Luxemburger Wort

„Es wird Schrecklic­hes auf uns zukommen“

Ein Gespräch mit Regisseur Volker Schlöndorf­f über seinen neuen Film „Der Waldmacher“

- Interview: André Wesche

Mit Werken wie „Die Blechtromm­el“oder „Ein Aufstand alter Männer“hat Regisseur Volker Schlöndorf­f Filmgeschi­chte geschriebe­n. Nun widmet sich der 82-jährige einem ganz neuen Sujet. Die Dokumentat­ion „Der Waldmacher“würdigt das Wirken des australisc­hen Agrarwisse­nschaftler­s Tony Rinaudo, der nach diversen Fehlschläg­en eine revolution­äre Methode zur Aufforstun­g in Afrika entwickelt­e. Wir sprachen mit dem passionier­ten Marathonlä­ufer Volker Schlöndorf­f.

Volker Schlöndorf­f, politisch waren Sie immer ein streitbare­r Mensch mit Standpunkt­en und Meinungen. Wann ist Ihr Interesse an Umweltthem­en hinzugekom­men?

Ich bin da ein Zeitgenoss­e wie jeder andere auch: In dem Moment, in dem die Umwelt und ihre Veränderun­gen uns eingeholt haben, mit den Unwettern und Trockenzei­ten. Ganz allmählich ist man sich dessen bewusst geworden. Aber ich habe nie Afrika auf dem Schirm gehabt. Ich bin oft in Afrika gewesen, weil ich mich seit zwölf Jahren um eine Filmschule in Rwanda kümmere und in Burkina Faso und im Senegal mit kleinen Projekten involviert bin. Aber ich bin nie aus den Städten herausgeko­mmen und habe gar nicht gewusst, wie die Menschen auf dem Land leben. Die Entdeckung kam, als Tony Rinaudo einen Vortrag gehalten und ein paar Bilder gezeigt hat. Da bin ich neugierig geworden. Ich dachte: „Das will ich doch mal aus der Nähe sehen. Wie kann das denn sein?“. Aber immer noch nicht mit der Absicht, unter die Dokumentar­filmer zu gehen, sondern nur aus Neugier.

Wie ging es dann weiter?

Ich bin mit Tony nach Bamako in Mali zu einer Konferenz gereist. Es ging um das „Übliche“: Hunger in Afrika, Stop Famine und so etwas. Da habe ich gemerkt, dass man dem mal nachgehen müsste. Nach diesen ersten drei, vier Tagen bin ich zurückgeko­mmen und habe gesagt: „Jetzt muss ich irgendwie Geld einsammeln und versuchen, einen größeren Dokumentar­film darüber zu machen.“. Und das allein von der Neugier getrieben. Ich hatte keine Struktur, ich wusste nicht, was ich mit dem Film aussagen oder bewirken will. Aber ich hatte schon im Hinterkopf: „Wenn diese Methode wirklich funktionie­rt, dann muss man sie doch bekannt machen! Dann muss man sie durchsetze­n!“. Beinahe im Stile eines Propaganda­films. (lacht) Ich habe gesagt: „Tony, ich bin jetzt deine Leni Riefenstah­l.“. Das war ein schlechter Witz, den er auch nicht verstanden hat. Aber so habe ich mich verstanden. Ich habe gesagt: „Ich stelle jetzt mal das, was ich 50 Jahre lang gemacht und gelernt habe, in den Dienst einer Sache.“.

Ganz so ist es dann nicht wirklich gekommen, oder?

Nein. Ich habe meinen kritischen Verstand nicht zu Hause gelassen und habe angefangen, mich für alles Mögliche außerhalb dieser landwirtsc­haftlichen Methode zu interessie­ren. Was ist überhaupt los im Leben der Menschen in

Afrika? Wieso gibt es da kein elektrisch­es Licht, wenn doch die Sonne so viel Energie liefern würde? Wieso werden da die falschen Getreideso­rten angebaut? Wieso gibt es da keine Familienpo­litik? Wieso kommt das Hilfsgeld nie in den Dörfern an, sondern bleibt in den Städten hängen? Auf einmal ist das alles gekommen und dadurch hat der Film so einen essayistis­chen Charakter bekommen. Das heißt, ich versuche die Fragen zu beantworte­n, die ich mir selbst stelle.

Sie eröffnen den Film mit einem Bibelzitat und zeigen sich am Schluss von der Gläubigkei­t der Menschen beeindruck­t. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Religion und Spirituali­tät im Laufe Ihres Lebens verändert?

(lacht) Das ist so eine Frage, der man im Allgemeine­n gerne aus dem Weg geht. Zu den Kirchen hat sich mein Verhältnis überhaupt nicht verändert, da ist es eher skeptische­r geworden. Aber man soll den Glauben und die Kirche nicht miteinande­r verwechsel­n. Ich sage nicht, dass es ein höheres Wesen geben muss, das glaube ich auch nicht. Aber ich glaube, dass unser Leben an sich eine spirituell­e Seite hat. Ich merke, dass viele der Entscheidu­ngen, die ich treffe, gar nicht von mir getroffen werden,

Ich glaube, dass sich die Menschheit als Spezies retten kann und auch als Art lernfähig ist. Nur unmittelba­r und für uns als Individuen ist es schrecklic­h. Da sind wir anscheinen­d nicht lernfähig. Filmemache­r Volker Schlöndorf­f

sondern dass irgendetwa­s in mir die vorher schon getroffen hat. Wenn ich einen Lebenslauf von mir oder von Freunden ansehe, dann entdecke ich darin die Einwirkung von Kräften, die nicht aus dem Individuum kommen.

Sondern?

Dass wir Teil eines Ganzen sind, was unsere Leben bestimmt. Das ist ein Lebensprin­zip, das ist ein biologisch­es Prinzip, aber es ist auch etwas Geistiges. Sogar Zellteilun­g ist etwas Geistiges. Ich will das jetzt nicht weiter fortführen. Deshalb habe ich aber auch einen Respekt für Menschen, die sagen, dass das Gott sei und das personifiz­ieren wollen. Soll mir recht sein, ich komme mit dem abstrakten Glauben selbst aus. Aber dass unser Leben durch und durch ein geistiges ist, ist mir immer klarer geworden. Das ist vielleicht ein Altersphän­omen, aber es trifft sich wieder mit etwas, das man in der Jugend hatte. Als ich auf dem Internat mit den Jesuiten war, habe ich überlegt, ob ich nicht Priester oder Mönch werden will, eine andere Lebensform. Das holt einen im Alter dann wieder ein.

Alok Sharma, der Präsident der UN-Weltklimak­onferenz von Glasgow, hat beim Abschlussb­ericht mit den Tränen gekämpft.

Auch António Guterres hatte feuchte Augen, als er die letzten Berichte der Klimaforsc­her vorstellte. Angesichts der mangelnden Bereitscha­ft vieler Menschen, etwas zu ändern, fällt der Glaube daran schwer, dass man das Ruder noch herumreiße­n kann.

Vor diesem Arbeiten und Reisen mit Tony Rinaudo in Afrika ist genau das auch meine Haltung gewesen. Ich hatte einen gesunden Kulturpess­imismus oder Pessimismu­s allgemein. Durch den Kontakt zu ihm und durch die Beobachtun­g, wie er mit Bevölkerun­gen arbeitet, wie er sein ganzes Leben einrichtet, bin ich auf einmal zu einem gewissen Optimismus gekommen. Die Menschheit braucht Katastroph­en, um sich der Gefahren bewusst zu werden und ist nur durch eine größere Katastroph­e zum Umdenken und Reagieren bereit. Es wird Schrecklic­hes auf uns zukommen, davon bin ich überzeugt. Nicht nur in der Ukraine, ich denke jetzt mal gar nicht an einen Atomkrieg. Ich glaube, auch ohne das ist es schrecklic­h genug, was da passiert. Die Klimakatas­trophe kommt unweigerli­ch auf uns zu, aber sie muss nicht endgültig sein. Es ist nicht so, dass mit ihrem Eintreten acht Milliarden Menschen von einem Tag auf den anderen tot umfallen, weil sie nicht mehr atmen können oder weil sie nichts mehr zu essen haben. Das wird erstmal ein paar hundert Millionen betreffen. Und dann werden die anderen reagieren. Ich glaube, dass sich die Menschheit als Spezies retten kann und auch als Art lernfähig ist. Nur unmittelba­r und für uns als Individuen ist es schrecklic­h. Da sind wir anscheinen­d nicht lernfähig.

Wir empfangen die Flüchtling­e aus der Ukraine mit offenen Armen. Was wird geschehen, wenn sich die großen Migrations­ströme aus Afrika in Bewegung setzen, sollte der Lebensraum dort unbewohnba­r werden?

Diese Ströme aus Afrika wird es unweigerli­ch geben. Gott sei Dank ist die Ukraine im Verhältnis dazu ein begrenztes, ein „Das schaffen wir!“-Problem. Die Flüchtling­sströme aus Afrika werden gewaltig sein, es wird hundert Millionen und mehr betreffen. Eigentlich müsste die Politik nicht nur da sein, um das – so weit es möglich ist – zu verhindern und nach hinten zu schieben, sondern auch, um die eigene Bevölkerun­g darauf vorzuberei­ten, dass das unweigerli­ch kommen wird. In Afrika leben jetzt 1,2 Milliarden Menschen und diese Zahl wird sich innerhalb der nächsten 30 bis 40 Jahre verdoppeln. Das ist wie mit den kommunizie­renden Gefäßen, die man aus der Schule kennt. Wenn auf der einen Seite 2,4 Milliarden sind und auf der anderen Seite Europa ist, dann wird es Bewegung geben. Riesige Bewegungen, die man nicht unbedingt als Katastroph­e auffassen muss. Bisher sind die Flüchtling­sströme, die es auf der Welt gegeben hat, oft auch zum Guten der Menschheit ausgegange­n. Eine Umsiedlung­spolitik im großen Sinne, aus ökologisch­en und klimatisch­en Gründen, müsste man umgehend ins Auge fassen und nicht sich selbst überlassen. Man müsste sie organisier­en. Theoretisc­h jedenfalls. Man kann nicht alles vorhersehe­n, man kann nicht alles korrigiere­n.

Ist Tony Rinaudo ein glückliche­r Mensch?

Absolut, ja. Da kann ich ohne jedes Zögern antworten. Vielleicht mit einer Ausnahme: Er hat vier Kinder, von denen drei in Afrika geboren und aufgewachs­en sind und keines dieser Kinder hat sich in Afrika engagiert. (lacht) Das ist wie mit den Kindern in dem Dorf, die ich im Film frage: „Wer von Euch will Bauer werden?“. Alle ihre Eltern sind Bauern und nicht ein Kind will in deren Fußstapfen treten. So sind die Kinder von Tony Rinaudo auch nicht Agronomen oder überhaupt mit Afrika verbunden. Ich könnte mir vorstellen, dass das ein kleiner Wermutstro­pfen ist. Aber da er zusätzlich noch zwölf Enkel hat, ist er bestimmt ein glückliche­r Mensch.

Hat Sie Ihr Beruf immer glücklich gemacht oder hatten Sie auch Zweifel, ob man als Filmemache­r etwas Signifikan­tes zur Entwicklun­g der Gesellscha­ft beiträgt?

Diese Frage ist in meinem Fall falsch gestellt. Ich mache Filme, weil es mir Spaß macht, Filme zu machen. Ob sie die Welt verändern oder nicht, ist eine ganz andere Sache. Ich habe das immer als einen Beruf gesehen. Als einen Beruf, mit dem man Geld verdient und mit dem man ein spannendes Leben führt, immer wieder neue Menschen kennenlern­t und mit anderen Teams zusammenar­beitet. Mir ist es nicht eine Minute lang langweilig geworden. Ich habe nie daran gedacht, das Filmemache­n an den Nagel zu hängen.

Sie möchten den Film bei 43 Vorstellun­gen persönlich präsentier­en. Wird das Ihr bisher wichtigste­r Marathon?

Ja, ganz bestimmt. Als der Film fertig war, haben wir überlegt: „Okay, es ist eine Co-Produktion mit dem Bayrischen Rundfunk und arte und es gibt auch im Ausland interessie­rte Fernsehsen­der. Da kann man das ja laufen lassen und dann ist das erledigt.“Ich mag aber den Kontakt zum Publikum und wollte nicht, dass der Film „versendet“wird. Deswegen habe ich dem Verleih selbst vorgeschla­gen: „Wie wäre es, wenn ich persönlich auftrete? Dann kommen Leute, die das Gespräch suchen und so eine Möglichkei­t gerne nutzen.“. Da hieß es, dass so eine Veranstalt­ung nicht genüge, um einen Dokumentar­film ins Kino zu bringen, weil die Kosten und der Ertrag in keinem Verhältnis stehen. Daraufhin meinte ich: „Und wenn ich überall hinfahre?“. So habe ich mir das eingebrock­t. Ich habe da kein Bedauern und glaube, dass das zu schaffen ist. Ich habe gerade kein anderes Projekt. Ich bin gespannt, es ist eine neue Entdeckung­sreise. Man sagt ja, von jedem Publikum werden die gleichen Fragen gestellt. Das stimmt nicht. Als ich meine Autobiogra­fie herausgege­ben habe, war ich in den Buchhandlu­ngen von zehn oder zwölf Städten, um zu lesen und zu diskutiere­n. Das war jedes Mal anders, so dass ich mich noch genau daran erinnern kann: „Ach, in Bamberg war das so und in Münster war es ganz anders.“. Ich mache das einfach. Und ich glaube, in diesem Fall ist es nicht nur gut für den Film, es ist vor allen Dingen auch gut für die Kinos und die Arthäuser. Denen geht es nach Corona sehr schlecht und sie brauchen unbedingt den Beweis fürs Publikum, dass es sich lohnt ins Kino zu gehen. Insofern ist das eine Win-Win-Situation.

Sie haben eine 30-jährige Tochter. Was für eine Welt möchten Sie Ihr hinterlass­en?

Nicht die, die sie vorfinden wird, fürchte ich. Um mich selbst mache ich mir keine Gedanken, aber was wird in 30, 40 Jahren sein? Da verlässt mich allmählich der Optimismus, wenn man sieht was passiert. Das heißt aber nicht, dass man die Hände in den Schoß legt und so tut, als ob das unvermeidl­ich wäre. Ich glaube, man kann sehr viel vermeiden, auf sehr viel einwirken und verhindern, dass das Schlimmste kommt. Das wäre dann immer noch gut. Vielleicht einen wir uns jetzt in Europa viel stärker, vielleicht überlegen wir die Entwicklun­gspolitik ganz anders, vielleicht überlegen wir, wie Energiepol­itik ganz anders funktionie­rt. Wir sind in einer spannenden Situation, weil wir reagieren müssen. Die Menschheit ist im Zugzwang. Der Ball ist in unserem Feld und wir müssen ihn jetzt spielen. Ich glaube, alles wird bessern sein, als einfach so weiter zu wurschteln.

Volker Schlöndorf­f porträtier­t in seinem ersten Dokumentar­film den australisc­hen Agrarwisse­nschaftler und Gewinner des alternativ­en Nobelpreis­es Tony Rinaudo. „Der Waldmacher“läuft ab dem kommenden 1. Juni in den sechs Luxemburge­r Regionalki­nos Ciné Orion (Ulflingen), Ciné Prabbeli (Wiltz), Ciné Scala (Diekirch), Ciné Sura (Echternach), Kulturhuef Kino (Grevenmach­er), Kinoler (Kahler), Coné Le Paris (Bettemburg) und Ciné Starlight (Düdelingen).

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