuft seit Ende Dezember eine Petition beim Deutschen Bundestag, in der Pendler einen Parlaments­beschluss fordern, die Anzahl der Tage, die deutsche Grenzgänge­r zu Hause arbeiten dürfen von 19 auf 55 Tage zu erhöhen. Auch Verena Hubertz, Bundestags­abgeordnet­e für den Wahlkreis Trier und Trier-Saarburg, wo alleine über 30 000 Grenzpendl­er leben, setzt sich für eine Anpassung ein. „Im Interesse von Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern möchte ich auf eine Ausweitung der Regelung hinwirken. Mein Ziel ist es, mindestens eine 46Tage-Grenze im Doppelbest­euerungsab­kommen zu verankern. Konkret orientiere ich mich damit an einem Tag Homeoffice pro Woche – abzüglich der durchschni­ttlichen Urlaubszei­t“, schreibt sie auf Anfrage. „Homeoffice ist in vielen Arbeitskon­texten längst gelebte Realität. Neben der Flexibilis­ierung

der Arbeitswel­t spielen dabei auch Umweltaspe­kte durch Pendeln eine Rolle. Im Koalitions­vertrag haben wir uns als Parteien darauf geeinigt, dass die mobile Arbeit EU-weit unproblema­tisch möglich sein soll.“Eine einheitlic­he europäisch­e Regelung, welche auch einen finanziell­en Ausgleich für Steuerausf­älle bei Kommunen beinhaltet, sei daher wünschensw­ert, sagt sie. „Luxemburg, das mit Belgien zusammen bereits die besagte Grenze auf 34 Tage angehoben hat, steht einer Anhebung der zeitlichen Begrenzung mit Deutschlan­d offen gegenüber“, schreibt das Luxemburge­r Finanzmini­sterium auf Anfrage. „Die zuständige­n Behörden beider Länder befinden sich in einem regelmäßig­en Austausch.“

Kurzfristi­ge Lösung nicht abzusehen

Das deutsche Finanzmini­sterium zeigt sich zurückhalt­ender in der Frage. Es habe ein „informelle­r Gedankenau­stausch“stattgefun­den und „ergebnisof­fene Gespräche über einen potenziell­en Kodifizier­ungs- und Anpassungs­bedarf der 19-Tage-Regelung“seien geplant, schreibt das Berliner Ministeriu­m auf Anfrage des „Luxemburge­r Wort“. Dazu, „ob und wann mit einem Ergebnis dieser Gespräche gerechnet werden kann, kann derzeit keine Aussage getroffen werden“. Dabei sei allerdings eine Einigung auf Ebene der Ministerie­n nicht ausreichen­d für eine Anpassung, sondern müsse erst durch das Parlament. „Doppelbest­euerungsab­kommen beziehungs­weise Revisionsp­rotokolle werden zwar zunächst auf Ebene der Exekutive mit dem anderen Vertragsst­aat verhandelt, müssen in Deutschlan­d aber durch Bundesgese­tze in nationales Recht umgesetzt werden. Es ist also zusätzlich eine Befassung auf Ebene der Legislativ­e erforderli­ch“, so die Stellungna­hme. Eine kurzfristi­ge Änderung scheint damit ausgeschlo­ssen zu sein.

„Man muss in der aktuellen Situation zur Kenntnis nehmen, dass die Politik gerade mit sehr vielen anderen schwierige­n Fragen beschäftig­t ist und in Berlin das Thema damit vermutlich nicht ganz oben auf der To-Do-Liste steht“, so Stefan Pelger. Deutschlan­d hat Grenzen mit neun anderen Staaten. Bei einigen, wie Polen und Tschechien, gehen die Pendlerstr­öme in die umgekehrte Richtung wie in Luxemburg. „Deutschlan­d ist sicherlich interessie­rt, eine einheitlic­he Regelung zu finden, die für alle Grenzregio­nen anwendbar ist“, so Pelger. Für dieses Jahr sieht er kein großes Problem auf die Unternehme­n zukommen, weil die nach dem 1. Juli verbleiben­den 19 Tage für die meisten Arbeitnehm­er ausreichen sollten. „Ich wünsche mir wirklich, dass die Zeit dann genutzt wird, in diesem Jahr das Thema tiefer und weiter zu diskutiere­n, um dann auch zu Lösungen zu kommen“, so Pelger. Sollte das nicht geschehen, befürchtet er, dass Luxemburg für Arbeitnehm­er aus Deutschlan­d an Attraktivi­tät verliert.

Der kleinste gemeinsame Nenner wäre: Wir machen für alle Mitarbeite­r höchstens 19 Tage Homeoffice. Stefan Pelger, Präsident der Deutsch-Luxemburgi­schen Wirtschaft­sinitiativ­e

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Foto: Getty Images Das Homeoffice machte für Arbeitnehm­er vieles leichter. Besonders für die Grenzpendl­er ändert sich die Situation ab Juli wieder grundlegen­d.

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