Neuer Obmann, alte Partei
Parteitag in Österreich: Die ÖVP nach Sebastian Kurz trägt noch nicht die Handschrift Karl Nehammers
Die Latte liegt hoch: Sebastian Kurz, nach vier Jahren beispiellosen Höhenflugs genauso beispiellos zerplatzte politische Sternschnuppe der ÖVP, hatte bei seiner letzten Wiederwahl als Parteichef nordkoreanisch anmutende 99,4 Prozent Zustimmung erhalten. Nun muss sich der neue Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer der Wahl stellen. Er weiß, dass er am Vergleich zu Kurz nur scheitern kann – und legt sich die Latte weit herunter: Alles über den 75,3 Prozent, mit denen Oppositionschefin Pamela Rendi-Wagner in der SPÖ kürzlich wiedergewählt wurde, wäre ein Erfolg, ließ der Kurz-Nachfolger wissen.
Aber die noch entscheidendere Frage ist ja: Wie viel Türkis, die seinerzeit von Kurz neu gewählte Parteifarbe, ist noch in der ÖVP? Und wo liegt ihr Machtzentrum heute?
Aus für alle Kurzianer
Die Personalentscheidungen vom Wochenbeginn – die Kurz-Vertraute und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger warf hin, die Kurz-Erfindung und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck musste hinwerfen – zeigen deutlich: Die Kurz-Ära in der Partei ist zu Ende. Ein paar seiner Berater werken zwar noch herum, aber von Kurz selbst über sein Alter Ego, Ex-Finanzminister Gernot Blümel, sind alle Kurzianer weg, und wollen auch nicht wiederkehren.
Das mit dem Machtzentrum hat sich auch zu einem Gutteil schon beantwortet: Die ÖVP-Länderchefs, allen voran die Chefin in Niederösterreich, sind das neue alte Gravitationszentrum der Partei.
Die ÖVP war in ihrer Geschichte stets Bünde- und Länder-dominiert. Entscheidungen, vor allem Personalentscheidungen, fielen nie ohne Landeshauptleute und Bündechefs, die zahlreichen ObmannWechsel waren über Jahrzehnte auch Ausdruck des internen Kräftemessens.
Als „Superstar“Sebastian Kurz 2017 putschartig die Partei übernahm und nach allen Prognosen wieder zur Nummer eins zu machen versprach, räumte er Ländern und Bänden die Macht ab und ließ sich Alleinentscheidungskompetenzen festschreiben. Zähneknirschend
stimmten die Länderchefs um des Erfolgs willen zu – und wurden mit einem ÖVPHöhenflug, der auch die Landesparteien beflügelte, belohnt.
Als der Superstar und sein engstes Team im vergangenen Herbst strauchelte (peinliche Chat-Enthüllungen, juristische Ermittlungen), waren die Länderchefs schnell zur Stelle, um Kurz den Abgang nahezulegen und von der Partei weiteren Schaden abzuwenden, und selbst wieder den Ton anzugeben. Schon die Ministerbestellungen des Kurz-Nachfolgers Karl Nehammer (der aus dem niederösterreichischen ÖVP-Stall stammt) waren streng nach Bundesländer-Proporz erfolgt – die Steiermark brauchte einen Minister, also musste der Bildungsminister Platz machen, Tirol brauchte … – und so fort.
Von diesem Diktat und der maßgeblichen Einflussnahme der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wird sich Nehammer, auch wenn er auf dem Papier dieselben Kompetenzen wie Sebastian Kurz hat, so schnell nicht befreien können – dazu fehlen ihm die Erfolge, mit denen sein Vorgänger die Partei mundtot machte. Kurz hatte sie bei der letzten Nationalratswahl auf fast 39 Prozent geführt – jetzt liegt sie in Umfragen bei maximal 26, meist hinter der oppositionellen SPÖ.
Nehammer selbst ist konsensorientierter als Sebastian Kurz, der die Konsenssuche nur vorspielte und in Wahrheit knallharte Machtpolitik betrieb. Nehammer wird auch als weniger oberflächlich und sachorientierter beschrieben, ist aber auch deutlich weniger charismatisch als sein Vorgänger.
Im Moment ist die ÖVP aber damit hauptbeschäftigt, diverse aufpoppende Krisen – wie etwa die um die Ermittlungen gegen den Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (Inseratenaffäre) – zu managen und zu vermitteln, dass die Koalition mit den Grünen bis zum Ende der Legislaturperiode halten wird.
Pflegereform vorgestellt
Umso überraschender kam dann allerdings am Donnerstag die Präsentation einer großen Pflegereform (eine Milliarde Euro werden investiert), die von der Caritas abwärts Fachleuten Respekt abrang – nach den langen Corona- und Kriegsmonaten eine erste inhaltliche Koalitionsleistung. Und rechtzeitig zum Parteitag – vielleicht gehen sich dann ja doch ein paar mehr als nur 75 Prozent für den neuen Parteichef aus.
Wie viel Türkis, die seinerzeit von Kurz neu gewählte Parteifarbe, ist noch in der ÖVP?