Eine verfahrene Situation
Parlamentsbüro hört heute in der Causa Dieschbourg den Verfassungsexperten Luc Heuschling
Heute ist der Jura-Professor an der Universität Luxemburg, Luc Heuschling, Gast der Präsidentenkonferenz und des Parlamentsbüros. Der Verfassungsspezialist soll sich in der Causa der am 22. April zurückgetretenen Umweltministerin Carole Dieschbourg (Déi Gréng) äußern: Sie wollte mit ihrem Rücktritt den Weg frei machen, um von den Strafverfolgungsinstanzen zur Gaardenhaischen-Affäre gehört werden zu können. Präsidentenkonferenz und Parlamentsbüro hatten daraufhin auf Vorschlag der Generalstaatsanwältin Martine Solovieff beschlossen, dass alle Abgeordneten Zugang zur Vorermittlungsakte erhalten und das Parlament über eine Resolution ermöglicht, dass Dieschbourg von der Kriminalpolizei befragt wird.
Gemäß der Artikel 82 und 116 der Verfassung obliegt es ausschließlich dem Parlament, gegen ein Regierungsmitglied zu ermitteln, es zu befragen und anzuklagen. Die Bestimmung stammt noch aus dem Jahr 1868 und wurde aus der belgischen Verfassung übernommen. Sie gilt nach belgischer Jurisprudenz auch für eventuell strafrechtlich relevantes Verhalten in der Amtsausübung eines Ministers, der nicht mehr im Amt ist.
Präzedenzfall Krecké 2012
Das wurde 2012 zudem in einer Chamber-Motion festgehalten. Damals ging es um den schon nicht mehr amtierenden Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP), gegen den die Staatsanwaltschaft in einer Voruntersuchung in der Affäre Wickringen/Liwingen den Verdacht auf Erpressung und versuchte Erpressung vorbrachte. Die Motion stellt fest, dass die Chamber noch zuständig ist, behält aber die Entscheidung zurück, „de ne pas mettre en accusation Monsieur Jeannot Krecké“. Die Akte wurde damit geschlossen – und jede weitere Strafverfolgung auch. Argumentiert wurde damals, dass das Parlament debattieren, Gesetze erlassen und die Regierung politisch kontrollieren soll, dass es in einem Rechtsstaat aber nicht zur Konfusion der Rollen des Parlaments und der Justiz kommen soll. Anklageerhebungen gegen jeden Bürger einschließlich der Regierungsmitglieder sollten im Sinne der Gewaltenteilung der Justiz obliegen. Man regte eine Reform an, die nun mit der aktuellen Verfassungsreform auch erfolgt. Denn während im 19. Jahrhundert befürchtet wurde, dass Minister für jeden Akt mit Klagen von Bürgern überhäuft würden, soll deren Verantwortlichkeit nun gemäß dem 21. Jahrhundert behandelt werden: Sie sollen nur noch minimal vor Anklagen geschützt werden und prinzipiell soll die Staatsanwaltschaft über die Zulässigkeit von Klagen befinden.
Die zweite Lesung des betroffenen Reformteils steht aber noch aus und auch dann dauert es noch sechs Monate, bis die Reform in Kraft tritt. Solange muss aufgrund der derzeitigen Verfassung gehandelt werden und das wirft viele Fragen auf. Denn Artikel 82 der Verfassung sieht vor: „Une loi déterminera les cas de responsabilité, les peines à infliger et le mode de procéder, soit sur l’accusation admise par la Chambre, soit sur la poursuite des parties lésées.“Dieses Gesetz existiert aber genauso wenig wie eine interne Regelung, wie die Chamber genau mit einem solchen Dossier umgehen soll, das sie eigentlich im Detail und im Sinne eines Ermittlungsrichters beeinen handeln müsste, um es dann vor Richterrat zu bringen. Eine solche mise en accusation eines Ministers durch die Chamber gab es in 200 Jahren aber noch nie. Wie also vorgehen?
Dazu hatte sich Heuschling Medien gegenüber mit einer differenzierten Interpretation der Verfassung
geäußert: Das Parlament könne sich durchaus auch für nicht zuständig erklären, weil nicht klar geregelt sei, ob die Artikel auch auf ehemalige Minister anwendbar sind. Es könne auf die Anklage verzichten oder die Prozedur doch noch gesetzlich regeln. Es waren die Grünen, die daraufhin die Anhörung
von Luc Heuschling beantragten. Sehr zum Ärger der CSV, die darin einen Rückzieher sah. Man könne nicht Abgeordneten eine Ermittlungsakte vorlegen und dann plötzlich nicht mehr zuständig sein wollen. „Hier stellen die Mehrheitsparteien eine Entscheidung infrage, die sie vor zehn Tagen mitgetragen haben“, so CoFraktionschef Gilles Roth.
Die Grünen wollen Aufklärung
„Wir wollen nichts ausbremsen, sondern ganz im Gegenteil Aufklärung und dass Carole Dieschbourg, die sich bislang noch gar nicht verteidigen konnte, gehört wird – sonst stehen die Verdächtigungen immer im Raum“, sagt die grüne Fraktionschefin Josée Lorsché. „Sie soll von einer neutralen Stelle befragt werden, schon die Rechtsstaatsprinzipien gebieten, dass sie von derselben Instanz gehört wird wie die anderen Beteiligten.“Wenn das Parlament nun Gericht spielt, bestehe das Risiko, dass Luxemburg vom Europäischen Menschengerichtshof verurteilt wird. Das wäre blamabel. Insofern möchte man sich anhören, was Heuschling vorschlägt.
Lorsché verweist auch darauf, dass 2012 der renommierte belgische Verfassungsexperte Prof. Francis Delpérée nach Luxemburg geladen wurde und man sich drei Monate Zeit mit einer Entscheidung ließ. „Es sollte hier nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Es ist eine heikle Situation und wir sollten uns bemühen, nichts falsch zu machen.“Nicht zuletzt stelle sich die Frage, wie es nach der Anhörung weitergeht. „Wir wollen eine zusätzliche Meinung, was die nächsten konkreten Schritte sein können.“
Belgien hat die Reform übrigens nach Verurteilungen vor dem Europäischen Menschengerichtshof bereits 1994 vollzogen und im Jahr 1998 zudem die Prozedur gesetzlich präzise geregelt.
Wir sollten uns bemühen, nichts falsch zu machen. Josée Lorsché, Déi Gréng