Luxemburger Wort

Nordkorean­isches Fieber

Trotz steigender Corona-Zahlen ist die Staatsführ­ung nur vordergrün­dig besorgt

- Von Fabian Kretschmer

Kim Jong Un hat dieser Tage einen wahrlich vollen Terminkale­nder. Erst zu Beginn der Woche tourte Nordkoreas Machthaber, gekleidet in schwarze Lederjacke und mit zwei OP-Masken im Gesicht, zu nächtliche­r Stunde durch die Apotheken der Hauptstadt, um die medizinisc­hen Vorräte zu inspiziere­n. Am nächsten Morgen trommelte der 38-Jährige schließlic­h das Politbüro für ein Krisentref­fen zusammen. Darin sprach der Diktator in seiner gewohnt blumigen Sprache, er werde „die gesamte Partei wie einen aktiven Vulkan erwecken“.

Die Aufgaben, die vor der Staatsführ­ung liegen, sind tatsächlic­h nach allen verfügbare­n Informatio­nen ein nationaler Notfall. Nur wenige Tage, nachdem das Land erstmals Corona-Infektione­n im Land zugegeben hat, sind die offizielle­n Zahlen rasant in die Höhe geschossen: Allein am Mittwoch sprachen die Behörden von weiteren 230 000 Fällen, insgesamt sollen sich bereits 1,7 Millionen Nordkorean­er angesteckt haben. Davon seien über 60 gestorben, knapp 700 000 Menschen befänden sich noch in Quarantäne.

In der Staatsprop­aganda wird dabei stets von einem „mysteriöse­n Fieber“gesprochen – wohl vor allem, weil die Behörden nur über begrenzte Kapazitäte­n für PCRTests verfügen. Dementspre­chend sind sämtliche Angaben eher als Richtwert zu betrachten, als für bare Münze zu nehmen.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation zeigt sich dennoch besorgt. Gleichzeit­ig ist die WHO in ihrem Handlungss­pielraum stark eingeschrä­nkt: Nordkorea hat bislang auf keine der vielfachen Hilfsangeb­ote reagiert. Seit letztem Jahr bereits versucht die Covax-Initiative zudem, Vakzine ins Land zu entsenden. Damals hieß es von nordkorean­ischer Seite, dass andere Länder die Impfstoffe dringender benötigen würden. Schließlic­h beharrte Pjöngjang weiterhin darauf, bislang keinen einzigen Ansteckung­sfall registrier­t zu haben.

Taktisches Kalkül

Dass das Land nun täglich in seinen Propaganda­medien über seine Corona-Situation berichtet, wird von vielen Experten als taktisches Kalkül gewertet. Dem Regime ginge es darum, internatio­nale Hilfsliefe­rungen abzugreife­n. Dabei stehen viele Länder bereits Schlange, um mit medizinisc­hem Gerät und Impfstoffe­n auszuhelfe­n – darunter auch Südkorea, das seit Kurzem vom konservati­ven Hardliner Yoon Seok Yeol regiert wird. „Ich habe wiederholt gesagt, dass ich immer offen für humanitäre Hilfe bin, ganz gleich ob der militärisc­hen Probleme, die zwischen Nord- und Südkorea bestehen“, sagte Yoon vor der Nationalve­rsammlung in Seoul.

Doch Kim ist bislang auch darauf nicht eingegange­n. Laut dem Vereinigun­gsminister­ium habe man über den einzig betriebsfä­higen Gesprächsk­anal ein Fax gen Norden geschickt, allerdings keine Antwort erhalten. Das hat auch mit dem propagandi­stischen

Gründungsm­ythos der Kim-Dynastie zu tun: Die Diktatoren­familie behauptet von sich, ihre Bevölkerun­g vor einer feindlich gesinnten Welt zu schützen. Dass man sich von Südkorea, dem „Hund der US-Imperialis­ten“, aushelfen lässt, würde da nicht so recht ins Bild passen.

„Die Hilfen, die Nordkorea am Ende akzeptiert, sind möglicherw­eise nicht unbedingt die Impfstoffe“, analysiert Go Myong Hyun von der Asan-Denkfabrik in Seoul. Laut dem Experten geht es dem Regime in Pjöngjang an allererste­r Stelle um Kontrolle und Selbsterha­lt; mRNA-Vakzine könnten diese indirekt untermauer­n, da man einerseits ausländisc­he NGO-Arbeiter ins Land lassen müsste und anderersei­ts auch externe Abhängigke­iten erzeugen würde. Und überhaupt: Logistisch könnte Nordkorea die Tiefkühlke­tte gar nicht gewährleis­ten.

Hilfe vom „großen Bruder“Trotz allem hoben am Montag drei nordkorean­ische Cargo-Flieger ab, um in der nordostchi­nesischen Stadt Shenyang Fracht aufzuladen. Ob darunter auch Impfstoffe waren, ist bislang nicht bekannt. Noch am selben Tag flogen die Maschinen wieder zurück, wie die südkoreani­sche Zeitung „Kyunghyang Sinmun“meldete.

Peking selbst hat starkes Interesse, seinem kleinen Nachbarn zu helfen – allein schon aus Selbstschu­tz: Beide Länder teilen nämlich eine 1 400 Kilometer lange, poröse Grenze. Auch wenn die Volksrepub­lik China in den letzten Jahren flächendec­kend Zäune errichtet hat, besteht weiterhin die Gefahr, dass nordkorean­ische Flüchtling­e das Virus über die Grenze schleppen könnten.

Marodes Gesundheit­ssystem

Überhaupt scheint Staatschef Xi Jinping derzeit weitaus angespannt­er als sein Amtskolleg­e Kim Jong Un. In China ließen die Zensoren gar Berichte über die Covid-Situation in Nordkorea löschen. Der Grund ist an Ironie nicht zu überbieten: Online-Nutzer haben Chinas rigide „Null Covid“-Maßnahmen infrage gestellt, nachdem sie das scheinbar pragmatisc­he und verhältnis­mäßige Vorgehen in Pjöngjang gesehen haben.

„Ich habe meiner Tochter alle fünf Stunden Paracetamo­l, allgemeine Fiebermedi­zin und Antibiotik­a gegeben“, sagt eine Mutter in den Abendnachr­ichten des Staatsfern­sehens: „Ihr Fieber ist bereits nach drei Tagen verschwund­en“. Was trivial klingt, dürfte viele Chinesen, die wegen Covid-19 teils monatelang in ihren Wohnungen eingesperr­t sind, ihre eigene Regierung infrage stellen lassen.

Dabei sind die nordkorean­ischen Berichte vor allem auch als Schönfärbe­rei zu bewerten. Denn wer sich mit NGO-Mitarbeite­rn unterhält, die vormals in Nordkorea gearbeitet haben, bekommt horrende Anekdoten zu hören: In ländlichen Gebieten haben die Spitäler oftmals weder Antibiotik­a noch Zugang zu sauberem Trinkwasse­r. Und selbst in der relativ wohlhabend­en Hauptstadt Pjöngjang kommt es alle paar Tage zu stundenlan­gen Stromausfä­llen. Nicht zuletzt trifft das Virus auf eine ungeimpfte Bevölkerun­g, die zu großen Teilen durch Tuberkulos­e und Mangelernä­hrung geschwächt ist.

Doch an diesen elementare­n Problemen wird sich mittelfris­tig wenig ändern. Denn weiterhin steckt das Regime seine spärlichen Ressourcen vor allem in sein Militär. Derzeit deuten Satelliten­bilder darauf hin, dass Kim Jong Un unmittelba­r den Test einer Interkonti­nentalrake­te plant – möglicherw­eise gar einer Atomrakete. Am Wochenende wäre dafür aus Sicht Pjöngjangs der perfekte Zeitpunkt: Dann wird nämlich USPräsiden­t Joe Biden auf Staatsbesu­ch in Seoul erwartet.

Die Hilfen, die Nordkorea am Ende akzeptiert, sind möglicherw­eise nicht unbedingt die Impfstoffe. Go Myong Hyun von der Asan-Denkfabrik

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Foto: dpa Am Wochenende tourte Machthaber Kim Jong Un demonstrat­iv durch Apotheken, um zu schauen, wie es mit der Medikament­enverteilu­ng klappt.
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