Europas Klimawende wird geopolitisch
Die EU-Kommission schlägt vor, erneuerbare Energien massiv zu fördern, um sich von Importen aus Moskau zu befreien
Die EU-Kommission drängt darauf, die Europäische Union dauerhaft von russischen Energiequellen zu befreien. „As soon as possible“, sagt der EU-Klimakommissar Frans Timmermans.
Wladimir Putins Russland nutze die Energieabhängigkeit der EU immer wieder für geopolitische Ziele, so der Gedankengang in Brüssel, wo diesbezüglich von einer „wirtschaftlichen und politischen Waffe“gesprochen wird. Der Angriffskrieg auf die Ukraine und darauffolgende Schritte aus Moskau, wie den Stopp der Gasexporte Richtung Bulgarien und Polen aus Protest gegen westliche Sanktionen, hätten gezeigt, dass die derzeitige Lage nicht mehr tragbar sei – die EU sei zu einfach erpressbar und finanziere obendrein die russische Kriegsmaschinerie. Noch vor 2030 soll der Staatenbund sich deswegen von russischen fossilen Energiequellen verabschieden.
Brüssel zeichnete gestern drei Wege, um dieses Ziel zu erreichen: den massiven Ausbau von erneuerbaren Energiequellen, die Diversifizierung der Energieimporte und individuelle Sparmaßnahmen. „Erneubare Energiequellen sind dabei das Herz des Plans“, versichert eine Kommissionsquelle.
Zur Idee gehört nämlich auch, die europäische Klimawende (den sogenannten europäischen Green Deal) zu beschleunigen, indem bereits bestehende Pläne deutlich nach oben korrigiert werden. So sollen 45 Prozent der Energie in der EU bis 2030 aus erneuerbaren Quellen kommen, statt wie bisher geplant 40 Prozent. Zugleich wird vorgeschlagen, den Energieverbrauch bis Ende des Jahrzehnts um mindestens 13 Prozent zu senken, statt wie bisher vorgesehen um neun Prozent.
Unter anderem soll sich die Anzahl der Solarstromanlagen den
Entwürfen der EU-Kommission zufolge bis 2028 mehr als verdoppeln. Die Kommission will etwa, dass alle industriellen Gebäude mit Solarzellen bestückt werden, Neubauten sollen folgen. Zudem schlägt die Kommission eine Gesetzesinitiative für kürzere Genehmigungsverfahren vor. „Solarenergie wird bald unsere wichtigste Stromquelle sein“, wird in der Kommission geschwärmt.
Die Kommission setzt zudem auf klimafreundlichen Wasserstoff, der etwa aus Ökostrom produziert wird und Gas teilweise ersetzen kann.
„Grob gesehen, liegt die EUKommission richtig“, analysiert Luxemburgs Energieminister Claude Turmes (Déi Gréng), der den Fokus auf erneuerbare Energiequellen begrüßt. Gleichzeitig warnt Turmes aber vor einer neuen Abhängigkeit im Energiebereich – nämlich von China. Der Energieminister vermisst nämlich Pläne, um die Produktion von photovoltaischer Technologie nach Europa zu bringen. In diesem Bereich verlasse die EU sich zu sehr auf die chinesische Produktion, so der Regierungspolitiker weiter, der deswegen vorteilhafte Kredite für lokale Industrielle vorschlägt.
Turmes will EU-Tempolimit
Die luxemburgische Regierung befürchtet außerdem, dass die kurzfristige Suche nach alternativen Energiequellen zu „Überinvestitionen“in neue Infrastruktur für fossile Rohstoffe, wie etwa dem Flüssiggas, führen könnte. „Wir müssen kohärent sein“, sagt Turmes, der auf die grünen Pläne der EU verweist. In Brüssel hält man diese Sorge allerdings für übertrieben. Dieses Problem habe man durch „europäisches Denken“gelöst: Dadurch, dass mögliche Engpässe regional und nicht national in Angriff genommen werden, reduziert man die Investitionen in Flüssiggasinfrastruktur auf das Nötigste – denn die transnationale Vernetzung verhindert, dass unnötig gebaut wird.
Luxemburgs Energieminister drängt gleichzeitig auf eine EUweite Energiesparkampagne, wie sie von der internationalen Energieagentur (IEA) angedacht wurde. Die Agentur schlägt beispielsweise vor, die Heizung herunterzudrehen, Tempolimits einzuführen, auf Klimaanlagen zu verzichten, Home-Office zu fördern oder öfters das Fahrrad für Kurzstrecken zu benutzen. Die Kommission findet diese Ideen ausgezeichnet, meint aber, dass sie keine Kompetenzen habe, um diesbezüglich EU-weite Gesetze zu schreiben. Deswegen setzt Brüssel eher auf die verstärke Zusammenarbeit mit lokalen Behörden, um derartige Kampagnen in den Mitgliedstaaten in die Wege zu leiten.
Das Geld für die Umsetzung der Reformen soll unter anderem aus dem Topf für die EU-Agrarpolitik oder aus dem Kohäsionsfonds für regionale Entwicklung kommen. Zusätzliches Geld könnte demnach durch die Versteigerung von neuen Zertifikaten aus dem Emissionshandel (ETS) hereinkommen. In dem System müssen etwa Stromproduzenten für den Ausstoß klimaschädlicher Gase Zertifikate kaufen. Insgesamt sollen rund 300 Milliarden dafür verfügbar gemacht werden. Die Vergabe der Mittel soll laut dem Entwurf über das im Zuge der Corona-Krise geschaffene Wiederaufbauinstrument (RRF) organisiert werden.