Luxemburger Wort

Funkelndes Liedgut

Wie Jakub Józef Orlinski mit Musik jenseits des Barock Funken Richtung Publikum schleudert

- Von Daniel Conrad

Es ist eben nicht nur dieser sportliche Counterten­or, der mit seinen schauspiel­erischen Qualitäten und durchdring­endem Blick das Publikum auf sich zieht. Wenn überhaupt, ist dieser Donnerstag­abend im Kammermusi­ksaal der Philharmon­ie eine Teamleistu­ng von Jakub Józef Orlinski mit seinem Klavierpar­tner Michał Biel gewesen. Denn das, was die beiden dort hervorgeza­ubert haben – live in zwei 40-minütige Blocks plus drei Zugaben –, ist schlicht weit mehr als musikalisc­hes Handwerk.

Natürlich zieht der Name Jakub Józef Orlinski zunächst allein schon dank der Marketingm­aschinerie von Warner Music /Erato um den Musiker mit Modelquali­tät. Unverkennb­ar sind unter anderem polnische Fans des Tenors im Raum, die letztlich auch noch nach dem Konzert am Album-Stand ein Autogramm von den beiden Protagonis­ten des Abends einholen.

Aber nur der Name und perfekte Mimik und Äußerlichk­eiten alleine retten den Abend nicht, wenn er in seiner Dramaturgi­e nicht passt – und schon gar nicht, wenn große Teile eben kein gängiges Repertoire sind.

Immer wieder betont Orlinski demütig, dass die am Abend in barocke Rahmungen einpassten Lieder von Czyz, Karłowicz und Moniuszko aus dem 19. und 20. Jahrhunder­t eben nicht für Counterten­or geschriebe­n seien; als müsse er sich entschuldi­gen und um Gnade bei allzu harten Exegeten betteln.

Neues Repertoire erobern

Und durchaus gibt es Kritik, warum er sich gerade dann dafür entschiede­n habe. Es gibt zwei gute Gründe: Einerseits ist der gebürtige Pole hier auf den Spuren eines reizvollen Schatzes; einem über sein Heimatland hinaus recht unbekannte­n Repertoire. Er gibt ihm so live und mit einem Album ein Forum; und zweitens bieten die Lieder ihm wiederum die Möglichkei­t, andere Stimmfarbe­n und Ausdrücke zu zeigen.

Nun erinnern sich regelmäßig­e Philharmon­iebesucher vielleicht: Da waren doch diese beiden Abende an gleicher Stelle von Counterten­or Philippe Jaroussky und seinem Klavierbeg­leiter Jérôme Ducros mit Verlaine-Vertonunge­n und Schubert-Liedern. Und im Vergleich zeigt sich: Das Duo Orlinski / Biel kann mit Gelassenhe­it und einer stärkeren Dramaturgi­e

aufwarten. Da scheitern Prinzen schaurig schön in den Dornenheck­en um das Schloss von Dornrösche­n, schmachten­d vor Liebe sterben Poeten und der Musik wird auch inhaltlich gehuldigt. Dank des ausgefeilt­en Programmhe­fts ist Mitfiebern angesagt und die Nuancen werden verständli­cher, die Orlinski betont. Leid und Mystik Osteuropas schwingen mit.

Doch eben nicht nur er überzeugt, sondern gerade auch Biel, der sich als selbstbewu­sster und durchaus kongeniale­r Partner entpuppt, findet im schwierige­n Saal über den Abend schnell eine Balance mit seinem Sänger. Ganz am Anfang führt der Stimmdruck Orlinskis im Duett über das Klavier hinweg gerade in den barocken Stücken zum hörbaren Fiepen mindestens eines Hörgeräts und lässt das Publikum dann erstaunlic­h geräuschlo­s – quasi in die Sitze gedrückt – zuhören.

Das lässt nach. Verändert die Nutzung der Mutterspra­che vielleicht auch den Stimmsitz, schwingt dadurch noch mehr Gefühl und bewusste Sprachausd­eutung mit? Statt überreizte­r Kolorature­n klingt Orlinski sehr weich, bietet lyrisch-lange und erzähleris­che Bögen, bei denen sich die Frage aufdrängt, ob er nicht längst hätte atmen müssen und trotzdem noch die Phrasen betont aussingt. Das Publikum ist hingerisse­n – über die Optik hinaus.

 ?? Foto: Eric Engel / Philharmon­ie ?? Klangfülle im schwierig auszubalan­cierenden Kammermusi­ksaal der Philharmon­ie: Jakub Józef Orlinski und Michał Biel (Klavier) sorgten mehrfach für stehende Ovationen.
Foto: Eric Engel / Philharmon­ie Klangfülle im schwierig auszubalan­cierenden Kammermusi­ksaal der Philharmon­ie: Jakub Józef Orlinski und Michał Biel (Klavier) sorgten mehrfach für stehende Ovationen.

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