Unsagbares wird sagbar
Heute vor einer Woche ermordete ein 18-jähriger Rechtsextremist zehn Menschen in der amerikanischen Stadt Buffalo. Noch eine Massenschießerei in den USA, wäre man versucht zu sagen. Doch das jüngste Attentat zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wie leicht althergebrachter Fremdenhass in neuem Gewand wieder aufflammen kann und um sich greift, bis hinein in die obersten Sphären der Politik.
Der Mörder von Buffalo ist ein Nachahmungstäter. Wie andere radikalisierte Attentäter vor ihm berief er sich auf die sogenannte Replacement Theory, die im Wesentlichen auf der Lüge basiert, dass eine weiße, herrschende Klasse von Zuwanderern verdrängt werden soll, auf Bestreben einer liberalen Elite, die so ihre Macht absichern will.
Dieser Verschwörungsmythos nahm seinen Ursprung vor gut zehn Jahren in Europa, genauer in Frankreich. Er waberte anschließend durch die dunkelsten Ecken des Internets und der sozialen Medien und ist mittlerweile im politischen Mainstream angekommen. Nicht nur der französische Rechtspopulist Éric Zemmour propagiert seit Jahren diesen modernen Aufguss des ethnischen Nationalismus, der je nach Variante mehr oder weniger kaschierte Anklänge an den Antisemitismus hat. Selbst die konservative Kandidatin Valérie Précresse benutzte den Begriff des „remplacement“in ihren Wahlkampfreden. Es war ein verzweifelter Versuch, sich bei Wählern am rechten Rand anzubiedern.
In den USA gibt es eine faktische Allianz zwischen machtversessenen Politikern und populistischen Medien, die gezielt am rechten Rand fischen, weil es hohe Einschaltquoten und Werbemillionen garantiert. TV-Moderatoren wie Tucker Carlson, der Abend für Abend mehr als drei Millionen Amerikaner im Kabelsender Fox News erreicht, ist einer der Hauptkanäle, über den die Replacement Theory in die Köpfe der Menschen einsickert. Die „New York Times“hat nachgewiesen, dass Carlson über vierhundert Mal in den letzten Jahren über das Thema gesprochen hat.
Natürlich ruft der TV-Hetzer nicht direkt zu Gewalt auf. Mit seiner sorgsam gewählten Umschreibungsrhetorik sorgt er dennoch dafür, dass bisher Unsagbares weniger radikal erscheint. Seine Zuschauer verstehen, was gemeint ist. Eine wachsende Gruppe republikanischer Politiker, die aus elektoralem Opportunismus das nachbeten, was von Fox News auf die Agenda gesetzt wird, übernehmen die Themen skrupellos. Es überrascht daher nicht, dass inzwischen bereits jeder dritte Amerikaner glaubt, dass Demokraten versuchen, durch massive Zuwanderung Wahlen zu gewinnen. Auch der Täter von Buffalo benutzte in seinem Bekennerschreiben Formulierungen, die Carlson fast deckungsgleich in seiner Sendung verwendet hatte.
Es stellt sich die Frage, was schlimmer ist: Politiker, die es nicht besser wissen, oder Politiker, die aus wahltaktischem Kalkül auf die Ressentiments ganzer Wählerschichten setzen, in den USA wie in Europa. Das Attentat von Buffalo ist ein weiteres Menetekel: Wer Hass und Wut sät, wird früher oder später Gewalt ernten.
Wer Hass und Wut schürt, wird früher oder später Gewalt ernten.