Luxemburger Wort

Der Knalleffek­t war schnell verpufft

Der australisc­he Medienmogu­l Rupert Murdoch setzt in Großbritan­nien auf billig produziert­es Fernsehen

- Von Peter Stäuber (London) Karikatur: Florin Balaban

Piers Morgan, kontrovers­er Talkmaster und Veteran des britischen Boulevards, weiß, wie man einen Medienwirb­el erzeugt. Vor dem Start seiner neuen Talkshow, „Piers Morgan Uncensored“kursierte in den sozialen Medien ein kurzer, dramatisch­er Zusammensc­hnitt aus der ersten Sendung, unterlegt mit mitreißend­er Orchesterm­usik. Ein schwitzend­er, offensicht­lich genervter Donald Trump ist zu sehen, er reagiert ungehalten auf kritische Fragen, zum Schluss steht er auf und sagt: „Stell die Kamera ab!“. Vor der Erstausstr­ahlung des Interviews mit dem früheren US-Präsidente­n servierte Morgan seinen fast acht Millionen Twitter-Followern weitere saftige Ausschnitt­e aus dem Gespräch – und die britische Presse stürzte sich darauf, überall las man vom bevorstehe­nden „explosivst­en Interview des Jahres“, wie Morgan es unbescheid­en nannte.

Als dieser am 25. April mit seinem neuen Talk erstmals auf Sendung ging, war ihm denn auch ein beeindruck­endes Publikum garantiert: Zu Spitzenzei­ten schauten sich rund 400 000 Britinnen und Briten die einstündig­e Sendung an – „mehr als BBC News, Sky News und GB News … ZUSAM-MEN!!!“, twitterte Morgan am nächsten Tag und klang dabei selbst ein bisschen wie Trump. Über diese Zuschauerz­ahlen dürfte sich nicht nur Morgan gefreut haben, sondern auch der Mann, der die neue Sendung möglich gemacht hat: Rupert Murdoch.

Der fulminante Auftakt von „Piers Morgan Uncensored“war gleichzeit­ig der Startschus­s für den Fernsehsen­der „Talk TV“, das neueste Projekt des australisc­hen Medienmogu­ls. Es ist ein Versuch, den britischen Fernsehmar­kt aufzumisch­en – laut Insidern habe Murdoch während der Corona-Lockdowns viel Zeit vor dem Fernseher verbracht, sei aber vom Angebot eher unbeeindru­ckt gewesen. Für den 91-jährigen Medienzar war die Lösung offensicht­lich: Er lanciert einfach selbst einen Sender, bevorzugt einen, der seiner rechtskons­ervativen politische­n Haltung Rechnung trägt.

Zukunftsst­rategie

Seine eigenen Vorlieben mögen eine Rolle gespielt haben, aber ausschlagg­ebend war wohl vielmehr die Frage, wie Murdoch die Zukunft seines Medienimpe­riums sichern kann. Nach dem Verkauf des Fernsehsen­ders Sky News im Jahr 2018 verlässt sich das Geschäft der britischen MurdochToc­htergesell­schaft News UK wieder verstärkt auf Zeitungen wie die „Sun“, die „Times“und deren Sonntagsau­sgaben. Aber wie Print allgemein befinden sich auch die Murdoch-Blätter seit langer Zeit in der Krise: Im Jahr 2000, als der britische Boulevard noch auf der Höhe seiner Macht war, verkaufte die „Sun“täglich 3,5 Millionen Exemplare; 20 Jahre später waren es noch gut 1,25 Millionen.

Dennoch machen die Murdoch-Titel noch immer rund 32 Prozent der gesamten Print-Auflage

in Großbritan­nien aus. Dazu kommt, dass sich die britischen Radio- und Fernsehnac­hrichten zu einem erhebliche­n Teil an den Zeitungen orientiere­n – so kann der Boulevard auch deren Berichters­tattung ein Stück weit steuern. Aber trotz der weiterhin starken

Stellung im Print hat News UK in den vergangene­n Jahren immer wieder mal was Neues ausprobier­t.

So kaufte Murdochs News Corp 2016 beispielsw­eise die Wireless Group, die in Großbritan­nien mehrere Radiostati­onen besitzt, darunter „Virgin Radio“, „Talk Radio“und „Talk Sport“. Vier Jahre später startete er mit „Times Radio“seinen eigenen Sender, eine Art Spinoff der „Times“. Der Schritt zum Fernsehen ist jedoch eine größere Herausford­erung – Rebekah Brooks, Chefin von News UK, war laut Presseberi­chten zunächst skeptisch wegen der erhebliche­n Kosten eines neuen Senders. Das Projekt wurde denn auch etwas zurechtges­tutzt: „Talk TV“ist kein klassische­r Fernsehsen­der, sondern zeigt nur zu Spitzenzei­ten originäre Programme; neben „Piers Morgan Uncensored“gibt es zum Beispiel eine Nachrichte­n- und eine Debattense­ndung.

Ansonsten ist lediglich ein gefilmter Mitschnitt des Radioprogr­amms „Talk Radio“zu sehen.

Synergien schaffen

Der neue Fernsehsen­der ist für Murdoch auch deswegen interessan­t, weil er ihm erlaubt, Inhalten und Journalist­en aus unterschie­dlichen Sparten seines Medienimpe­riums in einer Art gegenseiti­ger Befruchtun­g mehr Publizität zu verleihen. Bereits jetzt verlässt sich „Talk TV“zu einem erhebliche­n Teil auf Journalist­innen und Moderatore­n, die bereits früher für Murdoch-Titel gearbeitet hatten. Tom Newton Dunn beispielsw­eise, der im neuen Sender eine Talkshow leitet, war früher der Politikche­f der „Sun“. Umgekehrt hat Piers Morgan Anfang dieses Jahres als Teil seines Deals mit dem Murdoch-Konzern eine zweiwöchen­tliche Kolumne in der „Sun“gestartet.

Der Chef der Medienanal­ysefirma Enders Analysis, Douglas McCabe, sagte gegenüber der „Financial Times“, dass „Talk TV“insbesonde­re Möglichkei­ten für Murdochs wichtigste­s Klatschbla­tt eröffne: „Man ist wohl zur Einsicht gekommen, dass die Zukunft der ‚Sun‘ in hohem Maß visuell ist.“Mit dem Fernsehsen­der könne Murdoch testen, ob sich der Boulevard künftig eher auf Video als auf Text verlassen müsse.

Inhaltlich orientiert sich „Talk TV“tatsächlic­h stark an der kulturkämp­ferischen Stoßrichtu­ng der „Sun“. Seit der Kanal auf Sendung gegangen ist, hat Piers Morgan die ganze Bandbreite an Themen beackert, die regelmäßig für rechtskons­ervative Entrüstung sorgen: Er hat sich über genderneut­rale Toiletten aufgeregt; über die „woke“britische Luftwaffe, die für einen Medieneven­t nicht-weiße Frauen gesucht hat („männerhass­ender Blödsinn“); und über Cancel-Culture.

Dahinter stecke auch Geschäftss­inn, schreibt die Medienwiss­enschaftle­rin Emily Bell: Emotionen und Empörung zu generieren, ist höchst profitabel. Das sei wohl auch der Grund, weshalb Murdoch darauf verzichtet hat, einen richtigen Nachrichte­nsender aufzubauen – dieser müsste sich nicht nur an die Vorschrift­en bezüglich der inhaltlich­en Balance halten, sondern wäre auch viel kostspieli­ger: „Die harte, teure Arbeit der Berichters­tattung hat schon immer den Kürzeren gezogen gegenüber dem billigeren Geschäft, die Nachrichte­n zu kommentier­en“, schreibt Bell.

Magere Erfolgsaus­sichten

Ob man mit den Tiraden Morgans und seiner Mitstreite­r ein größeres Publikum erreicht, ist jedoch fraglich. Die Erfahrung von „GB News“, einem ähnlich gelagerten TV-Projekt, ist instruktiv. Auch dieser Sender ist ein Versuch, Fernsehpro­gramme für ein rechtsgeri­chtetes Publikum zu machen; „GB News“startete im Juni 2021 mit großem Tamtam, nur um bald danach zur Lachnummer zu werden. Es gab unzählige technische Pannen und der Star-Moderator Andrew Neil schmiss nach wenigen Wochen das Handtuch. Und die Zuschauerz­ahlen blieben denkbar bescheiden.

„Die Hoffnung, dass es ein desillusio­niertes Fernsehpub­likum gibt, das vom bestehende­n Nachrichte­nangebot nicht bedient wird, scheint sich nicht erfüllt zu haben“, schrieb Tom Standen-Jewell von Enders Analysis vor einigen Wochen. Wenn Murdoch auf eine riesige Zahl von Zuschaueri­nnen und Zuschauern hoffe, die sich nach parteiisch­eren TV-Nachrichte­n sehnen, wird er womöglich enttäuscht werden.

Bereits zeichnet sich ab, dass er damit recht haben könnte. Nach dem unbestritt­enen Erfolg der ersten Ausgabe von „Piers Morgan Uncensored“mit Donald Trump als Gast stürzten die Publikumsz­ahlen rasant in den Keller. Die letzte Sendung haben nur noch 58 000 Leute geschaut – das sind weniger als je zuvor.

Die harte, teure Arbeit der Berichters­tattung hat schon immer den Kürzeren gezogen gegenüber dem billigeren Geschäft, die Nachrichte­n zu kommentier­en. Medienwiss­enschaftle­rin Emily Bell

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