„Es wird Schreckliches auf uns zukommen“
Ein Gespräch mit Regisseur Volker Schlöndorff über seinen neuen Film „Der Waldmacher“
Mit Werken wie „Die Blechtrommel“oder „Ein Aufstand alter Männer“hat Regisseur Volker Schlöndorff Filmgeschichte geschrieben. Nun widmet sich der 82-jährige einem ganz neuen Sujet. Die Dokumentation „Der Waldmacher“würdigt das Wirken des australischen Agrarwissenschaftlers Tony Rinaudo, der nach diversen Fehlschlägen eine revolutionäre Methode zur Aufforstung in Afrika entwickelte. Wir sprachen mit dem passionierten Marathonläufer Volker Schlöndorff.
Volker Schlöndorff, politisch waren Sie immer ein streitbarer Mensch mit Standpunkten und Meinungen. Wann ist Ihr Interesse an Umweltthemen hinzugekommen?
Ich bin da ein Zeitgenosse wie jeder andere auch: In dem Moment, in dem die Umwelt und ihre Veränderungen uns eingeholt haben, mit den Unwettern und Trockenzeiten. Ganz allmählich ist man sich dessen bewusst geworden. Aber ich habe nie Afrika auf dem Schirm gehabt. Ich bin oft in Afrika gewesen, weil ich mich seit zwölf Jahren um eine Filmschule in Rwanda kümmere und in Burkina Faso und im Senegal mit kleinen Projekten involviert bin. Aber ich bin nie aus den Städten herausgekommen und habe gar nicht gewusst, wie die Menschen auf dem Land leben. Die Entdeckung kam, als Tony Rinaudo einen Vortrag gehalten und ein paar Bilder gezeigt hat. Da bin ich neugierig geworden. Ich dachte: „Das will ich doch mal aus der Nähe sehen. Wie kann das denn sein?“. Aber immer noch nicht mit der Absicht, unter die Dokumentarfilmer zu gehen, sondern nur aus Neugier.
Wie ging es dann weiter?
Ich bin mit Tony nach Bamako in Mali zu einer Konferenz gereist. Es ging um das „Übliche“: Hunger in Afrika, Stop Famine und so etwas. Da habe ich gemerkt, dass man dem mal nachgehen müsste. Nach diesen ersten drei, vier Tagen bin ich zurückgekommen und habe gesagt: „Jetzt muss ich irgendwie Geld einsammeln und versuchen, einen größeren Dokumentarfilm darüber zu machen.“. Und das allein von der Neugier getrieben. Ich hatte keine Struktur, ich wusste nicht, was ich mit dem Film aussagen oder bewirken will. Aber ich hatte schon im Hinterkopf: „Wenn diese Methode wirklich funktioniert, dann muss man sie doch bekannt machen! Dann muss man sie durchsetzen!“. Beinahe im Stile eines Propagandafilms. (lacht) Ich habe gesagt: „Tony, ich bin jetzt deine Leni Riefenstahl.“. Das war ein schlechter Witz, den er auch nicht verstanden hat. Aber so habe ich mich verstanden. Ich habe gesagt: „Ich stelle jetzt mal das, was ich 50 Jahre lang gemacht und gelernt habe, in den Dienst einer Sache.“.
Ganz so ist es dann nicht wirklich gekommen, oder?
Nein. Ich habe meinen kritischen Verstand nicht zu Hause gelassen und habe angefangen, mich für alles Mögliche außerhalb dieser landwirtschaftlichen Methode zu interessieren. Was ist überhaupt los im Leben der Menschen in
Afrika? Wieso gibt es da kein elektrisches Licht, wenn doch die Sonne so viel Energie liefern würde? Wieso werden da die falschen Getreidesorten angebaut? Wieso gibt es da keine Familienpolitik? Wieso kommt das Hilfsgeld nie in den Dörfern an, sondern bleibt in den Städten hängen? Auf einmal ist das alles gekommen und dadurch hat der Film so einen essayistischen Charakter bekommen. Das heißt, ich versuche die Fragen zu beantworten, die ich mir selbst stelle.
Sie eröffnen den Film mit einem Bibelzitat und zeigen sich am Schluss von der Gläubigkeit der Menschen beeindruckt. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Religion und Spiritualität im Laufe Ihres Lebens verändert?
(lacht) Das ist so eine Frage, der man im Allgemeinen gerne aus dem Weg geht. Zu den Kirchen hat sich mein Verhältnis überhaupt nicht verändert, da ist es eher skeptischer geworden. Aber man soll den Glauben und die Kirche nicht miteinander verwechseln. Ich sage nicht, dass es ein höheres Wesen geben muss, das glaube ich auch nicht. Aber ich glaube, dass unser Leben an sich eine spirituelle Seite hat. Ich merke, dass viele der Entscheidungen, die ich treffe, gar nicht von mir getroffen werden,
Ich glaube, dass sich die Menschheit als Spezies retten kann und auch als Art lernfähig ist. Nur unmittelbar und für uns als Individuen ist es schrecklich. Da sind wir anscheinend nicht lernfähig. Filmemacher Volker Schlöndorff
sondern dass irgendetwas in mir die vorher schon getroffen hat. Wenn ich einen Lebenslauf von mir oder von Freunden ansehe, dann entdecke ich darin die Einwirkung von Kräften, die nicht aus dem Individuum kommen.
Sondern?
Dass wir Teil eines Ganzen sind, was unsere Leben bestimmt. Das ist ein Lebensprinzip, das ist ein biologisches Prinzip, aber es ist auch etwas Geistiges. Sogar Zellteilung ist etwas Geistiges. Ich will das jetzt nicht weiter fortführen. Deshalb habe ich aber auch einen Respekt für Menschen, die sagen, dass das Gott sei und das personifizieren wollen. Soll mir recht sein, ich komme mit dem abstrakten Glauben selbst aus. Aber dass unser Leben durch und durch ein geistiges ist, ist mir immer klarer geworden. Das ist vielleicht ein Altersphänomen, aber es trifft sich wieder mit etwas, das man in der Jugend hatte. Als ich auf dem Internat mit den Jesuiten war, habe ich überlegt, ob ich nicht Priester oder Mönch werden will, eine andere Lebensform. Das holt einen im Alter dann wieder ein.
Alok Sharma, der Präsident der UN-Weltklimakonferenz von Glasgow, hat beim Abschlussbericht mit den Tränen gekämpft.
Auch António Guterres hatte feuchte Augen, als er die letzten Berichte der Klimaforscher vorstellte. Angesichts der mangelnden Bereitschaft vieler Menschen, etwas zu ändern, fällt der Glaube daran schwer, dass man das Ruder noch herumreißen kann.
Vor diesem Arbeiten und Reisen mit Tony Rinaudo in Afrika ist genau das auch meine Haltung gewesen. Ich hatte einen gesunden Kulturpessimismus oder Pessimismus allgemein. Durch den Kontakt zu ihm und durch die Beobachtung, wie er mit Bevölkerungen arbeitet, wie er sein ganzes Leben einrichtet, bin ich auf einmal zu einem gewissen Optimismus gekommen. Die Menschheit braucht Katastrophen, um sich der Gefahren bewusst zu werden und ist nur durch eine größere Katastrophe zum Umdenken und Reagieren bereit. Es wird Schreckliches auf uns zukommen, davon bin ich überzeugt. Nicht nur in der Ukraine, ich denke jetzt mal gar nicht an einen Atomkrieg. Ich glaube, auch ohne das ist es schrecklich genug, was da passiert. Die Klimakatastrophe kommt unweigerlich auf uns zu, aber sie muss nicht endgültig sein. Es ist nicht so, dass mit ihrem Eintreten acht Milliarden Menschen von einem Tag auf den anderen tot umfallen, weil sie nicht mehr atmen können oder weil sie nichts mehr zu essen haben. Das wird erstmal ein paar hundert Millionen betreffen. Und dann werden die anderen reagieren. Ich glaube, dass sich die Menschheit als Spezies retten kann und auch als Art lernfähig ist. Nur unmittelbar und für uns als Individuen ist es schrecklich. Da sind wir anscheinend nicht lernfähig.
Wir empfangen die Flüchtlinge aus der Ukraine mit offenen Armen. Was wird geschehen, wenn sich die großen Migrationsströme aus Afrika in Bewegung setzen, sollte der Lebensraum dort unbewohnbar werden?
Diese Ströme aus Afrika wird es unweigerlich geben. Gott sei Dank ist die Ukraine im Verhältnis dazu ein begrenztes, ein „Das schaffen wir!“-Problem. Die Flüchtlingsströme aus Afrika werden gewaltig sein, es wird hundert Millionen und mehr betreffen. Eigentlich müsste die Politik nicht nur da sein, um das – so weit es möglich ist – zu verhindern und nach hinten zu schieben, sondern auch, um die eigene Bevölkerung darauf vorzubereiten, dass das unweigerlich kommen wird. In Afrika leben jetzt 1,2 Milliarden Menschen und diese Zahl wird sich innerhalb der nächsten 30 bis 40 Jahre verdoppeln. Das ist wie mit den kommunizierenden Gefäßen, die man aus der Schule kennt. Wenn auf der einen Seite 2,4 Milliarden sind und auf der anderen Seite Europa ist, dann wird es Bewegung geben. Riesige Bewegungen, die man nicht unbedingt als Katastrophe auffassen muss. Bisher sind die Flüchtlingsströme, die es auf der Welt gegeben hat, oft auch zum Guten der Menschheit ausgegangen. Eine Umsiedlungspolitik im großen Sinne, aus ökologischen und klimatischen Gründen, müsste man umgehend ins Auge fassen und nicht sich selbst überlassen. Man müsste sie organisieren. Theoretisch jedenfalls. Man kann nicht alles vorhersehen, man kann nicht alles korrigieren.
Ist Tony Rinaudo ein glücklicher Mensch?
Absolut, ja. Da kann ich ohne jedes Zögern antworten. Vielleicht mit einer Ausnahme: Er hat vier Kinder, von denen drei in Afrika geboren und aufgewachsen sind und keines dieser Kinder hat sich in Afrika engagiert. (lacht) Das ist wie mit den Kindern in dem Dorf, die ich im Film frage: „Wer von Euch will Bauer werden?“. Alle ihre Eltern sind Bauern und nicht ein Kind will in deren Fußstapfen treten. So sind die Kinder von Tony Rinaudo auch nicht Agronomen oder überhaupt mit Afrika verbunden. Ich könnte mir vorstellen, dass das ein kleiner Wermutstropfen ist. Aber da er zusätzlich noch zwölf Enkel hat, ist er bestimmt ein glücklicher Mensch.
Hat Sie Ihr Beruf immer glücklich gemacht oder hatten Sie auch Zweifel, ob man als Filmemacher etwas Signifikantes zur Entwicklung der Gesellschaft beiträgt?
Diese Frage ist in meinem Fall falsch gestellt. Ich mache Filme, weil es mir Spaß macht, Filme zu machen. Ob sie die Welt verändern oder nicht, ist eine ganz andere Sache. Ich habe das immer als einen Beruf gesehen. Als einen Beruf, mit dem man Geld verdient und mit dem man ein spannendes Leben führt, immer wieder neue Menschen kennenlernt und mit anderen Teams zusammenarbeitet. Mir ist es nicht eine Minute lang langweilig geworden. Ich habe nie daran gedacht, das Filmemachen an den Nagel zu hängen.
Sie möchten den Film bei 43 Vorstellungen persönlich präsentieren. Wird das Ihr bisher wichtigster Marathon?
Ja, ganz bestimmt. Als der Film fertig war, haben wir überlegt: „Okay, es ist eine Co-Produktion mit dem Bayrischen Rundfunk und arte und es gibt auch im Ausland interessierte Fernsehsender. Da kann man das ja laufen lassen und dann ist das erledigt.“Ich mag aber den Kontakt zum Publikum und wollte nicht, dass der Film „versendet“wird. Deswegen habe ich dem Verleih selbst vorgeschlagen: „Wie wäre es, wenn ich persönlich auftrete? Dann kommen Leute, die das Gespräch suchen und so eine Möglichkeit gerne nutzen.“. Da hieß es, dass so eine Veranstaltung nicht genüge, um einen Dokumentarfilm ins Kino zu bringen, weil die Kosten und der Ertrag in keinem Verhältnis stehen. Daraufhin meinte ich: „Und wenn ich überall hinfahre?“. So habe ich mir das eingebrockt. Ich habe da kein Bedauern und glaube, dass das zu schaffen ist. Ich habe gerade kein anderes Projekt. Ich bin gespannt, es ist eine neue Entdeckungsreise. Man sagt ja, von jedem Publikum werden die gleichen Fragen gestellt. Das stimmt nicht. Als ich meine Autobiografie herausgegeben habe, war ich in den Buchhandlungen von zehn oder zwölf Städten, um zu lesen und zu diskutieren. Das war jedes Mal anders, so dass ich mich noch genau daran erinnern kann: „Ach, in Bamberg war das so und in Münster war es ganz anders.“. Ich mache das einfach. Und ich glaube, in diesem Fall ist es nicht nur gut für den Film, es ist vor allen Dingen auch gut für die Kinos und die Arthäuser. Denen geht es nach Corona sehr schlecht und sie brauchen unbedingt den Beweis fürs Publikum, dass es sich lohnt ins Kino zu gehen. Insofern ist das eine Win-Win-Situation.
Sie haben eine 30-jährige Tochter. Was für eine Welt möchten Sie Ihr hinterlassen?
Nicht die, die sie vorfinden wird, fürchte ich. Um mich selbst mache ich mir keine Gedanken, aber was wird in 30, 40 Jahren sein? Da verlässt mich allmählich der Optimismus, wenn man sieht was passiert. Das heißt aber nicht, dass man die Hände in den Schoß legt und so tut, als ob das unvermeidlich wäre. Ich glaube, man kann sehr viel vermeiden, auf sehr viel einwirken und verhindern, dass das Schlimmste kommt. Das wäre dann immer noch gut. Vielleicht einen wir uns jetzt in Europa viel stärker, vielleicht überlegen wir die Entwicklungspolitik ganz anders, vielleicht überlegen wir, wie Energiepolitik ganz anders funktioniert. Wir sind in einer spannenden Situation, weil wir reagieren müssen. Die Menschheit ist im Zugzwang. Der Ball ist in unserem Feld und wir müssen ihn jetzt spielen. Ich glaube, alles wird bessern sein, als einfach so weiter zu wurschteln.
Volker Schlöndorff porträtiert in seinem ersten Dokumentarfilm den australischen Agrarwissenschaftler und Gewinner des alternativen Nobelpreises Tony Rinaudo. „Der Waldmacher“läuft ab dem kommenden 1. Juni in den sechs Luxemburger Regionalkinos Ciné Orion (Ulflingen), Ciné Prabbeli (Wiltz), Ciné Scala (Diekirch), Ciné Sura (Echternach), Kulturhuef Kino (Grevenmacher), Kinoler (Kahler), Coné Le Paris (Bettemburg) und Ciné Starlight (Düdelingen).