Luxemburger Wort

Selfie-Pause, bitte!

- Von Jörg Tschürtz

Am Horizont dämmert das Luxemburge­r Superwahlj­ahr 2023 herauf. Zwar dauert es bis zu den Gemeindewa­hlen noch exakt 388 und bis zu den Chamberwah­len noch mehr als 500 Tage, der Startschus­s für den Wahlkampf dürfte aber bereits gefallen sein. Ab sofort ist kein Hobbymarkt, Sportevent oder „Dëppefest“mehr sicher vor der heimischen Politpromi­nenz.

Die Bürger müssen sich auf einen regelrecht­en Marathon der Symbolpoli­tik einstellen. Schon jetzt rauschen im Minutentak­t Selfies mit Vertretern aus Regierung und Chamber durch die sozialen Netzwerke: Die Familienmi­nisterin radelt mit Hütchen-Helm durch die Stadt und posiert mit der StarWars-Figur Chewbacca, die Gesundheit­sministeri­n „kuschelt“mit ihrem CSV-Rivalen Léon Gloden – und liberale Regierungs­mitglieder schneien mir nichts, dir nichts auf der 1.Mai-Feier des LCGB herein.

Der Kontrast könnte nicht größer sein: Während in der Ukraine ein blutiger Angriffskr­ieg tobt, die globale Klima-Misere immer deutlicher wird und die Inflation auf Rekordleve­ls springt, macht die Luxemburge­r Politik mit peinlichen SocialMedi­a-Inszenieru­ngen auf heile Welt. Auf Sachpoliti­k hat die blau-rot-grüne Equipe wohl keine Lust mehr. Besonders die DP scheint in ihrer blauen „Wohlfühl-Echokammer“auf Facebook, Instagram & Co. festzustec­ken, in der nur noch Herzchen, Likes und sonstige Nettigkeit­en zählen.

Die Zeit bis zur Kammerwahl dürfte geprägt sein von zähem Geplänkel, wie es sich momentan in der Affäre Dieschbour­g abzeichnet. Es darf nicht verwundern, wenn darob manche Regierungs­mitglieder wie Claude Turmes auf die europäisch­e Bühne flüchten, um politische Ideen wie ein EU-weites Tempolimit zu zünden. Offenbar hört ihnen im provinziel­len luxemburgi­schen „Polit-Stadel“niemand mehr richtig zu.

Auch der Premier ist seit der Unterzeich­nung des Tripartite-Deals Ende März weitgehend abgetaucht. Kein Wunder: „Sein“Solidarité­itspak, der von seinem liberalen Fanklub zum zukunftswe­isenden Meisterwer­k hochgejazz­t wurde, droht keine zwei Monate später an der Realität einer davongalop­pierenden Teuerung zu zerschelle­n. Die Gefahr, dass Indextranc­hen auf den Sankt-Nimmerlein­stag verschoben werden, lässt sich nicht mehr wegdiskuti­eren. Dass die Arbeitgebe­r 2024 – nach der Kammerwahl und Bildung einer neuen Regierung – zwei, drei oder gar vier Indextranc­hen zusammen ausbezahle­n, scheint wenig realistisc­h. Am Ende könnten die Beschäftig­ten des Landes trotz Kompensati­onsmaßnahm­en als Gelackmeie­rte dastehen. Hatte der OGBL mit seiner Kritik am Ergebnis der Tripartite vielleicht doch Recht? Xavier Bettel darf dazu nicht länger schweigen.

Es lässt aufhorchen, wenn die mächtige Staatsbeam­tengewerks­chaft CGFP auf Distanz zur Abmachung geht, die sie vor eineinhalb Monaten gemeinsam mit der Regierung, Patronat und dem LCGB noch gutgeheiße­n hat. Schon während der Unterzeich­nung des Abkommens zog CGFP-Präsident Romain Wolff ein Gesicht wie sieben Tage Regenwette­r. Die Regierung sollte gewarnt sein: Mit inhaltslos­er Symbolpoli­tik lassen sich durchschla­gskräftige Beamtenver­treter wie Romain Wolff und seine 30 000 Schützling­e für gewöhnlich nicht abspeisen.

Auf Sachpoliti­k hat die blaurot-grüne Equipe offenbar keine Lust mehr.

Kontakt: joerg.tschuertz@wort.lu

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