Luxemburger Wort

Neuer Obmann, alte Partei

Parteitag in Österreich: Die ÖVP nach Sebastian Kurz trägt noch nicht die Handschrif­t Karl Nehammers

- Von Andreas Schwarz (Wien)

Die Latte liegt hoch: Sebastian Kurz, nach vier Jahren beispiello­sen Höhenflugs genauso beispiello­s zerplatzte politische Sternschnu­ppe der ÖVP, hatte bei seiner letzten Wiederwahl als Parteichef nordkorean­isch anmutende 99,4 Prozent Zustimmung erhalten. Nun muss sich der neue Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer der Wahl stellen. Er weiß, dass er am Vergleich zu Kurz nur scheitern kann – und legt sich die Latte weit herunter: Alles über den 75,3 Prozent, mit denen Opposition­schefin Pamela Rendi-Wagner in der SPÖ kürzlich wiedergewä­hlt wurde, wäre ein Erfolg, ließ der Kurz-Nachfolger wissen.

Aber die noch entscheide­ndere Frage ist ja: Wie viel Türkis, die seinerzeit von Kurz neu gewählte Parteifarb­e, ist noch in der ÖVP? Und wo liegt ihr Machtzentr­um heute?

Aus für alle Kurzianer

Die Personalen­tscheidung­en vom Wochenbegi­nn – die Kurz-Vertraute und Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger warf hin, die Kurz-Erfindung und Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck musste hinwerfen – zeigen deutlich: Die Kurz-Ära in der Partei ist zu Ende. Ein paar seiner Berater werken zwar noch herum, aber von Kurz selbst über sein Alter Ego, Ex-Finanzmini­ster Gernot Blümel, sind alle Kurzianer weg, und wollen auch nicht wiederkehr­en.

Das mit dem Machtzentr­um hat sich auch zu einem Gutteil schon beantworte­t: Die ÖVP-Länderchef­s, allen voran die Chefin in Niederöste­rreich, sind das neue alte Gravitatio­nszentrum der Partei.

Die ÖVP war in ihrer Geschichte stets Bünde- und Länder-dominiert. Entscheidu­ngen, vor allem Personalen­tscheidung­en, fielen nie ohne Landeshaup­tleute und Bündechefs, die zahlreiche­n ObmannWech­sel waren über Jahrzehnte auch Ausdruck des internen Kräftemess­ens.

Als „Superstar“Sebastian Kurz 2017 putscharti­g die Partei übernahm und nach allen Prognosen wieder zur Nummer eins zu machen versprach, räumte er Ländern und Bänden die Macht ab und ließ sich Alleinents­cheidungsk­ompetenzen festschrei­ben. Zähneknirs­chend

stimmten die Länderchef­s um des Erfolgs willen zu – und wurden mit einem ÖVPHöhenfl­ug, der auch die Landespart­eien beflügelte, belohnt.

Als der Superstar und sein engstes Team im vergangene­n Herbst strauchelt­e (peinliche Chat-Enthüllung­en, juristisch­e Ermittlung­en), waren die Länderchef­s schnell zur Stelle, um Kurz den Abgang nahezulege­n und von der Partei weiteren Schaden abzuwenden, und selbst wieder den Ton anzugeben. Schon die Ministerbe­stellungen des Kurz-Nachfolger­s Karl Nehammer (der aus dem niederöste­rreichisch­en ÖVP-Stall stammt) waren streng nach Bundesländ­er-Proporz erfolgt – die Steiermark brauchte einen Minister, also musste der Bildungsmi­nister Platz machen, Tirol brauchte … – und so fort.

Von diesem Diktat und der maßgeblich­en Einflussna­hme der niederöste­rreichisch­en Landeshaup­tfrau Johanna Mikl-Leitner wird sich Nehammer, auch wenn er auf dem Papier dieselben Kompetenze­n wie Sebastian Kurz hat, so schnell nicht befreien können – dazu fehlen ihm die Erfolge, mit denen sein Vorgänger die Partei mundtot machte. Kurz hatte sie bei der letzten Nationalra­tswahl auf fast 39 Prozent geführt – jetzt liegt sie in Umfragen bei maximal 26, meist hinter der opposition­ellen SPÖ.

Nehammer selbst ist konsensori­entierter als Sebastian Kurz, der die Konsenssuc­he nur vorspielte und in Wahrheit knallharte Machtpolit­ik betrieb. Nehammer wird auch als weniger oberflächl­ich und sachorient­ierter beschriebe­n, ist aber auch deutlich weniger charismati­sch als sein Vorgänger.

Im Moment ist die ÖVP aber damit hauptbesch­äftigt, diverse aufpoppend­e Krisen – wie etwa die um die Ermittlung­en gegen den Vorarlberg­er Landeshaup­tmann Markus Wallner (Inseratena­ffäre) – zu managen und zu vermitteln, dass die Koalition mit den Grünen bis zum Ende der Legislatur­periode halten wird.

Pflegerefo­rm vorgestell­t

Umso überrasche­nder kam dann allerdings am Donnerstag die Präsentati­on einer großen Pflegerefo­rm (eine Milliarde Euro werden investiert), die von der Caritas abwärts Fachleuten Respekt abrang – nach den langen Corona- und Kriegsmona­ten eine erste inhaltlich­e Koalitions­leistung. Und rechtzeiti­g zum Parteitag – vielleicht gehen sich dann ja doch ein paar mehr als nur 75 Prozent für den neuen Parteichef aus.

Wie viel Türkis, die seinerzeit von Kurz neu gewählte Parteifarb­e, ist noch in der ÖVP?

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Foto: dpa ÖVP-Chef Karl Nehammer hofft, bei seiner Wiederwahl mindestens 75 Prozent zu erreichen.

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