Funkelndes Liedgut
Wie Jakub Józef Orlinski mit Musik jenseits des Barock Funken Richtung Publikum schleudert
Es ist eben nicht nur dieser sportliche Countertenor, der mit seinen schauspielerischen Qualitäten und durchdringendem Blick das Publikum auf sich zieht. Wenn überhaupt, ist dieser Donnerstagabend im Kammermusiksaal der Philharmonie eine Teamleistung von Jakub Józef Orlinski mit seinem Klavierpartner Michał Biel gewesen. Denn das, was die beiden dort hervorgezaubert haben – live in zwei 40-minütige Blocks plus drei Zugaben –, ist schlicht weit mehr als musikalisches Handwerk.
Natürlich zieht der Name Jakub Józef Orlinski zunächst allein schon dank der Marketingmaschinerie von Warner Music /Erato um den Musiker mit Modelqualität. Unverkennbar sind unter anderem polnische Fans des Tenors im Raum, die letztlich auch noch nach dem Konzert am Album-Stand ein Autogramm von den beiden Protagonisten des Abends einholen.
Aber nur der Name und perfekte Mimik und Äußerlichkeiten alleine retten den Abend nicht, wenn er in seiner Dramaturgie nicht passt – und schon gar nicht, wenn große Teile eben kein gängiges Repertoire sind.
Immer wieder betont Orlinski demütig, dass die am Abend in barocke Rahmungen einpassten Lieder von Czyz, Karłowicz und Moniuszko aus dem 19. und 20. Jahrhundert eben nicht für Countertenor geschrieben seien; als müsse er sich entschuldigen und um Gnade bei allzu harten Exegeten betteln.
Neues Repertoire erobern
Und durchaus gibt es Kritik, warum er sich gerade dann dafür entschieden habe. Es gibt zwei gute Gründe: Einerseits ist der gebürtige Pole hier auf den Spuren eines reizvollen Schatzes; einem über sein Heimatland hinaus recht unbekannten Repertoire. Er gibt ihm so live und mit einem Album ein Forum; und zweitens bieten die Lieder ihm wiederum die Möglichkeit, andere Stimmfarben und Ausdrücke zu zeigen.
Nun erinnern sich regelmäßige Philharmoniebesucher vielleicht: Da waren doch diese beiden Abende an gleicher Stelle von Countertenor Philippe Jaroussky und seinem Klavierbegleiter Jérôme Ducros mit Verlaine-Vertonungen und Schubert-Liedern. Und im Vergleich zeigt sich: Das Duo Orlinski / Biel kann mit Gelassenheit und einer stärkeren Dramaturgie
aufwarten. Da scheitern Prinzen schaurig schön in den Dornenhecken um das Schloss von Dornröschen, schmachtend vor Liebe sterben Poeten und der Musik wird auch inhaltlich gehuldigt. Dank des ausgefeilten Programmhefts ist Mitfiebern angesagt und die Nuancen werden verständlicher, die Orlinski betont. Leid und Mystik Osteuropas schwingen mit.
Doch eben nicht nur er überzeugt, sondern gerade auch Biel, der sich als selbstbewusster und durchaus kongenialer Partner entpuppt, findet im schwierigen Saal über den Abend schnell eine Balance mit seinem Sänger. Ganz am Anfang führt der Stimmdruck Orlinskis im Duett über das Klavier hinweg gerade in den barocken Stücken zum hörbaren Fiepen mindestens eines Hörgeräts und lässt das Publikum dann erstaunlich geräuschlos – quasi in die Sitze gedrückt – zuhören.
Das lässt nach. Verändert die Nutzung der Muttersprache vielleicht auch den Stimmsitz, schwingt dadurch noch mehr Gefühl und bewusste Sprachausdeutung mit? Statt überreizter Koloraturen klingt Orlinski sehr weich, bietet lyrisch-lange und erzählerische Bögen, bei denen sich die Frage aufdrängt, ob er nicht längst hätte atmen müssen und trotzdem noch die Phrasen betont aussingt. Das Publikum ist hingerissen – über die Optik hinaus.