Gefahr für den Betriebsfrieden
Nach zwei Jahren Homeoffice endet die Ausnahmeregel für deutsche Grenzpendler – für viele Firmen eine Herausforderung
Die Uhr tickt für einen Großteil der deutschen Grenzpendler. Mehr als zwei Jahre lang galt pandemiebedingt die Übereinkunft zwischen dem deutschen und dem luxemburgischen Finanzministerium, dass Homeofficearbeitstage steuerlich so behandelt werden als hätten die Arbeitnehmer von ihrem Büro im Großherzogtum aus gearbeitet. Diese Ausnahmeregelung läuft nun zum 30. Juni aus. Danach dürfen Grenzpendler nur noch 19 Tage im Wohnsitzland arbeiten, danach zahlen sie anteilig dort ihre Lohnsteuer. Für die meisten ist das mit ordentlichen Einbußen im Nettoeinkommen verbunden. Also zurück ins Büro, zurück zum obligatorischen Stau auf der A1 und überfüllten Bussen?
Einige Initiativen versuchen gerade, zumindest die Zahl der Telearbeitstage auszuweiten. Sowohl Belgien als auch Frankreich haben im vergangenen Jahr entschieden, die steuerliche Toleranzschwelle für Grenzgänger auf 34 Tage anzuheben. Nur Deutschland tut sich noch schwer mit einer Entscheidung. Dabei haben nicht nur Arbeitnehmer etwas von einer flexibleren Regelung, sondern auch die Unternehmen im Land. „Fast alle unsere Mitglieder, von denen viele Arbeitgeber sind, haben in der Pandemie Erfahrungen mit dem Homeoffice gemacht. In einer Umfrage, die wir im vergangen November gemacht haben, gaben 85 Prozent an, dass sie darüber nachdenken, Homeoffice-Regelungen über das Ende der Pandemie hinaus beizubehalten“, sagt Stefan Pelger, Präsident der Deutsch-Luxemburgischen Wirtschaftsinitiative und zugleich CEO der Versicherung DKV Luxembourg. Die meisten Unternehmen würden einen Korridor von einem bis zwei Heimarbeitstagen in der Woche bevorzugen, sagt er. Bei der gleichen Umfrage der Wirtschaftsinitiative gaben aber 86 Prozent der Teilnehmer an, dass sie Schwierigkeiten haben würden, mit der 19-Tage-Grenze eine praktikable Homeoffice-Regel bei sich einzuführen. „Luxemburger Firmen, die darüber nachdenken, haben oftmals Arbeitnehmer aus allen vier betroffenen Staaten. Für Deutschland gelten als Grenze 19 Tage, für Belgien und Frankreich aktuell 34 Tage und der luxemburgische Arbeitnehmer ist überhaupt nicht betroffen“, sagt Pelger. Als Arbeitgeber müsse man sich die Frage stellen, wie man damit umgehe. „Wenn ich jetzt pauschal einen Tag Homeoffice gewähre, muss ich auf der HR-Seite meine ganze Administration darauf einrichten. Ich muss die Tage mitzählen und dann ab dem 19. Tag die Einkommensbesteuerung in Luxemburg aussetzen, meinem Mitarbeiter einen Nachweis darüber erstellen, dass er ab dem 19. Tag steuerbefreit gearbeitet hat, und ihn auffordern, die Einkommenssteuer in Deutschland abzuführen.“
Suche nach einer neuen Formel
Um den Betriebsfrieden zu wahren, sei es auch schwierig, für die Arbeitnehmer aus verschiedenen Wohnsitzländern unterschiedliche Regelungen einzuführen. „Natürlich kann man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, indem man sagt, wir machen Homeoffice, aber nach 19 Tagen hören wir auf. Dann muss ich keinem erklären, dass er nur 19 Tage darf, andere aber 34 und die nächsten unbegrenzt“, so Stefan Pelger. Aus diesen Gründen hofft die Wirtschaftsinitiative mindestens auf eine Angleichung der Regeln in den beteiligten Ländern, langfristig sogar auf eine weitere Anhebung der Grenze. In Bezug auf die Sozialversicherung gilt derzeit, dass Arbeitnehmer höchstens 25 Prozent ihrer
Arbeitszeit im Wohnsitzland arbeiten dürfen. Überschreiten sie diese Grenze, sind sie dort sozialversicherungspflichtig. Daher plädiert Pelger dafür, dass sich die Regeln für die der Einkommenssteuern künftig an denen für die Sozialversicherung orientieren. Das wären dann etwa 55 Tage im Jahr.
Nicht nur die Deutsch-Luxemburgische Wirtschaftsinitiative fordert eine Anpassung. So läuft seit Ende Dezember eine Petition beim Deutschen Bundestag, in der Pendler einen Parlamentsbeschluss fordern, die Anzahl der Tage, die deutsche Grenzgänger zu Hause arbeiten dürfen von 19 auf 55 Tage zu erhöhen. Auch Verena Hubertz, Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Trier und Trier-Saarburg, wo alleine über 30 000 Grenzpendler leben, setzt sich für eine Anpassung ein. „Im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern möchte ich auf eine Ausweitung der Regelung hinwirken. Mein Ziel ist es, mindestens eine 46Tage-Grenze im Doppelbesteuerungsabkommen zu verankern. Konkret orientiere ich mich damit an einem Tag Homeoffice pro Woche – abzüglich der durchschnittlichen Urlaubszeit“, schreibt sie auf Anfrage. „Homeoffice ist in vielen Arbeitskontexten längst gelebte Realität. Neben der Flexibilisierung
der Arbeitswelt spielen dabei auch Umweltaspekte durch Pendeln eine Rolle. Im Koalitionsvertrag haben wir uns als Parteien darauf geeinigt, dass die mobile Arbeit EU-weit unproblematisch möglich sein soll.“Eine einheitliche europäische Regelung, welche auch einen finanziellen Ausgleich für Steuerausfälle bei Kommunen beinhaltet, sei daher wünschenswert, sagt sie. „Luxemburg, das mit Belgien zusammen bereits die besagte Grenze auf 34 Tage angehoben hat, steht einer Anhebung der zeitlichen Begrenzung mit Deutschland offen gegenüber“, schreibt das Luxemburger Finanzministerium auf Anfrage. „Die zuständigen Behörden beider Länder befinden sich in einem regelmäßigen Austausch.“
Kurzfristige Lösung nicht abzusehen
Das deutsche Finanzministerium zeigt sich zurückhaltender in der Frage. Es habe ein „informeller Gedankenaustausch“stattgefunden und „ergebnisoffene Gespräche über einen potenziellen Kodifizierungs- und Anpassungsbedarf der 19-Tage-Regelung“seien geplant, schreibt das Berliner Ministerium auf Anfrage des „Luxemburger Wort“. Dazu, „ob und wann mit einem Ergebnis dieser Gespräche gerechnet werden kann, kann derzeit keine Aussage getroffen werden“. Dabei sei allerdings eine Einigung auf Ebene der Ministerien nicht ausreichend für eine Anpassung, sondern müsse erst durch das Parlament. „Doppelbesteuerungsabkommen beziehungsweise Revisionsprotokolle werden zwar zunächst auf Ebene der Exekutive mit dem anderen Vertragsstaat verhandelt, müssen in Deutschland aber durch Bundesgesetze in nationales Recht umgesetzt werden. Es ist also zusätzlich eine Befassung auf Ebene der Legislative erforderlich“, so die Stellungnahme. Eine kurzfristige Änderung scheint damit ausgeschlossen zu sein.
„Man muss in der aktuellen Situation zur Kenntnis nehmen, dass die Politik gerade mit sehr vielen anderen schwierigen Fragen beschäftigt ist und in Berlin das Thema damit vermutlich nicht ganz oben auf der To-Do-Liste steht“, so Stefan Pelger. Deutschland hat Grenzen mit neun anderen Staaten. Bei einigen, wie Polen und Tschechien, gehen die Pendlerströme in die umgekehrte Richtung wie in Luxemburg. „Deutschland ist sicherlich interessiert, eine einheitliche Regelung zu finden, die für alle Grenzregionen anwendbar ist“, so Pelger. Für dieses Jahr sieht er kein großes Problem auf die Unternehmen zukommen, weil die nach dem 1. Juli verbleibenden 19 Tage für die meisten Arbeitnehmer ausreichen sollten. „Ich wünsche mir wirklich, dass die Zeit dann genutzt wird, in diesem Jahr das Thema tiefer und weiter zu diskutieren, um dann auch zu Lösungen zu kommen“, so Pelger. Sollte das nicht geschehen, befürchtet er, dass Luxemburg für Arbeitnehmer aus Deutschland an Attraktivität verliert.
Der kleinste gemeinsame Nenner wäre: Wir machen für alle Mitarbeiter höchstens 19 Tage Homeoffice. Stefan Pelger, Präsident der Deutsch-Luxemburgischen Wirtschaftsinitiative