Der Knalleffekt war schnell verpufft
Der australische Medienmogul Rupert Murdoch setzt in Großbritannien auf billig produziertes Fernsehen
Piers Morgan, kontroverser Talkmaster und Veteran des britischen Boulevards, weiß, wie man einen Medienwirbel erzeugt. Vor dem Start seiner neuen Talkshow, „Piers Morgan Uncensored“kursierte in den sozialen Medien ein kurzer, dramatischer Zusammenschnitt aus der ersten Sendung, unterlegt mit mitreißender Orchestermusik. Ein schwitzender, offensichtlich genervter Donald Trump ist zu sehen, er reagiert ungehalten auf kritische Fragen, zum Schluss steht er auf und sagt: „Stell die Kamera ab!“. Vor der Erstausstrahlung des Interviews mit dem früheren US-Präsidenten servierte Morgan seinen fast acht Millionen Twitter-Followern weitere saftige Ausschnitte aus dem Gespräch – und die britische Presse stürzte sich darauf, überall las man vom bevorstehenden „explosivsten Interview des Jahres“, wie Morgan es unbescheiden nannte.
Als dieser am 25. April mit seinem neuen Talk erstmals auf Sendung ging, war ihm denn auch ein beeindruckendes Publikum garantiert: Zu Spitzenzeiten schauten sich rund 400 000 Britinnen und Briten die einstündige Sendung an – „mehr als BBC News, Sky News und GB News … ZUSAM-MEN!!!“, twitterte Morgan am nächsten Tag und klang dabei selbst ein bisschen wie Trump. Über diese Zuschauerzahlen dürfte sich nicht nur Morgan gefreut haben, sondern auch der Mann, der die neue Sendung möglich gemacht hat: Rupert Murdoch.
Der fulminante Auftakt von „Piers Morgan Uncensored“war gleichzeitig der Startschuss für den Fernsehsender „Talk TV“, das neueste Projekt des australischen Medienmoguls. Es ist ein Versuch, den britischen Fernsehmarkt aufzumischen – laut Insidern habe Murdoch während der Corona-Lockdowns viel Zeit vor dem Fernseher verbracht, sei aber vom Angebot eher unbeeindruckt gewesen. Für den 91-jährigen Medienzar war die Lösung offensichtlich: Er lanciert einfach selbst einen Sender, bevorzugt einen, der seiner rechtskonservativen politischen Haltung Rechnung trägt.
Zukunftsstrategie
Seine eigenen Vorlieben mögen eine Rolle gespielt haben, aber ausschlaggebend war wohl vielmehr die Frage, wie Murdoch die Zukunft seines Medienimperiums sichern kann. Nach dem Verkauf des Fernsehsenders Sky News im Jahr 2018 verlässt sich das Geschäft der britischen MurdochTochtergesellschaft News UK wieder verstärkt auf Zeitungen wie die „Sun“, die „Times“und deren Sonntagsausgaben. Aber wie Print allgemein befinden sich auch die Murdoch-Blätter seit langer Zeit in der Krise: Im Jahr 2000, als der britische Boulevard noch auf der Höhe seiner Macht war, verkaufte die „Sun“täglich 3,5 Millionen Exemplare; 20 Jahre später waren es noch gut 1,25 Millionen.
Dennoch machen die Murdoch-Titel noch immer rund 32 Prozent der gesamten Print-Auflage
in Großbritannien aus. Dazu kommt, dass sich die britischen Radio- und Fernsehnachrichten zu einem erheblichen Teil an den Zeitungen orientieren – so kann der Boulevard auch deren Berichterstattung ein Stück weit steuern. Aber trotz der weiterhin starken
Stellung im Print hat News UK in den vergangenen Jahren immer wieder mal was Neues ausprobiert.
So kaufte Murdochs News Corp 2016 beispielsweise die Wireless Group, die in Großbritannien mehrere Radiostationen besitzt, darunter „Virgin Radio“, „Talk Radio“und „Talk Sport“. Vier Jahre später startete er mit „Times Radio“seinen eigenen Sender, eine Art Spinoff der „Times“. Der Schritt zum Fernsehen ist jedoch eine größere Herausforderung – Rebekah Brooks, Chefin von News UK, war laut Presseberichten zunächst skeptisch wegen der erheblichen Kosten eines neuen Senders. Das Projekt wurde denn auch etwas zurechtgestutzt: „Talk TV“ist kein klassischer Fernsehsender, sondern zeigt nur zu Spitzenzeiten originäre Programme; neben „Piers Morgan Uncensored“gibt es zum Beispiel eine Nachrichten- und eine Debattensendung.
Ansonsten ist lediglich ein gefilmter Mitschnitt des Radioprogramms „Talk Radio“zu sehen.
Synergien schaffen
Der neue Fernsehsender ist für Murdoch auch deswegen interessant, weil er ihm erlaubt, Inhalten und Journalisten aus unterschiedlichen Sparten seines Medienimperiums in einer Art gegenseitiger Befruchtung mehr Publizität zu verleihen. Bereits jetzt verlässt sich „Talk TV“zu einem erheblichen Teil auf Journalistinnen und Moderatoren, die bereits früher für Murdoch-Titel gearbeitet hatten. Tom Newton Dunn beispielsweise, der im neuen Sender eine Talkshow leitet, war früher der Politikchef der „Sun“. Umgekehrt hat Piers Morgan Anfang dieses Jahres als Teil seines Deals mit dem Murdoch-Konzern eine zweiwöchentliche Kolumne in der „Sun“gestartet.
Der Chef der Medienanalysefirma Enders Analysis, Douglas McCabe, sagte gegenüber der „Financial Times“, dass „Talk TV“insbesondere Möglichkeiten für Murdochs wichtigstes Klatschblatt eröffne: „Man ist wohl zur Einsicht gekommen, dass die Zukunft der ‚Sun‘ in hohem Maß visuell ist.“Mit dem Fernsehsender könne Murdoch testen, ob sich der Boulevard künftig eher auf Video als auf Text verlassen müsse.
Inhaltlich orientiert sich „Talk TV“tatsächlich stark an der kulturkämpferischen Stoßrichtung der „Sun“. Seit der Kanal auf Sendung gegangen ist, hat Piers Morgan die ganze Bandbreite an Themen beackert, die regelmäßig für rechtskonservative Entrüstung sorgen: Er hat sich über genderneutrale Toiletten aufgeregt; über die „woke“britische Luftwaffe, die für einen Medienevent nicht-weiße Frauen gesucht hat („männerhassender Blödsinn“); und über Cancel-Culture.
Dahinter stecke auch Geschäftssinn, schreibt die Medienwissenschaftlerin Emily Bell: Emotionen und Empörung zu generieren, ist höchst profitabel. Das sei wohl auch der Grund, weshalb Murdoch darauf verzichtet hat, einen richtigen Nachrichtensender aufzubauen – dieser müsste sich nicht nur an die Vorschriften bezüglich der inhaltlichen Balance halten, sondern wäre auch viel kostspieliger: „Die harte, teure Arbeit der Berichterstattung hat schon immer den Kürzeren gezogen gegenüber dem billigeren Geschäft, die Nachrichten zu kommentieren“, schreibt Bell.
Magere Erfolgsaussichten
Ob man mit den Tiraden Morgans und seiner Mitstreiter ein größeres Publikum erreicht, ist jedoch fraglich. Die Erfahrung von „GB News“, einem ähnlich gelagerten TV-Projekt, ist instruktiv. Auch dieser Sender ist ein Versuch, Fernsehprogramme für ein rechtsgerichtetes Publikum zu machen; „GB News“startete im Juni 2021 mit großem Tamtam, nur um bald danach zur Lachnummer zu werden. Es gab unzählige technische Pannen und der Star-Moderator Andrew Neil schmiss nach wenigen Wochen das Handtuch. Und die Zuschauerzahlen blieben denkbar bescheiden.
„Die Hoffnung, dass es ein desillusioniertes Fernsehpublikum gibt, das vom bestehenden Nachrichtenangebot nicht bedient wird, scheint sich nicht erfüllt zu haben“, schrieb Tom Standen-Jewell von Enders Analysis vor einigen Wochen. Wenn Murdoch auf eine riesige Zahl von Zuschauerinnen und Zuschauern hoffe, die sich nach parteiischeren TV-Nachrichten sehnen, wird er womöglich enttäuscht werden.
Bereits zeichnet sich ab, dass er damit recht haben könnte. Nach dem unbestrittenen Erfolg der ersten Ausgabe von „Piers Morgan Uncensored“mit Donald Trump als Gast stürzten die Publikumszahlen rasant in den Keller. Die letzte Sendung haben nur noch 58 000 Leute geschaut – das sind weniger als je zuvor.
Die harte, teure Arbeit der Berichterstattung hat schon immer den Kürzeren gezogen gegenüber dem billigeren Geschäft, die Nachrichten zu kommentieren. Medienwissenschaftlerin Emily Bell